RTL-Löwenverleihung -
Tod eines
Klassikers
Sie war die traditionsreichste Veranstaltung von Radio Luxemburg:
Die Löwenverleihung! Und jetzt ist sie gegangen, oder besser gesagt,
gegangen worden - von den Senderverantwortlichen. Die
Löwenverleihung war das einzige große Überbleibsel aus der
glorreichen Zeit von Radio Luxemburg. Sie überlebte diverse Wandel
des einst so schillernden Hörfunksenders.
Der Gradmesser für die Vergabe der Löwen waren die Verkaufszahlen
und die Hitparaden. Wer dort besonders häufig gewünscht wurde und an
den obersten Plätzen lag, der hatte Chancen auf die Auszeichnung von
Radio Luxemburg. Deutsche Songs blieben bis zu Beginn der 60er Jahre die Nummer eins auf dem
Wunschzettel der Hörer. Erst später nahm der Trend zu englischsprachigen Liedern eindeutig zu. Während gerade in den
letzten Jahren der Löwenverleihung internationale Sänger und Bands
immer beliebter wurden, hatten ihre Kollegen in den Anfangsjahren
doch sehr mit dem Wohlwollen des Publikums zu kämpfen. Hier ein paar
Beispiele: Dusty Springfield, Star aus England, sang als Gratulantin
bei der Löwenverleihung im September 1969 in der Gruga-Halle in
Essen. Unmutsbuhen und Pfiffe auf den Rängen und im Parkett.
„Va-len-te“ wurde gefordert. Oder am 3. März 1973 in der
Westfalenhalle Dortmund: US-Import David Cassidy, bei dessen Anblick
Teenager normalerweise reihenweise in Ohnmacht fielen, wurde vom
Publikum ausgebuht. Lautstark wurde „Hei-no“ gefordert. Oder noch
ein Beispiel: Der 10. Oktober 1981 in der Dortmunder Westfalenhalle:
Silber-Gewinner Roland Kaiser wurde nicht von der Bühne gelassen.
Das Publikum feierte ihn frenetisch mit Sprechchören und
Wunderkerzen. Unüberhörbarer Unmut und nur ein Höflichkeitsapplaus
Minuten später für Gold-Gewinner Visage aus England.
Löwenverleihung mit Helga und Udo Jürgens.
Foto: © Archiv Friedel Weiß
Anfang der 90er Jahre kam es zur Umstrukturierung und Aufteilung des
Senders in das Oldieprogramm RTL - Der Oldiesender und das
hitorientierte 104.6 RTL Berlin. Dadurch änderte sich auch das
Musikgewand der Löwenverleihungen wesentlich. Die Auszeichnungen
erfolgten nun in mehreren Bereichen, unter anderem in „Oldies“,
„Cover-Versionen“ und „Aktuelle Hits“. Gerade die Löwenverleihungen
der letzten Jahre hatten sich zu großen Spektakeln gemausert. Wenn
RTL die Löwen losließ, dann waren über 10.000 begeisterte Fans in
der Dortmunder Westfalenhalle mit dabei. Die Zuschauer in der
Westfalenhalle, die Hörer des RTL Radio-Programms und die
Fernsehzuschauer von RTL Television bekamen eine Mixture aus Politik
und Musik geboten. Dass die Löwenverleihung längst nicht mehr nur
eine Abfolge von Künstlerauftritt, Moderatorenankündigung,
Künstlerauftritt, Moderatorenauftritt,... sondern eine richtige Show
geworden war, belegt folgendes Beispiel:
Die Löwenverleihung 1990 verrückte Maßstäbe, und Showakteure wurden
eines besseren belehrt. Zum erstenmal bekam ein Politiker einen
Löwen von RTL. Bisher wurden damit hauptsächlich Musiker für ihre
Hits ausgezeichnet. Aber Genschers Leistung war für die Löwenjury
auch ein Hit. Er bekam den Ehrenlöwen für seinen Beitrag zur
europäischen Einigung. Und so hörte sich der Auftritt des
Außenministers auf der Löwenbühne an: „Dieser Löwe - das ist was
Wunderbares. Dieser Löwe könnte eigentlich in diesem Jahr
tausendmal, hunderttausendmal verliehen werden an die tapferen Leute
in Ungarn, die den eisernen Vorhang durch Europa zerschnitten haben.
Und die tapferen Leute von Leipzig, aber auch in meiner Heimatstadt
Halle, die das Brandenburger Tor geöffnet haben - friedlich. Und an
den mutigen Mann in Moskau, von dem wir hoffen, dass ihm seine
Innenpolitik so gelingt wie seine Außenpolitik“. Wer wollte dem
nicht zustimmen... Nach Genschers Worten dann nicht enden wollender
Applaus und feuchte Augen im Publikum.
Bundesaußenminister Hans Dietrich Genscher: Ein Politiker unter
Popstars im Löwenkäfig namens Westfalenhalle. Hätte man die Frage: „Wer hat den höheren Show- und Unterhaltungswert:
David Hasselhof oder Hans Dietrich Genscher?“ vor dem Löwenfestival
ganz klar mit „Na, der Hasselhof natürlich!“ beantwortet, so hätte
man sich im nachhinein für den Herrn Außenminister entschieden. „Mr.
Knight Rider“, 1989 Gewinner des Goldenen RTL-Löwens, hatte die
Sympathien des Hallenpublikums ja schon mächtig abgeräumt. Das
Computerauto auf der Bühne, Davids Bad in der Menge - davon sprach
man noch Monate später. Was indessen der Auftritt Genschers auf der
Löwenbühne auslöste, stellte alles bisher dagewesene in den
Schatten. Standing ovations minutenlang, die Westfalenhalle - ein
Hexenkessel.
Bonnie M. - Goldener Löwe 1993
Die „Löwenbändiger“ Kristiane Backer (bekannt geworden als
Moderatorin beim englischen Musiksender MTV) und Jochen Bendel
(Moderator der Sendung „Ruck Zuck“ bei RTL2 - im Bild links mit Hans Meiser) führten 1993 durch den Abend der
57.
Löwenverleihung von RTL RADIO in der Dortmunder Westfalenhalle,
allerdings nicht ganz im Sinne der Zuschauer. Viele Leute äußerten
sich nach der Veranstaltung negativ über die Präsentation der
Löwenverleihung. Dies war auch ein wesentlicher Grund, wieso der
Funke - sprich: die Begeisterung nicht richtig auf die Zuschauer
übersprang.
Unvergessen auch die Parties nach der eigentlichen Löwenverleihung.
Dort trafen sich das komplette RTL-Team, die Künstler, die
Journalisten und geladene Gäste zum traditionellen Mitternachtsempfang. Oft tanzte man bis in die frühen
Morgenstunden. Im vergangenen Jahr [1994] ging die 59.
Löwenverleihung über die Bühne. Wieder mal ein Feuerwerk der Rock-
und Popmusik. „Es war die beste Löwenverleihung, die es je gab“,
schwärmte RTL Radio Deutschland-Direktor Bernt von zur Mühlen. Es
war aber nicht nur ein musikalischer Leckerbissen, sondern obendrein
auch noch ein sehr nützlicher. Sämtliche Künstler verzichteten auf
ihre Gagen. Das Geld bekam die UNESCO-Aktion „Kinder in Not“. Die
170.000 Mark kamen kriegsverletzten Kindern in einem
Rehabilitations-Center in Sarajewo zugute.
Dass das Aus der Löwenverleihung eher spontan als von langer Hand
geplant gewesen ist, lässt auch die Ankündigung im Programmheft der
RTL-Löwenverleihung von 1995 erahnen. Hier wurde bereits groß auf
die Löwenverleihung 1966 hingewiesen: „Liebe RTL-Löwen-Freunde,
reservieren Sie schon jetzt Ihren Platz für die Löwen 1996! Stars
der Superlative werden Ihnen garantiert auch im Oktober nächsten
Jahres präsentiert...“. Leider wird diese Garantie in diesem und
auch den nächsten Jahren nicht mehr eingelöst werden. Die
RTL-Löwenverleihung wird damit zur Geschichte, vorbei ist es mit der
„größten, längsten und tollsten öffentlichen Fete im RTL-Jahr“.
Schade! Schade um eine traditionsreiche Veranstaltung besonderer
Art.
Auch der ehemalige Programmdirektor von Radio Luxemburg, Frank
Elstner, stand 1993 zur 57. Löwenverleihung auf der RTL-Bühne. Er
überreichte Jochen Pützenbacher, dem „Löwenbändiger“ der vergangenen
Jahre, einen Ehrenlöwen. Bedingt durch die Aufteilung des Senders in
“RTL Radio - Der Oldiesender” und “104.6 RTL Berlin” änderte sich das Musikgewand. In drei verschiedenen Bereichen wurden Künstler ausgezeichnet, die sich durch ihre großen Erfolge verdient gemacht
haben: Oldies, Cover-Versionen und aktuelle Hits. Die RTL-Show, die
um 19.30 Uhr begonnen hatte, war kurz nach 24.00 Uhr immer noch in
vollem Gange. Nach der Veranstaltung in der Westfalenhalle trafen
sich das RTL-Team, die Künstler, Journalisten und geladene Gäste zum
traditionellen Mitternachtsempfang im Hotel Maritim in
Gelsenkirchen. Dort ging die Party dann bis in die frühen
Morgenstunden weiter.
Namen wie Heintje, Peter Maffay, Peter Alexander, Cindy & Bert oder
Cliff Richard - auch sie beherrschten zu ihrer Zeit die Hitlisten
der Bundesrepublik. Selbst der damalige Bundespräsident Walter
Scheel reihte sich in die Löwen-Geschichte ein.
„Hoch auf dem gelben
Wagen“ bekam den Ehrenpreis. 227 Löwen hat RTL im Laufe der Jahre
schon verteilt. Zu den Preisträgern zählten auch: Mike Krüger, Bee
Gees, Fats Domino, Udo Lindenberg, Modern Talking, Michael
Jackson,...
Ursprünglich wurden zweimal pro Jahr „Löwen“ verliehen; da aber im
Laufe der Jahre die vom Sender gespielte Musik immer internationaler
wurde und damit die Verleihung auch schwieriger zu koordinieren war,
findet sie seit zirka zehn Jahren nur noch einmal jährlich statt.
Andreas Kramer
Aus
RADIOJournal 10/1996 + 12/1993