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Radio Luxemburg
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„Alte Liebe“
Radio Luxemburg -
Gedanken
über Radio von gestern
und heute - „Stell dir vor, du bist auf
Sendung und keiner hört dir zu!“
So locker vom Hocker ging’s in dem kleinen Studio 4 der legendären Villa Louvigny zu und wer weiß was da noch so alles hinter den Kulissen passiert ist, von dem die Hörer nie etwas erfahren haben. Wir wollen „Luxis Glorie“ als das in Erinnerung behalten, was es für die Hörer war: Eine große Radiofamilie, die vielen Menschen Wärme und Geborgenheit, Hoffnung und Heimat gegeben hat - und Platten spielte, die sonst niemand hatte. Der prähistorische Hörfunk-Urknall aus dem kleinen Großherzogtum - mitten im Herzen Europas - brach über den Kontinent herein wie eine ansteckende Virusinfektion. Denn aus Sicht der damaligen Jugend bestand der deutsche Rundfunk fast nur aus langweiligen Wortprogrammen und Orchestermusik.
Die Rundfunkgeschichte von Radio Luxemburg ist mit keiner anderen in Europa vergleichbar. Die individuelle, unnachahmliche Art einfallsreicher Leute Radio aus dem Bauch heraus zu machen, hat den Zeitgeist getroffen und die Hörer an sich gebunden. So wie Radio vom 15. Juli 1957 bis zum 1. Oktober 1990 klang, wird es niemals wieder sein: Eine große Lovestory, voller Leidenschaft und Hingabe, voller Emotionen und Höhepunkte, voller Originalität und Action! Würde man sie wie „Vom Winde verweht“ als Hörbuch auf 34 CDs brennen - sie wäre auch heute noch - 18 Jahre danach - ein Bestseller.
Der Schmerz der Fans sitzt tief. Denn die Verbindung mit dem geliebten Radiosender hielt nur so lange „bis dass, die Quote uns trennt“. RTL, erfrischend anders und in Farbe, die einst so fröhlichen Wellen, das bunte Unterhaltungsprogramm mit den vertrauten Stimmen am Mikrofon, hatte seinen Liebreiz verloren. Es war von einem Tag auf den anderen nicht mehr wiederzuerkennen. Der Begriff RTL Hörfunk stand für „Qualität mit Anspruch“ und beides verbanden die Hörer eng mit dem Land aus dem es kam: (Radio) Luxemburg. So hat das rund um erneuerte - auf den „Hörergeschmack“ optimierte und formatierte Nachfolgeprogramm mit dem knackigen Namen RTL RADIO nie so richtig an die ruhmreiche Luxemburger Rundfunktradition anknüpfen können. In den Köpfen der Luxi-Fans wurde im vergangenen Jahr das 50-jährige Jubiläum von Radio Luxemburg gefeiert, aber nicht das von RTL RADIO in Luxemburg. Das junge RTL RADIO konnte nur einen Teil der Hörer von Radio Luxemburg mitnehmen. Es musste sich die Zuneigung einer neuen Zielgruppe erst erarbeiten und seine eigene Identität im Dschungel zahlloser privater Hörfunkstationen finden.
„Ein Programm ist dann gut, wenn ich es nicht nur wegen der Musik, sondern wegen dem Moderator einschalte“, hat mir mal ein Hörer gesagt. Beim Allroundsender Radio Luxemburg war dessen Name Programm mit eigener Erkennungsmelodie und stündlich wechselndem Musikgeschmack - ob Edy’s Heimatmelodie, CBS Musikbox, die Großen Acht, das Schlagerfrühstück oder die Kleine Nachtmusik. So kündigte zum Beispiel „The Happy Lucky Guitar“ von Buck Owens and his Backaroos die Countrysendung von Achim Graul an oder „TikTak Mister K.“ die Blaue Stunde, wo die Hörer mit den Moderatoren um einen „Hunderter“ spielten. Unvergesslich auch das englische Radio Luxembourg, kurz: The great 208 mit seinen tollen Stationvoices und genialen Jingles, wegen dem sich viele Luxi-Fans, denen das deutsche Programm zu spaßig war oder die sich von Frank Elstner & Co. nicht angesprochen fühlten, bald von den „fröhlichen Wellen“ loslösten und „The Station of the Stars“ mit dem einfach dazugehörigen abendlichen Mittelwellen-Feeling bevorzugten. Übersetzt entspricht das etwa der deutschen Variante von: „Der beste Sender, mit der besten Musik und den besten Moderatoren“.
In erster Linie waren es die Menschen hinter dem Mikrofon, die mit ihrer locker, lustigen Eigenart „du selbst“ sein durften und den Hörern das Gefühl gaben zu einer großen Radiofamilie zu gehören, mit der man zusammen frühstückte, zur Firma fuhr, auf Arbeit war, den Haushalt managte, die Kinder versorgte, das Mittagessen kochte, lachte, weinte, spielte, Kaffeeklatsch machte, sich abends zur Skatrunde traf und zusammen ins Bett ging - symbolisch gemeint natürlich. Das Radio gehörte zum Leben wie das Leben zum Radio.
Radio Luxemburg hatte Gewicht im Volk, und das Volk vergötterte seinen Sender. Nein: Radio Luxemburg war das Volk. „Wir saßen jede freie Minute am Radio, sind morgens extra früh aufgestanden um den ‚Fröhlichen Wecker’ nicht zu verpassen und nach der Schule: alles alberte am Radio. Der absolute Wahnsinn!“ gesteht mir ein 45-jähriger Luxi-Fan, dem es immer noch schwer fällt los zu lassen. „Radio Luxemburg war etwas ganz besonderes, hat uns alles gegeben: Liebe, Geborgenheit - wie eine Familie. Wir waren nie allein.“ Auf meine vorsichtige Frage, ob dass denn mehr eine Radiosekte als ein Radiosender gewesen sein könnte, antwortet er spontan: „Ja, das war so. Radio Luxemburg gab uns den ‚Kick’. Wir waren total durchgeknallt und gefesselt. Konnten uns nicht befreien, kamen einfach nicht mehr raus aus dem System. Wer nicht Radio Luxemburg hörte, hielt uns für verrückt“.
Tatsächlich gab es auch junge Leute, die mit dem „Volldampfradio“ aus Luxemburg nicht viel anfangen konnten und ihre 5-Element-UKW Antenne auf Südtiroler Rock-, Soul- und Discosound ausgerichtet haben. Dem waren sie dann genauso verfallen und trauern ihren „Liebschaften“ bis heute noch nach.
Millionen Menschen standen noch in den 70er und frühen 80er Jahren unter dem starken Einfluss der Luxemburger Funkwellen. Eigentlich war das Programm mehr eine „Dauerwerbesendung“. Die Sprecher bauten das Produkt so in ihre Moderation ein, dass es wie selbstverständlich die Vorstellung des nächsten Plattentitels umhüllte. Was heute nervt, wurde damals „weniger registriert“, erklärt mir ein ehemaliger RTL-Fan und schildert wie sich ein Smalltalk mit „medialer Bedarfslenkung“ zu seiner Zeit abspielte: „Ich kann mich noch gut an die gesprochene Eckes Edelkirsch Reklame erinnern (immer in der »12 Uhr mittags«-Sendung). Jochen erzählte etwas und sprach Hugo an, dieser schwärmte dann voller Begeistung für den Likör“. Den Hörern ging es vordergründig nicht nur um die Musik, sondern ganz besonders um das was die Sprecher sagten und wie sie es rüberbrachten: eben so, als wenn man mit ihnen im Wohnzimmer sitzt und „Freunde“ zu Besuch hat. Da bekam der gute Tropfen keinen bitteren Beigeschmack, sondern vermittelte das Gefühl: mein Sender gibt einen aus. Und heute: „Da sich die Programme aller Radiostationen mehr und mehr ähneln, langweilt mich das schnell und dann wird umgeschaltet - in der immer noch großen Hoffnung, dass woanders etwas Besseres läuft“.
„Ich war so ab 1986 nicht mehr der unbedingte Luxi-Fan“, schrieb mir ein 41-jähriger Hobby-DJ, der mit 14 Jahren zu den ‚völlig Durchgeknallten’ gehörte. „Das lag am Alter (21) und daran, dass sich bedingt durch mein Ausbildungsende nicht mehr so viel Zeit zum Radiohören ergab. Außerdem lief auf der Arbeit die ganze Zeit SWF 3. Da war man nach Feierabend froh, etwas Ruhe zu haben. Als ich dann Anfang der 90er mal zwischendurch auf meine ‚alte Liebe’ schaltete, um zu hören, was sich dort tat, kamen mir die Stimmen gleich so unbekannt vor. Zwei bis drei alte waren geblieben, aber der Rest - ich fand einfach grottenschlecht was da ablief.“ Er erinnert sich an Werbeanzeigen und Plakate auf denen genau das stand was das ehemalige Radio Luxemburg ausgemacht hat: „Unsere Moderatoren - erfrischend anders“. Nur traf dieses Erfolgskonzept in zeitgemäßer Aufmachung nicht den richtigen Ton.
Das neue unverwechselbare Klangbild mit der vollmundigen Ankündigung: Hits statt Schnulzen, Infos statt Gelaber, Witz mit Esprit“ mag den Luxi-Fans vorgekommen sein wie eine kurze, unmissverständliche SMS der Geliebten: „Du störst meine Frequenz. Ich brauch dich nicht mehr“. Die persönliche Ansprache fehlte. Ein Großteil der Harmonie und Geborgenheit, die Radio Luxemburg seinen Hörern noch in den 70er Jahren gab, ging verloren. Das Gefühl zu einer „Radiofamilie“ zu gehören, verschwand bereits in den 80er Jahren immer mehr. Ein über die Jahre wohlvertrauter und gewohnter Rhythmus änderte sich abrupt, so dass immer weniger der „alteingesessenen“ Stammhörer eingeschaltet haben.
Konkurrenz belebt das Geschäft - die Quote verdirbt den Charakter. In Zahlen ausgedrückt sah der Esprit mit der radiogenen Einheitsformel 14:49 schließlich so aus: Von den einst bis zu 17 Millionen Hörern am Tag, waren es im Herbst 1990 noch knapp 700.000. Man hatte - wie es ein bedeutender Radiomann ausdrückte: „formatieren mit uniformieren“ verwechselt.
Für viele enttäuschte Luxi-Fans ist die Zeit stehen geblieben. Sie leben in ihrer Welt von früher und legen lieber die ausgeleierten Kassetten mit zahlreichen Mitschnitten von der „Redekunst“ ihrer stets fröhlichen „Radiofamilie“ auf, die im Gedächtnis immer noch allgegenwärtig ist, statt sich mit einem anderen Sender zu verbandeln, der sowieso nicht an das „Original“ heranreicht. Die Legende stirbt nie. Eine Band spielt in der kleinen Kneipe die alten Erkennungsmelodien, ein DJ lässt auf der Familienfeier die Musik für Oma bis Mama erklingen, eine ältere Dame fragt nach der Hörergruß-Sendung am Sonntagabend, damit »Gefragt - gespielt« auf der Geburtstagsparty ihrer Schwester noch einmal die Gäste im Gedenken an „RTL in den 60er und 70ern“ zu Tränen rührt.
„Für den ersten Eindruck, gibt es keine zweite Chance“ - mit diesem Spruch begrüßt Kathrin Lehmann („Die schönste Stimme der Stadt“ - und über elf Jahre lang das Aushängeschild von Radio Hamburg) Besucher ihrer Webseite. „Im Radio hat man 15 Sekunden Zeit, um die Hörer für sich zu interessieren, sonst schalten sie ab - wer überzeugen will, muss glaubwürdig sein und authentisch rüber kommen.“
Sieht das knappe Urteil eines Hörers nach dem Einschalten so aus: „Was mir zuerst auffällt: In zehn Minuten drei ‚Stationsansagen’ - einfach nervig!“ ist das sicher nicht der Beginn einer wunderbaren Freundschaft. Bleibt er an einer Stimme hängen, die „anders als die anderen“ oder „einfach menschlicher“ klingt, fühlt sich das an wie ein wärmender Sonnenstrahl an einem kalten Wintermorgen, der ihn gefangen hält. Welcher durchschlagende Impuls auch immer den „Hinhör-Effekt“ auslöst: Die Liebe zum Radio ist eine Frage des Augenblicks. Ein kurzer, bewegender Moment, der darüber entscheidet, ob wir dran bleiben oder weiter suchen: eine schöne Stimme, die Art der Moderation, die Musikauswahl oder das Programm in seiner Gesamtheit. Egal was uns hält: Ohne Harmonie zwischen Hörer und Sender, ohne gefühlsmäßige Bindung, ohne Seelenverwandtschaft, läuft Radio nur als lärmendes Hintergrundgeräusch wie das monotone Ticken einer Uhr an uns vorbei.
„Den Sendern von heute fehlen einfach die Überraschungsmomente und die Spontanität der Moderatoren“, meint ein Hörer und stellt fest: „Ich glaube nach wie vor, dass es genug gute Moderatoren gibt, die sich jedoch nicht entfalten können, weil sie nicht dürfen.“ Ihm ist klar geworden, dass ein Programm mit den Moderatoren steht oder fällt. „Musik kann so gut sein wie sie will, wenn die Präsentation des gesamten Programms nicht stimmt, hat man gar nicht den Drang den Sender wieder einzuschalten. Wenn da aber einer ist, dessen Stimme angenehm, besonders oder sich sonst irgendwie vom Einheitsbrei abhebt, dann möchte man wissen, was hat dieser Mensch wohl morgen wieder Verrücktes drauf. Es ist alles viel zu steril und die wenigen Pannen werden unter den Teppich gekehrt. Warum wird nicht mal über sich selbst gelacht?!“
Radio ist immer nur so gut, wie der Kapitän, der das Schiff steuert - ob er es in ruhigem Fahrwasser hält, ob seine Crew hinter ihm und nicht neben sich steht - oder ob bald ein anderer das Ruder übernimmt und den Kahn auf Grund fährt, weil alles was vorher war nicht mehr zählt. Der Hörer kann Veränderungen nicht so schnell nachvollziehen, wie manche Sender sich „reformieren“. Er braucht Kontinuität und will morgen noch das hören, was ihn gestern dazu bewogen hat, gerade diesen, einen Sender einzuschalten.
Seine „Lovestation“ wechselt man nicht wie einen platten Reifen auf der Landstraße. Jeder Hörer, der sich unfreiwillig von einer Illusion im Äther entwöhnen musste, kennt die emotionale Lücke im Tagesablauf, wenn etwas Liebgewonnenes fehlt, das einen jahrelang durch den Alltag begleitet hat: Du schaltest dein Radio ein und der schwungvolle Drive unterm Hintern ist plötzlich weg. Du fühlst dich leer, genau so leer kommt dir der olle Kasten und das neue Programm vor. Das was du jetzt hörst, spricht dich nicht an. Es klingt wie eine Schachtel ohne Inhalt. Die Pralinen fehlen. Weil die Leute, die glauben „dein Hörverhalten“ zu kennen, anscheinend selbst nie Radio hören und nur Zahlen und Fakten verstehen, aber nichts von dem was Radio wirklich ausmacht: Herz und Seele. Radio Luxemburg war mit seinen Hörern wie „Ein Herz und eine Seele“.
Am erfolgreichsten sind Radiosender, die wenig Personalwechsel haben und „Wohlfühloasen“ schaffen, auf die sich die Hörer zu verlässlichen Zeiten zurückziehen können. Mit Personalities am Mikrofon, die sich mit ihrem Sender identifizieren und ihm über viele Jahre, am besten vom ersten Tag an bis zur Pensionierung eine programmprägende Stimme geben. Menschen, denen die Arbeit Spaß macht, die in ihrem Sender und bei sich selbst zuhause sind, die jede Menge positiver Energie ausstrahlen. Die spürt auch der Hörer: Hier gehöre ich hin, das ist mein Sender. Hier wärme ich mich auf, hier bin ich daheim. Radio trifft über’s Ohr mitten ins Herz und bleibt erst dann im Kopf!
Früher war alles besser. Im Prinzip schon. Warum erinnern wir uns gerne an verrückte und durchgeknallte Zeiten mit dem Radio? Weil wir im Gestern leben? Nein. Wir sind im Heute angekommen und vermissen den sicheren Hafen. Alles ist so schnell, so hektisch, so wechselhaft, so austauschbar und vergänglich geworden. Wir sehnen uns nach Beständigkeit, nach etwas von Dauer - auch im Radio. Uns fehlt der Ankerplatz. Deshalb flüchten wir in die Erinnerung, in das zurück, was einfach nur schön war. Radio Luxemburg hat den deutschen Hörfunk revolutioniert, aber auch gezeigt, wie man als Luxusliner langsam vom Kurs abkommt. Geben wir dem Radio noch eine Chance. Ein Versuch ist es wert, wenigstens einen kleinen Flirt zu wagen: „Meine ‘alte Liebe’ hab ich mal wieder eingeschaltet. Ich entdecke zwar keinen großen Unterschied zu anderen Radiostationen, aber ich gebe zu, dass der Sender doch so seinen ganz eigenen Charme entwickelt hat...“
Anita Pospieschil
Fotos: © Archiv Friedel Weiß
RJ-Archiv (Autogrammkarten)
Aus RADIOJournal 9/2008
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