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Radio Luxemburg
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Vor zwanzig Jahren endete das englische Programm von Radio
Luxembourg -
Nachruf auf die
„Station Of The Stars“
Jimmy Saville brachte es auf den Punkt: „Sie starteten als
Radiostation, später waren sie ein Way of Life“. Der
albino-weißblonde DJ-Star der Sechziger Jahre sang das Loblied auf
seinen Sender nicht von ungefähr. In der Zeit vor den schwimmenden
Piratenradios aus der Themsemündung war Radio Luxembourg,
Two-O-Eight auf den britischen Inseln das Maß aller Dinge der
Jugendkultur. Ausgestrahlt auf Mittelwelle während der Abend- und
Nachtstunden beherrschte „The Station Of The Stars“ uneingeschränkt
die britischen Musiktrends und Charts der Nachkriegszeit.
„Luxys“ Marktmacht hielt selbst den neuen Konkurrenten stand, die
als Soundtrack der „Swinging London“-Epoche in den Sechzigern
entstanden - erst die Nordsee-Piraten wie Caroline, Big L oder City,
später dann die BBC-Popwelle „Radio One“. Denn damals herrschte noch
„Waffengleicheit“, alle Sender tummelten sich auf Mittelwelle. Doch
mit Einführung der privaten Lokalstationen in Britannien Anfang der
Siebziger Jahre, die dazu auch den UKW-Empfang popularisierten, war
der langsame Tod eines Popradios, das nur abends auf Mittelwelle zu
hören war, programmiert. Radio Luxembourg stellte 1992 seinen, noch
auf Satellit sendenden englischsprachigen Dienst ein.
Schon kurz nach Kriegsende stieß Radio Luxemburg in die Lücke, die
der Sender „Radio Normandy“ gelassen hatte. Vor dem Krieg hatte die
Station in Caudebec an der französischen Kanalküste erfolgreich
ausgenutzt, dass auf der BBC keine Werbung und nur wenig
unterhaltende Programme liefen. In Londoner Studios vorproduzierte
Sendungen mit den Musikstars der Swing-Ära wurden über den Kanal
geschippert und von der Normandie aus auf Mittelwelle 269 Meter nach
England ausgestrahlt. Nach dem Krieg aber war kommerzielles
Privatradio in Frankreich nicht mehr erlaubt. Und so erlebte „Radio Normandy“ keine Wiederauferstehung.
Und
das machte sich der Sender aus dem Großherzogtum zunutze und rollte
mit dem gleichen Konzept die bleierne BBC-Radiozeit auf. Trotz nicht
immer einwandfreier Empfangsqualität auf 208 Meter gingen die Hörer
auf den Inseln sofort mit. Bereits 1948 startete Teddy Johnson die
erste Top 20-Show, damals noch nicht auf Plattenverkäufen, sondern
auf dem Absatz von Notenblättern basierend. Für sein ebenfalls
überaus populäres Wunschprogramm zog DJ Johnson schon 1950 mehr als
1500 Briefe pro Woche.
In den Fünfzigern entdeckten vor allem die Schallplattenfirmen die
verkaufsfördernde Wirkung des Kommerzradios aus Luxemburg.
Entertainment schön und gut, aber es sollte auch die Musik gespielt
werden, die Geld bringt, dachte man sich. Und so bestand bald das
gesamte Programmschema auf 208 aus gekauften Sendungen der
britischen Schallplattenfirmen. Werbespots - wenn es sie überhaupt
gab - wurden zwischen den Sendungen gespielt. In den Shows wurden
nur Titel von den Labels der Sponsor-Konzerne aufgelegt. Eigene
Playlist-Titel von Luxy - wenn es sie denn gab - liefen meist nur in
den Spätnachtshows.
Als Stimmen von 208 wurden die beliebtesten Moderatoren der BBC
gewonnen. In den Sechzigern waren das Pete Murray (Er präsentierte
im BBC-Fernsehen die »Juke Box Jury«), Brian Matthew (BBC-»Saturday
Club«), der schon erwähnte Jimmy Saville (»Top of the Pops« im
BBC-TV), Keith Fordyce, Jimmy Young, David Jacobs, Alan Freeman oder
Tony Hall. Sie produzierten ihre Shows in der Londoner Zentrale von
Radio Luxembourg in der Hertford Street auf Band vor. Zwischen den
Sendungen - die teils sogar nur 15 Minuten lang waren - gab es dann
einen oder zwei Live-Jocks im Luxemburger Studio 1, die die
„verbindenden Worte“ als Überleitung sprechen sowie auch ab und zu
die Nachtshows selbst präsentieren durften. Viele Jahre lang war
hier die Stimme von Luxy, die legendäre „Institution“ Barry Alldis.
Dass vor allem die Musik meist nur von einem Label gespielt wurde,
interessierte aber die jungen 208-Hörer wenig. Sie hörten ihre Idole
unter der Bettdecke. Die etwas sterile Art der Präsentation störte
anfangs wohl auch nicht. Ob Keith Fordyce mittags im „BBC Light
Program“ das »Pop Inn« hochseriös ansagte oder abends im gleichen
Stil auf Luxy »Time to Meet«, egal, Hauptsache die Musik stimmte.
Bis
die Piraten kamen. Erstmals klang Popradio anders. Denn die
Musikdampfer der Nordsee brachten den aus den USA importierten
Up-tempo-Präsentationsstil auf die britischen Ätherwellen mit.
Swingender Highspeed-Talk statt betulicher Plattenplauderei waren
fortan das stilprägende DJ-Gebot der Stunde. Das erkannte das
Management vom englischen Luxembourg-Programm spätestens nach dem
Closedown der Piraten.
BBC Radio One war als Abklatsch des schwimmenden Senders „Wonderful
Radio London“ - nur ohne Werbung - gestrickt, endete zunächst aber
abends um 19.00 Uhr. Da die Luxemburger Mittelwelle ausgerechnet
dann per Raumwelle auch in Britannien ankam, sah man die Chance,
einfach eine Art Abend-Fortsetzung von Radio One zu sein.
Voraussetzung aber: Luxy musste „piratiger“ klingen. Da traf es sich
gut, dass der frühere Radio London-Manager Alan Keen den Chefsessel
von Luxemburgs englischem Programm in der Hertford Street übernahm.
Er sah die Zukunft nicht mehr in gesponserten und vorproduzierten
Sendungen der Plattenkonzerne, sondern in Liveshows mit
Personality-DJs und Spotwerbung direkt aus der Luxemburger Villa
Louvigny. Und siehe da: Die gute alte „Station of the Stars“ klang
plötzlich wie die früheren Musikdampfer aus der Themsemündung. Denn
fortan waren die Stimmen nicht mehr BBC-Ansager, sondern echte, von
den Piraten bekannte DJs wie Tony Prince, Bob Stewart, Stuart Henry,
Tommy Vance oder Paul Burnett. Sogar das von Radio Caroline bekannte
Hörerspiel „Cash Casino“ mit dem Kanadier Bill Hearne feierte via
208 Wiederauferstehung. Eine knallbunte, „Bravo“-artige Zeitschrift
namens „Fabulous 208“ sorgte am Kiosk für Cross-Promotion.
In den Siebziger Jahren wurde die Situation für Luxy zusehends
schwieriger. BBC Radio One dehnte seine Programme in den Abend aus.
John Peel bekam seine eigene tägliche Abendshow mit Rock- und neuer
Popmusik (»Sounds of the Seventies«), die zu allem Überfluss auch
noch auf die UKW-Kette von Radio Two durchgeschaltet wurde. 208 zog
mit einer neuen Generation von DJs wie Noel Edmonds, Mark Wesley,
Steve Wright, Dave Christian oder Mike Reed nach. Aber vor allem mit
Dave „Kid“ Jensen. Er setzte mit seinen „Dimensions“ Akzente weg von
den Top 40 hin zum Peel-Stil des intellektuellen Pop.
Gleichzeitig
aber popularisierte das neue unabhängige, kommerzielle Lokalradio
das jahrelang in Britannien kaum beachtete UKW-Radio und auch Radio
One bekam FM-Kanäle. Spätestens da konnte 208 nicht mehr recht
mithalten. Die störungsanfällige Mittelwelle kam auch im
übertragenen Sinne auf der Insel nicht mehr an. Mit Blick auf die
flächendeckende Beliebtheit von Musikradio auf UKW in den Achtzigern
versuchte man es nochmals mit neuen Personalities, wie dem Ex-AFN-DJ
Benny Brown, Mike Hollis, Rob Jones oder dem heutigen
Radio-One-Morgen-Mann Chris Moyles. Dem qualitativen Defizit wollte
man mit einer Satelliten-Ausstrahlung entgehen.
Aber das Aufbäumen war vergebens - die Ära „Station of the Stars“
war endgültig vorbei. Was seit Kriegsende trendsetzend für die
populäre Musik auf den britischen Inseln war, starb Anfang der
Neunziger Jahre den Tod in Raten. 1991 wurde die
Mittelwellenübertragung auf 208 Meter beendet. Am 30. Dezember 1992
wurde dann auch beim englischen Programm aus Luxemburg über den
Astra-Satelliten der Stecker gezogen.
Ludwig Schieffer
Aus RADIOJournal 6/2012