Branchen-Magazin
für Radio und neue Medien

Webausgabe 5-6/2024


Fotos: Archiv Jan Sundermann

Bericht vom 21. Radiotag in Hilden - Eröffnet
von Helmut Stein QQTec und Jan Sundermann


Der 21. Radiotag fand wieder im technischen Museum QQTec in Hilden statt. Und diese Veranstaltung hat sich weiter entwickelt. Sie besteht nicht mehr nur aus den nostalgischen Betrachtungen von Seesendern und freien Radios. Schon früher hatten wir einen Beitrag über die Zahlensender auf der Kurzwelle. Im Jahr 2022 schließlich konnten wir den Buchautor Richard H. Cummings gewinnen mit einem Beitrag über Radio Liberty und Radio Free Europe. Dazu gab es von ihm nun 2023 eine Fortsetzung. Und Martin van der Ven mit seiner Recherche zur Geschichte der Voice of America Sendungen vom US Coast Guard Cutter “Courier”. Von allerhöchster Aktualität war aber der Beitrag von Herbert Visser und Helmut Slawik über Radio Nasha Lenta und die Frequenzversteigerung in den Niederlanden.

Die Voice of America vor Rhodos
vom Schiff USCGC Courier


Pünktlich um 13.30 Uhr startete der erste Referent seinen Vortrag. Martin van der Ven referierte über “The Voice of America - offshore vor Rhodos” - es ging um die USCGC Courier WAGR-410 die am 15. Februar 1952 in Hoboken, New Jersey, in Dienst gestellt wurde und dann zwölf Jahre lang als eine Sendestation der Voice of Americe dem Auslandssender der USA (vergleichbar mit der Deutschen Welle) während des Kalten Krieges diente.

Die USCGC Courier enthielt den leistungsstärksten Kommunikationsfunksender, der jemals an Bord eines Schiffes installiert wurde. Einen 150-Killowatt-Mittelwellensender sowie zwei 35 kW Kurzwellensender vom Typ Collins 1B35. Das Schiff hielt auch den Rekord für den längsten Einsatz in Übersee - vom 17. Juli 1952 bis zum 13. August 1964 verbrachte sie keine Zeit in den Hoheitsgewässern der Vereinigten Staaten, sondern war während dieser Zeit vor der griechischen Insel Rhodos stationiert. Die USCGC Courier wurde sogar vom amerikanischen Präsidenten Harry S. Truman besucht. Es ist bekannt, dass die Offshore-Sendungen von diesem Schiff die Technik der Piratensender wie Radio Nord oder Radio Caroline inspiriert haben. Für die Mittelwellensendungen wurde zuerst eine Drahtantenne benutzt, die durch einen heliumgefüllten Ballon (blimp) hochgezogen wurde. Ähnlich wie später bei Laser Radio vor der englischen Küste war das aber keine dauerhafte Lösung, abgerissene Ballone trieben weg und stürzten in der Türkei ab. Dieses System wurde durch eine Loop-Antenne zwischen den Masten des Schiffes ersetzt. Dann war es auch nicht mehr notwendig für die MW Sendungen auf See zu sein, und man nutze einen Liegeplatz im äußeren Hafen von Rhodos. Für die Kurzwelle standen auf dem Vordeck zwei Deltaloop Antennen in Form von stabilen Gittermastkonstruktionen. Die Gesamtstärke der betriebenen Anlagen erzeugte auf dem Schiff eine erhebliche Hochfrequenzverseuchung, die den direkten Empfang der aus den USA zugespielten Programme unmöglich machte. Deshalb errichtete man später auf der Insel eine Empfangsstation und spielte von dort aus per Richtfunk das Material zu, welches dann zeitversetzt über die eigentlichen Schiffssender Richtung Osteuropa und die UdSSR ging.



Radio Nasha Lenta auf AM aus Litauen

Der Niederländer Herbert Visser ist Geschäftsführer des Radiosenders “100%NL” und wurde durch Helmut Slawik interviewt. Zunächst ging es um den in den Niederlanden registrierten Sender Radio Nashalenta. Dieser Sender steht in Litauen und sendet seit einem Jahr abends auf der Mittelwelle 1557 kHz ein russischsprachiges Programm. Dieses wird sowohl in Kiew und in Wien produziert. Dahinter steht der österreichische Medienunternehmer Karl von Habsburg, dem kommerzielle Sender in der Ukraine gehören. Das Ziel ist es die Bevölkerung in Russland über den Krieg in der Ukraine zu informieren aus der Sicht des Westens und aus der Sicht nicht-staatlicher Medien und Journalisten aus der Ukraine. Die Sendungen hören sich in einem dynamischen Privatradiostil durchaus flott an. Visser beschreibt, wie es ihm gelungen ist, die Vermittlung des freien Worts durch Offshore Radio zu ermöglichen.

Seit August 2022 ist der Sender Nasha Lenta auf Mittelwelle 1557 kHz aus Litauen on air. Es ist ein Programm in russischer Sprache und wendet sich an die russische Bevölkerung in Moskau, St. Petersburg und weiteren Gebieten. Das Projekt entstand im Zusammenhang mit dem Krieg gegen die Ukraine, ist aber als Infotainment Programm und nicht als Propagandasender der Ukraine aufgebaut.

Herbert Visser hatte bereits auf dem vorherigen Radiotag dargestellt, wie er einen Mittelwellensender wieder einsatzfähig machen lassen konnte und Menschen zur Realisierung von Technik und Programm an den Start gebracht hat.

Die Programminhalte werden in Wien und hauptsächlich Kiev zusammengestellt. Sie werden über Internet nach Naarden/NL überspielt, wo auch die Programme 100% NL, Slam und Radio Veronica beheimatet sind. Hier werden sie in dem alten Gebäude von Radio Nordsee International mit einer russischen Software zum fertigen Radioprogramm vereint und zur Sendeanlage nach Litauen übermittelt. Die Mittelwellenantennen dort hat man so geschickt ausgerichtet, dass sie bei Dunkelheit optimal das Zielgebiet ausleuchten, aber auch in Deutschland ist nachts der Empfang möglich.

Visser steht nicht nur an der Spitze von drei niederländischen kommerziellen Radioprogrammen, sondern hat dort auch Nasha Lenta auf seinen Namen registriert. Dabei ist er sich der Lebensgefahr von unbequemen Menschen für das russische System bewusst. Für die Ausstrahlung gibt es eine Lizenz in Litauen.

Das Programm gibt es auch als Stream auf: https://nashalenta.com 
rund um die Uhr. Dort sind auch die in Russland populären sozialen Netzwerke Telegram und TikTok verlinkt, über die der Zuhörerkontakt gewährleistet wird.

• Der Name des Senders aus Litauen bedeutet übersetzt “Unser Band” oder “Unsere Verbindung”. Man schreibt auf der Homepage über sich selbst: “Unser Band” Radio Lenta - informativ-unterhaltsamer Radiosender. Aktuelle Nachrichten, wichtige Ereignisse und Kommentare. Weiterhin wichtige Ratschläge, Humor und vieles mehr täglich im Äther auf Frequenz 1557 AM. Hören Sie auch den Radiosender 24/7 im Internet! Nur bei uns über 100 Programme zu verschiedenen Themen - vom Kirchenkalender bis zu Nachrichten, von Ratschlägen über Sex bis zur Hausfinanzierung, von Beratung und Hilfe durch einen Anwalt bis zu Gesundheitstipps. Bei uns im Äther gibt es die wichtigsten aktuellen Informationen über Wechselkurse, Neuigkeiten aus Russland und der ganzen Welt. Hören Sie unser Radio und versäumen Sie nichts Wichtiges!



Richard Cummings über Radio Free Europe
und Radio Liberty


Von Agenten und Überläufern Spannend wurde es dann mit Richard H. Cummings Beitrag zum Radiotag mit dem Thema “More Stories around Radio Free Europe and Radio Liberty”.

Ein Jahr zuvor hatte Cummings ausführlich über die Geschichte von RFE und RL berichtet. Im kalten Krieg der 50er bis 80er Jahre sollten deren Programme einfache Hörer und Multiplikatoren in Osteuropa und der UdSSR erreichen. Im Funkhaus am Englischen Garten in München gaben sich westliche Musikstars die Klinke in die Hand. Dort wurden die Programme in osteuropäischen Sprachen produziert. Es gab ein Abkommen der Amerikaner mit der Bundesregierung über den Betrieb der Sender auf dem Bundesgebiet. Darin war auch festgelegt, dass beide Sender keine deutschsprachigen Programme ausstrahlen durften. Im ehemaligen Flughafengebäude am Oberwiesenfeld saß der russische Service. Dieses Gebäude wurde Ende der 60er Jahre für den Bau des Olympiastadions gesprengt. Die Sendeanlagen standen im Lampertheim, Biblis, Holzkirchen, in Maxoqueira, Portugal, und in Pals, Spanien, an der Küste nördlich von Barcelona. Eine besondere Herausforderung war die Umgehung der Störsender in Osteuropa, die den Empfang der westlichen Programme unterbinden sollten. Dabei half die Erdrotation. Es wurden Frequenzen auf der Kurzwelle gewählt, die am Tageshimmel im Westen in der Ionosphäre reflektiert wurden. Die aber gleichzeitig weiter östlich am Nachthimmel nicht reflektiert wurden. Dadurch sollten die östlich liegenden Störsender keine Raumwelle erzeugen, die im Zielgebiet der westlichen Sender runtergekommen wäre. Dieses ewige Katz-und-Maus-Spiel kostete Riesenbeträge an Sendeleistung auf beiden Seiten, aber “wir wurden gehört, wenn auch nicht immer und nicht überall”.

In diesem Jahr berichtete er von Agenten und Überläufern die bei RFE in Dienst genommen wurde. Er präsentierte spannende Geschichten über Agenten, die auf einmal verschwunden und nach Jahren unter anderem Namen wieder aufgetaucht sind. Kaum zu glauben, aber Cummings hat das sehr akribisch recherchiert und mit Bilder von Ausweisen, original Fotos vom CIA die Fälschungen von Identitäten nachgewiesen. In seinem Buch “Cold War Frequencies” berichtet er viel über solche Agententätigkeiten.

Richard H. Cummings ist Amerikaner und war Sicherheitschef von Radio Free Europe und Radio Liberty in München. Von ihm sind mehrere Bücher in englischer Sprache erschienen. Sie beruhen auf eigenen Erlebnissen und auf der Analyse von Unterlagen der amerikanischen Regierung einschließlich des CIA. Diese Dokumente wurden nach Ablauf von Fristen öffentlich zugänglich. Neben RFE und RL gab es diverse Clandestine Radios und gescheiterte Projekte die in seinen Büchern behandelt werden.



Radio Caroline heute

Die “Very Special Guests” waren Mandy Marton (DJ “Radio Seagull”) und Alan Beech (Sendetechniker “Radio Caroline”). Alan zeigte an Hand von vielen Bildern die Sendeanlagen von Radio Caroline und die Technik von gestern, heute und morgen. Die originalen Sendeanlagen auf dem Schiff sind jahrelang nicht gewartet worden und daher aktuell nicht einsatzbereit. Ebenso ist der neu auf der Ross Revenge errichtete Gittermast mehr ein Symbol. Auch er wäre “im Ernstfall” so noch nicht als Antenne zu betreiben. Es sind nun schon 40 Jahre vergangen seit dem Neubeginn 1983, und das Schiff war in der Zwischenzeit mehrfach in einem Dock zur Überholung. Das wird nun wieder fällig und um die benötigten finanziellen Mittel zu bekommen veranstaltet man die “Fund Raising Weekends”.

Heute ändert sich die Situation auf der Mittelwelle in Großbritannien laufend. Ähnlich wie auf dem Kontinent schalten nach und nach sowohl BBC Lokalradios als auch kommerzielle Sender ab, zuletzt Ende September Capital Radio auf 1548kHz, kurz vor dem 50 jährigen Bestehen dieser Station. Wenn diese Frequenzen damit zurückgegeben werden, dann verfallen sie und werden von der Ofcom Behörde nicht mehr neu ausgeschrieben.

• Radio Caroline ist online unter www.radiocaroline.co.uk 
zu erreichen. Auf der Mittelwelle 648 kHz ist die Community Radiostation seit 2017 tagsüber auch bei uns zu hören. Der Standort ist Orfordness im Südosten Englands. Hier direkt im sumpfigen Marschland stehen die stillgelegten Antennenmasten die früher der BBC World Service auf 648 und 1296 kHz Richtung Mittel - und Osteuropa betrieben hatte. Einer der auf einem Isolator stehenden Masten mit Rundstrahlcharakteristik wird von Radio Caroline mit einem 2,5 kW Sender von Nautel betrieben.

Der andere nur mit Halbleitern bestückte 25kW Harris-Sender enthält 64 Verstärker mit je 1 kW, die parallel geschaltet sind und von denen die für die genehmigte Sendeleistung notwendige Anzahl angewählt werden kann. Diese Technik ist nicht unproblematisch, es passierte deshalb, dass der Sender zweitweise mit zu niedriger Leistung lief. Der Harris-Sender ist an den zentralen Mast einer 5er-Gruppe angeschlossen, die ursprünglich als Richtantenne für Osteuropa gebaut worden war.

Das Gelände von Orfordness ist nicht einfach zu erreichen und man ist somit auf einen Automatikbetrieb der Anlagen angewiesen. Aber Alan Beech kann heute bei Bedarf von zu Hause aus bequem vom einen Sender und dessen Antenne auf das andere System komplett umschalten. Mit Einbruch der Dunkelheit stört ein Sender aus Slowenien den Empfang auf dem Kontinent. Dieses Fading wird schon durch Abweichungen der tatsächlichen Sendefrequenz von 1 oder 2 Hertz zwischen zwei Sendern erzeugt. Das sind Größenordnungen, die erst heutzutage mit der SDR Technik überhaupt messbar geworden sind. Ebenso ist der Empfang der Mittelwelle in einer Stadt wie London zu stark gestört, dort ist man auf DAB zu empfangen. Aber ein guter Mittelwellenempfang liegt nicht nur am Sender. Moderne Radios mit Mittelwelle haben eine deutlich niedrigere Bandbreite. Deshalb wird die Audioqualität auf älteren und breitbandigeren Empfängern oft als besser wahrgenommen.

An vielen Wochenenden im Jahr ist das Programm als Radio Caroline North auch nachts auf 1368 kHz über den Sender von Manx Radio empfangbar. Dann kommen alle Sendungen live aus den Studios an Bord des Schiffes “Ross Revenge”. Radio Caroline ist nicht nur “Europe’s First Album Station” sondern nun auch “Englands First Solar Power Station”. Denn seit einiger Zeit wird der Sender mit Unterstützung einer Photovoltaikanlage betrieben. Deren aktueller Anteil an der elektrischen Versorgung wird kontinuierlich auf der Homepage angezeigt.



Mandy Marton: mein Weg zu Radio Seagull

Mandy erzählte aus der Sicht des “Moderators” bzw. des DJs, wie es in England und den Niederlanden heißt. Mandy ist zu hören jeden Freitag von 8.00 bis 12.00 Uhr. “Mandy verbrachte ihre prägenden Teenagerjahre damit, Londons legendären Piraten der 1970er und 80er Jahre wie Radio Jackie zuzuhören, und nachdem sie einmal vom Virus gebissen worden war, half sie bald bei verschiedenen Stationen aus.

Es dauerte nicht lange, bis sie Sendungen unter verschiedenen On-Air Pseudonymen moderierte, und von diesen bescheidenen Anfängen aus kam sie dazu, die Jungs herumzukommandieren und ihren eigenen Sender “Bromley Sounds” zu leiten, sowie einige sehr kurze Arbeiten für das BBC-Lokalradio und das berühmte United Biscuits Network (UBN).

Ein Angebot bei Radio Caroline zu arbeiten konnte sie 1984 aus privaten Gründen nicht wahrnehmen. Auf der Ross Revenge war sie später, zum Beispiel während RSL Sendungen im Jahr 2008. Auf einem Schiff heißt es dann natürlich auch “mit Hand anlegen”. Also Rostklopfen, neu anstreichen oder Dienst in der Kombüse sind tägliche Routinen an denen niemand vorbeikommt. Mandy Marton und Alan Beech waren auch hilfreich bei der Produktion des Spielfilmes “The Boat That Rocked”. Alle Soundaufnahmen des Filmes wurden mit dem Equipment der Ross Revenge produziert.
Ihre zahlreichen Kontakte in der Radioszene führten dann 2008 zum Start bei Radio Seagull in Harlingen. Deren Schiff “Jenny Baynton” wurde verschiedentlich für Livesendungen hinaus in die Wattensee geschleppt. Damals konnte noch ein Sender auf 1602 kHz an Bord betrieben werden. Die Änderungen der lokalen Mittelwellenlizenzen für niedrige Leistungen verhindern dies heute. Zahlreiche Fotos von Mandy dokumentierten die Zusammenarbeit dort mit den DJs und Besatzungsmitgliedern an Bord, die meisten Namen sind heute noch dabei.

Im Sommer 2023 gab es in Felixstowe eine Sendewoche als Big L von Ray Anderson. Hier diente ein klassischer roter Doppeldeckerbus als Studiohaus. Die Professionalität von Mandy live im Studio sorgte eindeutig für einen Anstieg der Hörerreaktionen auf diese Programme, wie man den Grüßen und Musikwünschen entnehmen konnte.

Von ihren Anfängen beim Radio bis hin zur Londoner Underground-Punk-Bewegung der frühen 80er Jahre tanzte und sang sie auf der Bühne mit mehreren Bands wie UK Subs und The Addicts. Eine Zeit lang war sie Frontfrau ihrer eigenen Band - ein Blondie-Look und -Sound gleichermaßen. Auf ihrem Weg arbeitete sie eng mit Leuten wie Max Splodge von Splodgenessabounds und Chris Difford und Glen Tilbrook von Squeeze zusammen”.

Dementsprechend ist Progressive Rock wie bei Seagull ihre Heimat, aber Formate wie Big L kann und mag sie genauso gerne adaptieren, solange sie dem DJ genügend Freiheiten lässt. Eine sehr nette Moderatorin oder wie es in Radiokreisen heißt - toller DJ - tolle Stimme - tolle Kollegin.

• Radio Seagull ist online unter www.radioseagull.com 
zu erreichen und sendet im Norden der Niederlande auf 747 kHz (tagsüber ist Radio Emmeloord über den gleichen Sender zu hören). Bereits 1973 und 74 kamen Programme von der MV Mi Amigo nachts unter dem Namen Radio Seagull. Damit begann der Wechsel von Radio Caroline zu einem Albumformat. Einige DJs, denen Top 40 mehr lag wechselten damals zu RNI oder Radio Atlantis. Ronan O’Rahilly sagte in einem Interview: “Der Name Seagull kommt von dem Buch ‘Jonathan Livingston Seagull’, in dem es um das Experimentieren mit der Freiheit geht. Und ich unterstütze, daß dies es ist wofür die Station steht.”

Die Erzählung von Richard Bach aus dem Jahr 1970 ist auf Deutsch unter dem Titel “Die Möwe Jonathan” erschienen (ISBN 978-3-548-20897-8). Den Soundtrack zur Verfilmung von Jonathan Livingston Seagull lieferte Neil Diamond.





Niederlande aktuell

In den Niederlanden gibt es neben dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk, der NOS, auch private Radiostationen. In Deutschland werden die Frequenzen für Privatrundfunk von den Landesmedienbehörden ausgeschrieben. In den Niederlanden werden die Frequenzen auf UKW versteigert, ähnlich wie in Deutschland die Mobilfunkfrequenzen. Die aktuelle UKW - Frequenzversteigerung für landesweite Ketten in den Niederlanden war im Frühsommer diesen Jahres und brachte dem Staat 153 Mio Euro Erlös. Die so vergebenen Lizenzen haben eine Laufzeit von 12 Jahren und müssen bis 1. Dezember 2023 von den Stationen umgesetzt werden. Jedes Rundfunkunternehmen muss also scharf kalkulieren zwischen der Summe die man bietet, den eigenen Betriebskosten für 12 Jahre und den möglichen Werbeeinnahmen. Daneben gab es eine Neuregelung, dass jedes Medienunternehmen nur drei Sender bzw Programme betreiben darf. Wobei jedes Programm dann über mehrere UKW Frequenzen im ganzen Land ausgestrahlt wird. Dieses Verfahren brachte eine dramatische Änderung in der ganzen niederländischen Radiolandschaft. Der Sender 100%NL von Herbert Visser war voraussichtlich zu klein um gegen Unternehmen wie SKY dort mitzubieten. Deshalb wurde 100%NL vor der Meldung zur Auktion vom belgischen Unternehmen “Mediahuis” gekauft. Die Belgier kauften ebenso Radio Veronica und waren insgesamt am Ende der Auktion erfolgreich. Radio Veronica hat ja eine lange Geschichte die als Seesender auf einem Schiff begonnen hatte. Zuletzt gehörte Veronica zum Unternehmen TALPA Network. Dort besaß man mehr als drei Sender und hatte sich deshalb nun von Veronica getrennt.

TALPA entstand 2017 als das Medienunternehmen de Mol von John de Mol jun. mit Anderen fusionierte. In Deutschland ist dieser Name de Mol durch Produktionen für das Fernsehen bekannt. In den Niederlanden durch John de Mol sen. als den Betreiber des Niederländischen Programmes von Radio Nordsee International, womit alles begonnen hatte.

Eine weitere Neuregelung war, dass die erfolgreichen Sender nicht mehr so an ihr ursprünglich lizensiertes Format gebunden sind. Mit Ausnahme eines reinen Nachrichtensenders können diese also ihre Inhalte und Musikrichtungen nun freier ändern und entwickeln. Natürlich sind bei der Versteigerung am Ende auch Stationen wie zum Beispiel KINK ohne UKW Frequenz geblieben. Diese sind weiter nur noch als Stream und über Digitalradio DAB+ zu empfangen.

Herbert Visser sagte im Interview durch Helmut Slawik zu diesem Thema im Einzelnen: Den Stein ins Rollen gebracht hat der alternative Rockmusiksender Kink, der keine UKW-Frequenzen in den Niederlanden hat. Er löste eine Versteigerung der UKW-Frequenzen aus, obwohl Kink selber gar nicht die finanziellen Mittel für einen Erwerb besitzt.

Hinzu kam eine Gesetzesänderung, die einem Medienunternehmen den Betrieb von nur noch maximal drei Radioprogrammen erlauben. Daher hat die Firma Talpa den wenig gewinnträchtigen Sender Radio Veronica abgestoßen. Wobei durch die große Konkurrenz in den Niederlanden die Gewinnmargen der Sender insgesamt niedriger als in anderen Ländern sind.

Die Versteigerung selbst lief über mehrere Runden, wobei die teilnehmenden Unternehmen für die ausgeschriebenen Frequenzpakete anonym bieten. Jeder Bieter sieht also die von anderen gebotenen Summen, ohne zu wissen wer das jeweils ist. Bei der Versteigerung wurden die Höchstbietenden gezwungen, innerhalb von zwei Wochen für ihre zwölfjährige Lizenz zu zahlen. Für 100% NL und Slam waren das zusammen stolze 33 Millionen Euro. Dieser Betrag konnte nur aufgebracht werden, in dem sich die beiden Programme von dem belgischen Medienunternehmen Mediahuis aufkaufen ließen, indem Karl von Habsburg alle seine Anteile an der Radiocorp verkaufte. Außerdem kaufte Mediahuis, das auch im deutschen Zeitungsmarkt aktiv ist, Radio Veronica von Talpa in diesem Juli. Das hatte zur Folge, dass jetzt Herbert Visser zusammen mit seinem Kompagnon Carlo de Boer Radio Veronica zusätzlich zu 100% NL und Slam leitet.

Auf Slawiks Frage nach durch die Versteigerung bedingten programmlichen Veränderungen dieser drei Programme differenziert Visser im Einzelnen: Als Tribut für die hohen Versteigerungskosten wird das Programm 100% NL weiter kommerzialisiert, das heißt der Musikanteil in niederländischer Sprache sinkt von 70 auf 50 Prozent und gleichzeitig steigt der Anteil bekannter Musik gegenüber neuen Titeln um die Hörerquote hoch zu halten. Für Slam sind keine Veränderungen vorgesehen um das gewohnte Dance-Format zu erhalten.

Für Radio Veronica (Classic Hits) werden zwar langfristig höhere Einschaltquoten angestrebt, aber Programmdirektor Rob Stenders muss erst einmal den besten Weg dahin herausfinden. Auf diesem Weg wird sich das Personalkarussel nicht nur bei diesem Sender noch weiter drehen.

Am 1. September 2023 gingen mit der Neuverteilung der niederländischen UKW-Frequenzen auch Umstrukturierungen der DAB+ Netze einher. Dabei ist Broadcast Partners der preisgünstigste Netzbetreiber, der nun faktisch eine Monopolstellung hat, nachdem er auch das nationale NPO Netz auf Kanal 12C übernommen hat und jetzt dabei ist, die Veränderungen praktisch durchzuführen. Wettbewerber wie Norkring aus Belgien und Mediabroadcast aus Deutschland hatten dankend abgewinkt, als Netzbetreiber in den Niederlanden einzusteigen.

Als Anekdote bemerkte Visser, das Broadcast Partners im Besitz des Modeherstellers United Colors of Benetton ist. Diese italienische Familie ist sonst mit Unternehmen wie dem Formel1 Rennstall und Autobahngesellschaften befasst. Visser selbst wiederum vertritt alle kommerziellen Programme innerhalb der beiden nationalen Netze auf den DAB+ Kanälen 9C und 11C. Bei ihnen ist im Gegensatz zum nationalen NPO Netz auf Kanal 12C kein Umbau vorgesehen.

Erstaunt reagierten die Teilnehmer des 21. Erkrather Radiotags auf Vissers Vorstellung eines neuen Systems zur Reichweitenmessung von Radioprogrammen in Echtzeit. Dabei übermittelt eine App nonstop das Mikrofonsignal des Handys an einen zentralen Rechner, der es mit Radioprogrammen von Sendern vergleicht, die an der Messung teilnehmen. Da die Radioprogramme auf den unterschiedlichen Ausspielwegen UKW/DAB+/ Internet versteckte Kenungen ausstrahlen, kann sogar das jeweilige Empfangsmedium zusätzlich ermittelt werden. Insgesamt ist das ein Verfahren, das so in Deutschland aus datenschutzrechtlichen Gründen hoffentlich niemals genehmigt würde. Auch wenn die deutsche GEMA an der Entwicklung der Musikerkennung dieses Messsystems beteiligt ist.

Autoren: Jochen Schemm, Wolfgang Scheurer, Jan Sundermann

United Biscuits Network
UBN war ein zwischen 1970 und 1979 betriebenes firmeinternes Kabelradio für die Großbäckereien von United Biscuits (“Jaffa Cake”) in England. Es versorgte die Bäcker in den Werken rund um die Uhr mit live präsentierter Musik. Statt Werbung gab es Spots zum Beispiel über Sicherheit am Arbeitsplatz. Jeder Arbeitsplatz hatte einen Lautsprecher dessen Lautstärke die Mitarbeiter frei einstellen konnten. UBN entwickelte sich schnell zum idealen Übungsgelände für DJs. Einige Karrieren später bekannter Radioleute begannen hier. Dabei beschränkte sich die Musikauswahl nicht auf die westlichen Hitparaden. Schlagermusik aus indischen Spielfilmen gehörte dem Nationalitätenmix der Mitarbeiter entsprechend genauso dazu. Der Erfolg des Systems wurde daran gemessen, dass die vorher hohe Fluktuation der Schichtarbeiter deutlich abnahm.