Fotos: Archiv Jan Sundermann
Bericht vom 21. Radiotag in Hilden -
Eröffnet
von Helmut Stein QQTec und Jan Sundermann
Der
21. Radiotag fand wieder im t
echnischen Museum
QQTec in Hilden statt. Und diese Veranstaltung hat sich weiter
entwickelt. Sie besteht nicht mehr nur aus den nostalgischen
Betrachtungen von Seesendern und freien Radios. Schon früher hatten
wir einen Beitrag über die Zahlensender auf der Kurzwelle. Im Jahr
2022 schließlich konnten wir den Buchautor Richard H. Cummings
gewinnen mit einem Beitrag über Radio Liberty und Radio Free Europe.
Dazu gab es von ihm nun 2023 eine Fortsetzung. Und Martin van der
Ven mit seiner Recherche zur Geschichte der Voice of America
Sendungen vom US Coast Guard Cutter “Courier”. Von allerhöchster
Aktualität war aber der Beitrag von Herbert Visser und Helmut Slawik
über Radio Nasha Lenta und die Frequenzversteigerung in den
Niederlanden.
Die Voice of America vor Rhodos
vom Schiff USCGC Courier
Pünktlich um 13.30 Uhr startete der erste Referent seinen Vortrag.
Martin van der Ven referierte über “The Voice of America - offshore
vor Rhodos” - es ging um die USCGC Courier WAGR-410 die am 15.
Februar 1952 in Hoboken, New Jersey, in Dienst gestellt wurde und
dann zwölf Jahre lang als eine Sendestation der Voice of Americe dem
Auslandssender der USA (vergleichbar mit der Deutschen Welle)
während des Kalten Krieges diente.
Die USCGC Courier enthielt den leistungsstärksten
Kommunikationsfunksender, der jemals an Bord eines Schiffes
installiert wurde. Einen 150-Killowatt-Mittelwellensender sowie zwei
35 kW Kurzwellensender vom Typ Collins 1B35. Das Schiff hielt auch
den Rekord für den längsten Einsatz in Übersee - vom 17. Juli 1952
bis zum 13. August 1964 verbrachte sie keine Zeit in den
Hoheitsgewässern der Vereinigten Staaten, sondern war während dieser
Zeit vor der griechischen Insel Rhodos stationiert. Die USCGC
Courier wurde sogar vom amerikanischen Präsidenten Harry S. Truman
besucht. Es ist bekannt, dass die Offshore-Sendungen von diesem
Schiff die Technik der Piratensender wie Radio Nord oder Radio
Caroline inspiriert haben. Für die Mittelwellensendungen wurde
zuerst eine Drahtantenne benutzt, die durch einen heliumgefüllten
Ballon (blimp) hochgezogen wurde. Ähnlich wie später bei Laser Radio
vor der englischen Küste war das aber keine dauerhafte Lösung,
abgerissene Ballone trieben weg und stürzten in der Türkei ab.
Dieses System wurde durch eine Loop-Antenne zwischen den Masten des
Schiffes ersetzt. Dann war es auch nicht mehr notwendig für die MW
Sendungen auf See zu sein, und man nutze einen Liegeplatz im äußeren
Hafen von Rhodos. Für die Kurzwelle standen auf dem Vordeck zwei
Deltaloop Antennen in Form von stabilen Gittermastkonstruktionen.
Die Gesamtstärke der betriebenen Anlagen erzeugte auf dem Schiff
eine erhebliche Hochfrequenzverseuchung, die den direkten Empfang
der aus den USA zugespielten Programme unmöglich machte. Deshalb
errichtete man später auf der Insel eine Empfangsstation und spielte
von dort aus per Richtfunk das Material zu, welches dann
zeitversetzt über die eigentlichen Schiffssender Richtung Osteuropa
und die UdSSR ging.
Radio Nasha Lenta
auf AM aus Litauen
Der Niederländer Herbert Visser ist Geschäftsführer des Radiosenders
“100%NL” und wurde durch Helmut Slawik interviewt. Zunächst ging es
um den in den Niederlanden registrierten Sender Radio Nashalenta.
Dieser Sender steht in Litauen und sendet seit einem Jahr abends auf
der Mittelwelle 1557 kHz ein russischsprachiges Programm. Dieses
wird sowohl in Kiew und in Wien produziert. Dahinter steht der
österreichische Medienunternehmer Karl von Habsburg, dem
kommerzielle Sender in der Ukraine gehören. Das Ziel ist es die
Bevölkerung in Russland über den Krieg in der Ukraine zu informieren
aus der Sicht des Westens und aus der Sicht nicht-staatlicher Medien
und Journalisten aus der Ukraine. Die Sendungen hören sich in einem
dynamischen Privatradiostil durchaus flott an. Visser beschreibt,
wie es ihm gelungen ist, die Vermittlung des freien Worts durch
Offshore Radio zu ermöglichen.
Seit August 2022 ist der Sender Nasha Lenta auf Mittelwelle 1557 kHz
aus Litauen on air. Es ist ein Programm in russischer Sprache und
wendet sich an die russische Bevölkerung in Moskau, St. Petersburg
und weiteren Gebieten. Das Projekt entstand im Zusammenhang mit dem
Krieg gegen die Ukraine, ist aber als Infotainment Programm und
nicht als Propagandasender der Ukraine aufgebaut.
Herbert Visser hatte bereits auf dem vorherigen Radiotag
dargestellt, wie er einen Mittelwellensender wieder einsatzfähig
machen lassen konnte und Menschen zur Realisierung von Technik und
Programm an den Start gebracht hat.
Die Programminhalte werden in Wien und hauptsächlich Kiev
zusammengestellt. Sie werden über Internet nach Naarden/NL
überspielt, wo auch die Programme 100% NL, Slam und Radio Veronica
beheimatet sind. Hier werden sie in dem alten Gebäude von Radio
Nordsee International mit einer russischen Software zum fertigen
Radioprogramm vereint und zur Sendeanlage nach Litauen übermittelt.
Die Mittelwellenantennen dort hat man so geschickt ausgerichtet,
dass sie bei Dunkelheit optimal das Zielgebiet ausleuchten, aber
auch in Deutschland ist nachts der Empfang möglich.
Visser steht nicht nur an der Spitze von drei niederländischen
kommerziellen Radioprogrammen, sondern hat dort auch Nasha Lenta auf
seinen Namen registriert. Dabei ist er sich der Lebensgefahr von
unbequemen Menschen für das russische System bewusst. Für die
Ausstrahlung gibt es eine Lizenz in Litauen.
Das Programm gibt es auch als Stream auf:
https://nashalenta.com
rund um die Uhr. Dort sind auch die in Russland populären sozialen
Netzwerke Telegram und TikTok verlinkt, über die der Zuhörerkontakt
gewährleistet wird.
• Der Name des Senders aus Litauen bedeutet übersetzt “Unser
Band” oder “Unsere Verbindung”. Man schreibt auf der
Homepage über sich selbst: “Unser Band” Radio Lenta -
informativ-unterhaltsamer Radiosender. Aktuelle Nachrichten,
wichtige Ereignisse und Kommentare. Weiterhin wichtige Ratschläge,
Humor und vieles mehr täglich im Äther auf Frequenz 1557 AM. Hören
Sie auch den Radiosender 24/7 im Internet! Nur bei uns über 100
Programme zu verschiedenen Themen - vom Kirchenkalender bis zu
Nachrichten, von Ratschlägen über Sex bis zur Hausfinanzierung, von
Beratung und Hilfe durch einen Anwalt bis zu Gesundheitstipps. Bei
uns im Äther gibt es die wichtigsten aktuellen Informationen über
Wechselkurse, Neuigkeiten aus Russland und der ganzen Welt. Hören
Sie unser Radio und versäumen Sie nichts Wichtiges!
Richard Cummings über Radio Free Europe
und Radio Liberty
Von Agenten und Überläufern Spannend wurde es dann mit Richard H.
Cummings Beitrag zum Radiotag mit dem Thema “More Stories around
Radio Free Europe and Radio Liberty”.
Ein Jahr zuvor hatte Cummings ausführlich über die Geschichte von
RFE und RL berichtet. Im kalten Krieg der 50er bis 80er Jahre
sollten deren Programme einfache Hörer und Multiplikatoren in
Osteuropa und der UdSSR erreichen. Im Funkhaus am Englischen Garten
in München gaben sich westliche Musikstars die Klinke in die Hand.
Dort wurden die Programme in osteuropäischen Sprachen produziert. Es
gab ein Abkommen der Amerikaner mit der Bundesregierung über den
Betrieb der Sender auf dem Bundesgebiet. Darin war auch festgelegt,
dass beide Sender keine deutschsprachigen Programme ausstrahlen
durften. Im ehemaligen Flughafengebäude am Oberwiesenfeld saß der
russische Service. Dieses Gebäude wurde Ende der 60er Jahre für den
Bau des Olympiastadions gesprengt. Die Sendeanlagen standen im
Lampertheim, Biblis, Holzkirchen, in Maxoqueira, Portugal, und in
Pals, Spanien, an der Küste nördlich von Barcelona. Eine besondere
Herausforderung war die Umgehung der Störsender in Osteuropa, die
den Empfang der westlichen Programme unterbinden sollten. Dabei half
die Erdrotation. Es wurden Frequenzen auf der Kurzwelle gewählt, die
am Tageshimmel im Westen in der Ionosphäre reflektiert wurden. Die
aber gleichzeitig weiter östlich am Nachthimmel nicht reflektiert
wurden. Dadurch sollten die östlich liegenden Störsender keine
Raumwelle erzeugen, die im Zielgebiet der westlichen Sender
runtergekommen wäre. Dieses ewige Katz-und-Maus-Spiel kostete
Riesenbeträge an Sendeleistung auf beiden Seiten, aber “wir wurden
gehört, wenn auch nicht immer und nicht überall”.
In diesem Jahr berichtete er von Agenten und Überläufern die bei RFE
in Dienst genommen wurde. Er präsentierte spannende Geschichten über
Agenten, die auf einmal verschwunden und nach Jahren unter anderem
Namen wieder aufgetaucht sind. Kaum zu glauben, aber Cummings hat
das sehr akribisch recherchiert und mit Bilder von Ausweisen,
original Fotos vom CIA die Fälschungen von Identitäten nachgewiesen.
In seinem Buch “Cold War Frequencies” berichtet er viel über solche
Agententätigkeiten.
•
Richard H. Cummings ist Amerikaner und war
Sicherheitschef von Radio Free Europe und Radio Liberty in München.
Von ihm sind mehrere Bücher in englischer Sprache erschienen. Sie
beruhen auf eigenen Erlebnissen und auf der Analyse von Unterlagen
der amerikanischen Regierung einschließlich des CIA. Diese Dokumente
wurden nach Ablauf von Fristen öffentlich zugänglich. Neben RFE und
RL gab es diverse Clandestine Radios und gescheiterte Projekte die
in seinen Büchern behandelt werden.
Radio Caroline
heute
Die “Very Special Guests” waren Mandy Marton (DJ “Radio Seagull”)
und Alan Beech (Sendetechniker “Radio Caroline”). Alan zeigte an
Hand von vielen Bildern die Sendeanlagen von Radio Caroline und die
Technik von gestern, heute und morgen. Die originalen Sendeanlagen
auf dem Schiff sind jahrelang nicht gewartet worden und daher
aktuell nicht einsatzbereit. Ebenso ist der neu auf der Ross Revenge
errichtete Gittermast mehr ein Symbol. Auch er wäre “im Ernstfall”
so noch nicht als Antenne zu betreiben. Es sind nun schon 40 Jahre
vergangen seit dem Neubeginn 1983, und das Schiff war in der
Zwischenzeit mehrfach in einem Dock zur Überholung. Das wird nun
wieder fällig und um die benötigten finanziellen Mittel zu bekommen
veranstaltet man die “Fund Raising Weekends”.
Heute ändert sich die Situation auf der Mittelwelle in
Großbritannien laufend. Ähnlich wie auf dem Kontinent schalten nach
und nach sowohl BBC Lokalradios als auch kommerzielle Sender ab,
zuletzt Ende September Capital Radio auf 1548kHz, kurz vor dem 50
jährigen Bestehen dieser Station. Wenn diese Frequenzen damit
zurückgegeben werden, dann verfallen sie und werden von der Ofcom
Behörde nicht mehr neu ausgeschrieben.
• Radio Caroline ist online unter
www.radiocaroline.co.uk
zu erreichen. Auf der Mittelwelle 648 kHz ist die Community
Radiostation seit 2017 tagsüber auch bei uns zu hören. Der Standort
ist Orfordness im Südosten Englands. Hier direkt im sumpfigen
Marschland stehen die stillgelegten Antennenmasten die früher der
BBC World Service auf 648 und 1296 kHz Richtung Mittel - und
Osteuropa betrieben hatte. Einer der auf einem Isolator stehenden
Masten mit Rundstrahlcharakteristik wird von Radio Caroline mit
einem 2,5 kW Sender von Nautel betrieben.
Der andere nur mit Halbleitern bestückte 25kW Harris-Sender enthält
64 Verstärker mit je 1 kW, die parallel geschaltet sind und von
denen die für die genehmigte Sendeleistung notwendige Anzahl
angewählt werden kann. Diese Technik ist nicht unproblematisch, es
passierte deshalb, dass der Sender zweitweise mit zu niedriger
Leistung lief. Der Harris-Sender ist an den zentralen Mast einer
5er-Gruppe angeschlossen, die ursprünglich als Richtantenne für
Osteuropa gebaut worden war.
Das Gelände von Orfordness ist nicht einfach zu erreichen und man
ist somit auf einen Automatikbetrieb der Anlagen angewiesen. Aber
Alan Beech kann heute bei Bedarf von zu Hause aus bequem vom einen
Sender und dessen Antenne auf das andere System komplett umschalten.
Mit Einbruch der Dunkelheit stört ein Sender aus Slowenien den
Empfang auf dem Kontinent. Dieses Fading wird schon durch
Abweichungen der tatsächlichen Sendefrequenz von 1 oder 2 Hertz
zwischen zwei Sendern erzeugt. Das sind Größenordnungen, die erst
heutzutage mit der SDR Technik überhaupt messbar geworden sind.
Ebenso ist der Empfang der Mittelwelle in einer Stadt wie London zu
stark gestört, dort ist man auf DAB zu empfangen. Aber ein guter
Mittelwellenempfang liegt nicht nur am Sender. Moderne Radios mit
Mittelwelle haben eine deutlich niedrigere Bandbreite. Deshalb wird
die Audioqualität auf älteren und breitbandigeren Empfängern oft als
besser wahrgenommen.
An vielen Wochenenden im Jahr ist das Programm als Radio Caroline
North auch nachts auf 1368 kHz über den Sender von Manx Radio
empfangbar. Dann kommen alle Sendungen live aus den Studios an Bord
des Schiffes “Ross Revenge”. Radio Caroline ist nicht nur “Europe’s
First Album Station” sondern nun auch “Englands First Solar Power
Station”. Denn seit einiger Zeit wird der Sender mit Unterstützung
einer Photovoltaikanlage betrieben. Deren aktueller Anteil an der
elektrischen Versorgung wird kontinuierlich auf der Homepage
angezeigt.
Mandy Marton: mein Weg zu Radio Seagull
Mandy erzählte aus der Sicht des “Moderators” bzw. des DJs, wie es
in England und den Niederlanden heißt. Mandy ist zu hören jeden
Freitag von 8.00 bis 12.00 Uhr. “Mandy verbrachte ihre prägenden
Teenagerjahre damit, Londons legendären Piraten der 1970er und 80er
Jahre wie Radio Jackie zuzuhören, und nachdem sie einmal vom Virus
gebissen worden war, half sie bald bei verschiedenen Stationen aus.
Es dauerte nicht lange, bis sie Sendungen unter verschiedenen On-Air
Pseudonymen moderierte, und von diesen bescheidenen Anfängen aus kam
sie dazu, die Jungs herumzukommandieren und ihren eigenen Sender “Bromley
Sounds” zu leiten, sowie einige sehr kurze Arbeiten für das
BBC-Lokalradio und das berühmte United Biscuits Network (UBN).
Ein Angebot bei Radio Caroline zu arbeiten konnte sie 1984 aus
privaten Gründen nicht wahrnehmen. Auf der Ross Revenge war sie
später, zum Beispiel während RSL Sendungen im Jahr 2008. Auf einem
Schiff heißt es dann natürlich auch “mit Hand anlegen”. Also
Rostklopfen, neu anstreichen oder Dienst in der Kombüse sind
tägliche Routinen an denen niemand vorbeikommt. Mandy Marton und
Alan Beech waren auch hilfreich bei der Produktion des Spielfilmes
“The Boat That Rocked”. Alle Soundaufnahmen des Filmes wurden mit
dem Equipment der Ross Revenge produziert.
Ihre zahlreichen Kontakte in der Radioszene führten dann 2008 zum
Start bei Radio Seagull in Harlingen. Deren Schiff “Jenny Baynton”
wurde verschiedentlich für Livesendungen hinaus in die Wattensee
geschleppt. Damals konnte noch ein Sender auf 1602 kHz an Bord
betrieben werden. Die Änderungen der lokalen Mittelwellenlizenzen
für niedrige Leistungen verhindern dies heute. Zahlreiche Fotos von
Mandy dokumentierten die Zusammenarbeit dort mit den DJs und
Besatzungsmitgliedern an Bord, die meisten Namen sind heute noch
dabei.
Im Sommer 2023 gab es in Felixstowe eine Sendewoche als Big L von
Ray Anderson. Hier diente ein klassischer roter Doppeldeckerbus als
Studiohaus. Die Professionalität von Mandy live im Studio sorgte
eindeutig für einen Anstieg der Hörerreaktionen auf diese Programme,
wie man den Grüßen und Musikwünschen entnehmen konnte.
Von ihren Anfängen beim Radio bis hin zur Londoner
Underground-Punk-Bewegung der frühen 80er Jahre tanzte und sang sie
auf der Bühne mit mehreren Bands wie UK Subs und The Addicts. Eine
Zeit lang war sie Frontfrau ihrer eigenen Band - ein Blondie-Look
und -Sound gleichermaßen. Auf ihrem Weg arbeitete sie eng mit Leuten
wie Max Splodge von Splodgenessabounds und Chris Difford und Glen
Tilbrook von Squeeze zusammen”.
Dementsprechend ist Progressive Rock wie bei Seagull ihre Heimat,
aber Formate wie Big L kann und mag sie genauso gerne adaptieren,
solange sie dem DJ genügend Freiheiten lässt. Eine sehr nette
Moderatorin oder wie es in Radiokreisen heißt - toller DJ - tolle
Stimme - tolle Kollegin.
• Radio Seagull ist online unter
www.radioseagull.com
zu erreichen und sendet im Norden der Niederlande auf 747 kHz
(tagsüber ist Radio Emmeloord über den gleichen Sender zu hören).
Bereits 1973 und 74 kamen Programme von der MV Mi Amigo nachts unter
dem Namen Radio Seagull. Damit begann der Wechsel von Radio Caroline
zu einem Albumformat. Einige DJs, denen Top 40 mehr lag wechselten
damals zu RNI oder Radio Atlantis. Ronan O’Rahilly sagte in einem
Interview: “Der Name Seagull kommt von dem Buch ‘Jonathan Livingston
Seagull’, in dem es um das Experimentieren mit der Freiheit geht.
Und ich unterstütze, daß dies es ist wofür die Station steht.”
Die Erzählung von Richard Bach aus dem Jahr 1970 ist auf Deutsch
unter dem Titel “Die Möwe Jonathan” erschienen (ISBN
978-3-548-20897-8). Den Soundtrack zur Verfilmung von Jonathan
Livingston Seagull lieferte Neil Diamond.
Niederlande aktuell
In den Niederlanden gibt es neben dem öffentlich-rechtlichen
Rundfunk, der NOS, auch private Radiostationen. In Deutschland
werden die Frequenzen für Privatrundfunk von den
Landesmedienbehörden ausgeschrieben. In den Niederlanden werden die
Frequenzen auf UKW versteigert, ähnlich wie in Deutschland die
Mobilfunkfrequenzen. Die aktuelle UKW - Frequenzversteigerung für
landesweite Ketten in den Niederlanden war im Frühsommer diesen
Jahres und brachte dem Staat 153 Mio Euro Erlös. Die so vergebenen
Lizenzen haben eine Laufzeit von 12 Jahren und müssen bis 1.
Dezember 2023 von den Stationen umgesetzt werden. Jedes
Rundfunkunternehmen muss also scharf kalkulieren zwischen der Summe
die man bietet, den eigenen Betriebskosten für 12 Jahre und den
möglichen Werbeeinnahmen. Daneben gab es eine Neuregelung, dass
jedes Medienunternehmen nur drei Sender bzw Programme betreiben
darf. Wobei jedes Programm dann über mehrere UKW Frequenzen im
ganzen Land ausgestrahlt wird. Dieses Verfahren brachte eine
dramatische Änderung in der ganzen niederländischen Radiolandschaft.
Der Sender 100%NL von Herbert Visser war voraussichtlich zu klein um
gegen Unternehmen wie SKY dort mitzubieten. Deshalb wurde 100%NL vor
der Meldung zur Auktion vom belgischen Unternehmen “Mediahuis”
gekauft. Die Belgier kauften ebenso Radio Veronica und waren
insgesamt am Ende der Auktion erfolgreich. Radio Veronica hat ja
eine lange Geschichte die als Seesender auf einem Schiff begonnen
hatte. Zuletzt gehörte Veronica zum Unternehmen TALPA Network. Dort
besaß man mehr als drei Sender und hatte sich deshalb nun von
Veronica getrennt.
TALPA entstand 2017 als das Medienunternehmen de Mol von John de Mol
jun. mit Anderen fusionierte. In Deutschland ist dieser Name de Mol
durch Produktionen für das Fernsehen bekannt. In den Niederlanden
durch John de Mol sen. als den Betreiber des Niederländischen
Programmes von Radio Nordsee International, womit alles begonnen
hatte.
Eine weitere Neuregelung war, dass die erfolgreichen Sender nicht
mehr so an ihr ursprünglich lizensiertes Format gebunden sind. Mit
Ausnahme eines reinen Nachrichtensenders können diese also ihre
Inhalte und Musikrichtungen nun freier ändern und entwickeln.
Natürlich sind bei der Versteigerung am Ende auch Stationen wie zum
Beispiel KINK ohne UKW Frequenz geblieben. Diese sind weiter nur
noch als Stream und über Digitalradio DAB+ zu empfangen.
Herbert Visser sagte im Interview durch Helmut Slawik zu diesem
Thema im Einzelnen: Den Stein ins Rollen gebracht hat der
alternative Rockmusiksender Kink, der keine UKW-Frequenzen in den
Niederlanden hat. Er löste eine Versteigerung der UKW-Frequenzen
aus, obwohl Kink selber gar nicht die finanziellen Mittel für einen
Erwerb besitzt.
Hinzu kam eine Gesetzesänderung, die einem Medienunternehmen den
Betrieb von nur noch maximal drei Radioprogrammen erlauben. Daher
hat die Firma Talpa den wenig gewinnträchtigen Sender Radio Veronica
abgestoßen. Wobei durch die große Konkurrenz in den Niederlanden die
Gewinnmargen der Sender insgesamt niedriger als in anderen Ländern
sind.
Die Versteigerung selbst lief über mehrere Runden, wobei die
teilnehmenden Unternehmen für die ausgeschriebenen Frequenzpakete
anonym bieten. Jeder Bieter sieht also die von anderen gebotenen
Summen, ohne zu wissen wer das jeweils ist. Bei der Versteigerung
wurden die Höchstbietenden gezwungen, innerhalb von zwei Wochen für
ihre zwölfjährige Lizenz zu zahlen. Für 100% NL und Slam waren das
zusammen stolze 33 Millionen Euro. Dieser Betrag konnte nur
aufgebracht werden, in dem sich die beiden Programme von dem
belgischen Medienunternehmen Mediahuis aufkaufen ließen, indem Karl
von Habsburg alle seine Anteile an der Radiocorp verkaufte. Außerdem
kaufte Mediahuis, das auch im deutschen Zeitungsmarkt aktiv ist,
Radio Veronica von Talpa in diesem Juli. Das hatte zur Folge, dass
jetzt Herbert Visser zusammen mit seinem Kompagnon Carlo de Boer
Radio Veronica zusätzlich zu 100% NL und Slam leitet.
Auf Slawiks Frage nach durch die Versteigerung bedingten
programmlichen Veränderungen dieser drei Programme differenziert
Visser im Einzelnen: Als Tribut für die hohen Versteigerungskosten
wird das Programm 100% NL weiter kommerzialisiert, das heißt der
Musikanteil in niederländischer Sprache sinkt von 70 auf 50 Prozent
und gleichzeitig steigt der Anteil bekannter Musik gegenüber neuen
Titeln um die Hörerquote hoch zu halten. Für Slam sind keine
Veränderungen vorgesehen um das gewohnte Dance-Format zu erhalten.
Für Radio Veronica (Classic Hits) werden zwar langfristig höhere
Einschaltquoten angestrebt, aber Programmdirektor Rob Stenders muss
erst einmal den besten Weg dahin herausfinden. Auf diesem Weg wird
sich das Personalkarussel nicht nur bei diesem Sender noch weiter
drehen.
Am 1. September 2023 gingen mit der Neuverteilung der
niederländischen UKW-Frequenzen auch Umstrukturierungen der DAB+
Netze einher. Dabei ist Broadcast Partners der preisgünstigste
Netzbetreiber, der nun faktisch eine Monopolstellung hat, nachdem er
auch das nationale NPO Netz auf Kanal 12C übernommen hat und jetzt
dabei ist, die Veränderungen praktisch durchzuführen. Wettbewerber
wie Norkring aus Belgien und Mediabroadcast aus Deutschland hatten
dankend abgewinkt, als Netzbetreiber in den Niederlanden
einzusteigen.
Als Anekdote bemerkte Visser, das Broadcast Partners im Besitz des
Modeherstellers United Colors of Benetton ist. Diese italienische
Familie ist sonst mit Unternehmen wie dem Formel1 Rennstall und
Autobahngesellschaften befasst. Visser selbst wiederum vertritt alle
kommerziellen Programme innerhalb der beiden nationalen Netze auf
den DAB+ Kanälen 9C und 11C. Bei ihnen ist im Gegensatz zum
nationalen NPO Netz auf Kanal 12C kein Umbau vorgesehen.
Erstaunt reagierten die Teilnehmer des 21. Erkrather Radiotags auf
Vissers Vorstellung eines neuen Systems zur Reichweitenmessung von
Radioprogrammen in Echtzeit. Dabei übermittelt eine App nonstop das
Mikrofonsignal des Handys an einen zentralen Rechner, der es mit
Radioprogrammen von Sendern vergleicht, die an der Messung
teilnehmen. Da die Radioprogramme auf den unterschiedlichen
Ausspielwegen UKW/DAB+/ Internet versteckte Kenungen ausstrahlen,
kann sogar das jeweilige Empfangsmedium zusätzlich ermittelt werden.
Insgesamt ist das ein Verfahren, das so in Deutschland aus
datenschutzrechtlichen Gründen hoffentlich niemals genehmigt würde.
Auch wenn die deutsche GEMA an der Entwicklung der Musikerkennung
dieses Messsystems beteiligt ist.
Autoren: Jochen Schemm, Wolfgang Scheurer, Jan
Sundermann
•
United Biscuits Network
UBN war ein zwischen 1970 und 1979 betriebenes firmeinternes
Kabelradio für die Großbäckereien von United Biscuits (“Jaffa Cake”)
in England. Es versorgte die Bäcker in den Werken rund um die Uhr
mit live präsentierter Musik. Statt Werbung gab es Spots zum
Beispiel über Sicherheit am Arbeitsplatz. Jeder Arbeitsplatz hatte
einen Lautsprecher dessen Lautstärke die Mitarbeiter frei einstellen
konnten. UBN entwickelte sich schnell zum idealen Übungsgelände für
DJs. Einige Karrieren später bekannter Radioleute begannen hier.
Dabei beschränkte sich die Musikauswahl nicht auf die westlichen
Hitparaden. Schlagermusik aus indischen Spielfilmen gehörte dem
Nationalitätenmix der Mitarbeiter entsprechend genauso dazu. Der
Erfolg des Systems wurde daran gemessen, dass die vorher hohe
Fluktuation der Schichtarbeiter deutlich abnahm.