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100 Jahre Radio (Teil 21-3) -
Schulradio in den 1950er Jahren
Die Sendungen vermieden eine trockene Aufzählung von Fakten und
wortreiche Belege; man achtete sehr genau auf das Verständnis der
jungen Hörerinnen und Hörer und sorgte dafür, dass die Angebote den
Anforderungen an Attraktivität, Aktualität und Unmittelbarkeit
gerecht wurden. Aber natürlich blieb immer auch eine Aufgabe für die
begleitende Lehrkraft, die gemeinsam mit den Schülerinnen und
Schülern das Schulradioprogramm hörte. Für diesen ging es darum, die
spontanen Fragen aus dem Klassenzimmer direkt aufzugreifen. Die
Autorität des Klassenlehrers deckte die des Radios ab.
Das Schulradio wurde daher in den 1950er Jahren in vielen Schulen
eingesetzt. Lehrer und Schulbehörden sahen darin eine deutliche
Erweiterung des Lehrplans und damit eine Erweiterung des Blickfelds
der Kinder. Auch in wissenschaftlichen Kreisen erregte das Phänomen
Aufmerksamkeit. Bereits in den 1950er Jahren gab es zahlreiche
Veröffentlichungen über den Nutzen des Schulradios. So wies 1950 ein
Bericht mit dem Titel “School Radio”, herausgegeben vom
Nutsseminarium voor Pedagogiek der Universität Amsterdam,
nachdrücklich auf die große Bedeutung des Schulradios hin: “Wenn die
Schule dazu beiträgt, ein gespanntes, ehrfürchtiges und kritisches
Zuhören vorzubereiten, zur Entwicklung eines vernünftigen Denkens
und einer sublimierten Emotionalität beizutragen, erfüllt sie
teilweise ihre gesellschaftliche Aufgabe.” Das Schulradio könne der
Jugend, also den Erwachsenen von “morgen”, vermitteln, dass das
Radio viel mehr bringen könne als nur Musik und Unterhaltung,
nämlich Information und Bildung.
Auch die Soziologen von damals hatten eine klare Erklärung für den
Erfolg des Schulradios. So schrieb Klaas van Dijk, der 1953 über
Radio und Volksentwicklung promovierte, in seiner Dissertation:
“Inzwischen kann man das Wachstum, den Erfolg des Schulradios wohl
zu einem guten Teil auf den Umstand zurückführen, dass sich diese
Sendungen an ein bereits bekanntes Publikum wenden, ein Publikum,
dessen Zusammensetzung ebenfalls bekannt und homogen ist. Über die
Psychologie wie über die Praxis der Schulbildung ist viel
geschrieben worden, vieles kann sogar als Allgemeinwissen bezeichnet
werden, so dass es der Ersteller des Schulradios sehr leicht hat im
Vergleich zu demjenigen, der eine Lehrsendung im Rahmen einer
außerschulischen Volksbildung für Erwachsene vorbereitet.”
SchulradioKompilatoren, so wurde argumentiert, hätten es ziemlich
leicht, weil die Radiomacher gut wüssten, wie sie ihr jugendliches
Publikum ansprechen könnten.
Diese Leichtigkeit war im Übrigen nicht ganz offensichtlich. Sie
hatte zum großen Teil damit zu tun, dass man anderswo - vor allem in
England und Amerika - bereits die nötigen Erfahrungen mit dieser Art
von Programmen gesammelt hatte. Dort hatte sich bereits ein Modell
entwickelt, das nachgeahmt werden konnte. Darüber hinaus wurden die
Macher der Radiosendungen mit wissenserweiternden Inhalten gründlich
geschult. Neben der normalen Ausbildung gab es zum Beispiel in
England bereits im Jahr 1936 erstmals eine umfassende Schulung der
BBC-Mitarbeiter. Dazu wurde eine spezielle Schule für
Radiomitarbeiter eröffnet, die erste ihrer Art. Zunächst wurden dort
die “eigenen Leute” in den verschiedenen Bereichen des Radiomachens
geschult, aber bald kamen auch Studenten aus dem Ausland. Nach dem
Zweiten Weltkrieg, in dem der Betrieb praktisch zum Erliegen
gekommen war, führte die BBC fünf verschiedene Kurse nebeneinander
durch. Dabei arbeitete sie mit der Universität London zusammen.
Andere Länder blickten neidisch auf die Einrichtung der BBC. In der
Zeit zwischen 1941 und 1947 wurden 1.705 Personen ausgebildet und
Themen wie “Das Wesen des Rundfunks”, “Vom Mikrofon zum
Lautsprecher”, “Der Gebrauch der Aktualität im Radio” und “Schreiben
im Radio” behandelt. Insbesondere das letztgenannte Thema war von
großer Bedeutung, da unter anderem gelehrt wurde, dass man
Radiotexte nicht wie einen journalistischen Artikel schreibt,
sondern in erster Linie darauf abzielt, einen Text für diejenige
Person innerhalb des Zielpublikums verständlich zu machen, für die
die Texte und damit der Inhalt bestimmt sind.
In den Vereinigten Staaten war die Ausbildung jedoch nicht direkt an
eine der großen Rundfunkanstalten wie ABC und CBS gebunden. An
mehreren Universitäten, zum Beispiel in Minnesota, Michigan,
Wisconsin und Iowa, konnte man in den 1950er Jahren einen
akademischen Abschluss in “Radio and Television Broadcasting”
erwerben. An der Boston University beispielsweise gab es eine
“Division of Radio, Speech and Theatre”, in der man einen
vollständigen Abschluss als “Master of Arts in Radio and Television
Broadcasting” erwerben konnte. In dem Kurs wurden alle Facetten des
Radiomachens ausführlich behandelt, die der Mensch hinter dem
Mikrofon, der Reporter und der Programmleiter kennen lernen konnte.
Es gab auch einen umfassenden theoretischen Einblick in die vielen
Probleme, die sich für Programmmacher im Alltag ergeben können. Man
bekam auch einen Einblick in die vielen gängigen technischen
Probleme und viele Vorlesungsstunden wurden auch auf alle Facetten
des Managements innerhalb eines Radiosenders verwendet.
Die Universität Boston war sogar eine der ersten, die über einen
UKW-Sender mit geringer Leistung verfügte, eine Neuheit in jenen
Jahren, so dass die Studenten auf dem Campus auch hören konnten, wie
die “Masterstudenten der Kunst des Radio- und Fernsehrundfunks” dies
täglich in die Praxis umsetzten.
Kein Wunder also, dass der Soziologe Klaas van Dijk auf einen
Erfahrungsschatz verweisen kann, aus dem die niederländischen
Programmmacher schöpfen können. Van Dijk untersuchte übrigens Anfang
der 1950er Jahre auch solche Ausbildungsformen in den Ländern
Osteuropas, konnte aber nicht zu so detaillierten Beschreibungen
kommen, wie es in den angelsächsischen Ländern möglich war. So
berichtet er in einer seiner Studien von einer fast völligen
Unkenntnis der Aktivitäten in den Ländern hinter dem damaligen
“Eisernen Vorhang”: “Was die Sowjetunion betrifft, so wissen wir,
dass sie dort regelmäßig junge Leute einladen, sich die Radioarbeit
genau anzusehen.”
Bis in die 1980er Jahre wurden Westeuropäer, vor allem junge Leute,
eingeladen, nach Moskau zu kommen. Natürlich hörten die jungen DXer
auch die internationalen Programme von Radio Moskau, obwohl diese
grotesk propagandistisch waren. Für diese Gruppe war es auch
interessant, eine Hörbestätigung in Form einer QSL-Karte oder eines
anderen Dokuments von den Büros des jeweiligen Senders zu erhalten.
Wenn sich herausstellte, dass man regelmäßig an die Programmmacher
schrieb, bestand die Chance, dass man sogar auf Niederländisch
angeschrieben wurde, ob nun mit einer Einladung zum Besuch von Radio
Moskau oder nicht.
In Polen, einem der Länder des damaligen Ostblocks, gab es gewisse
Parallelen zu England und den Vereinigten Staaten. So gab es in
Warschau bereits in den 1950er Jahren eine Journalistenschule, an
der eine Reihe von Vorlesungen über den Rundfunk angeboten wurden.
Auch an der Universität Budapest standen bereits zahlreiche
Vorlesungen zu diesem Thema auf dem Stundenplan. Es ist anzunehmen,
dass in jenen Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg und damit in der
Zeit des Kalten Krieges in den Vorlesungen besonders darauf geachtet
wurde, die kommunistische Form der Propaganda in alle Sendungen zu
bringen; so-wohl an die eigene Bevölkerung als auch an ausländische
Hörer. Die Botschaft der Führer musste bedingungslos über den Äther
schallen. Texte, die für die Sendungen geschrieben wurden, durften
nie unmittelbar nach dem Verfassen gesendet werden, da sie jedes Mal
höheren Beamten zur Prüfung vorgelegt werden mussten. In der UdSSR,
wie die Sowjetunion auch in der Presse oft angepriesen wurde, galt
indes Anfang der 1950er Jahre die “Verbreitung politischer
Informationen zur Erhöhung der politischen Bereitschaft des Volkes”
als erste und damit wichtigste Aufgabe des Staatlichen Rundfunks.
Statt von Volksbildung kann man hier besser von “Volkserziehung
unter Zwang” sprechen.
Was die westeuropäischen Länder und die Bedeutung der
Rundfunkausbildung in der ersten Hälfte der 1950er Jahre betrifft,
so kann man sagen, dass in Frankreich, Italien und Belgien, wenn
auch nur in bescheidenem Umfang, dem Rund-funk ein gewisser Platz in
den Universitätskursen eingeräumt wurde. Dies geschah im Allgemeinen
im Rahmen allgemeiner Vorlesungen über das
Massenkommunikationsmittel Radio. In Belgien gab es an der
Universität Brüssel einen Vorlesungsblock mit der Bezeichnung “télécommunications”,
in dem neben dem Thema Radio auch alle anderen Kommunikationsformen
ausführlich behandelt wurden. In Italien hingegen wurde zu dieser
Zeit das Thema “Radio” stärker in den Mittelpunkt des Unterrichts ge-stellt.
An der Pro Deo Universität in Rom konnten interessierte Studenten am
besten Vorlesungen zum Thema Massenkommunikation besuchen.
Das Deutschland der Nachkriegszeit ist natürlich eine ganz andere
Geschichte. Das Land wurde 1949 in einen westlichen und einen
östlichen Teil des Staates geteilt, und in den Jahren davor war der
Rund-funk lange Zeit ein Anliegen der Alliierten gewesen. Erst in
den frühen 1950er Jahren war die Situation so, dass man davon
sprechen konnte, dass die jeweiligen Institute für ihre eigene Form
des Radiomachens zuständig waren. Eine andere Form der Ausbildung
fand in Schweden statt, wo die Staatliche Rundfunkanstalt ihre
Mitarbeiter durch Radiotjants, eine Art allgemeiner
Ausbildungskurse, unterrichtete; eine Umfrage im Jahr 1952 ergab,
dass mindestens ein Viertel der Mitarbeiter diese Kurse bereits
absolviert hatte.
Bildung und Ausbildung blieben auch nach den 1950er Jahren Teil des
Radiomachens. Allerdings wurde das Schulradio nach dieser Zeit sehr
viel schwieriger. Der Hauptgrund liegt in der zunehmenden Konkurrenz
durch das Fernsehen. Und mit dem Aufkommen dieses damals neuen
Mediums änderten sich auch die Anforderungen an den so genannten
Fernunterricht. Im Jahr 1957 brachte die Sowjetunion den ersten
künstlichen Satelliten in eine geostationäre Umlaufbahn. Dies war
ein Schock für die westliche Welt. Ausgehend von der Annahme eines
Wissens- und Bildungsdefizits wurden alle möglichen neuen
Initiativen im Bereich der Bildung ergriffen, wie zum Beispiel
Förderungsprogramme für Kinder. Der Schwerpunkt auf der
Persönlichkeitsentwicklung verschwand und an seine Stelle trat eine
starke Konzentration auf die Entwicklung von Sprache und Wissen,
alles in einer fröhlichen Verpackung, die den neuen Vorstellungen
von der Welt der Kinder entsprach. Auch das Fernsehen übernahm in
dieser Hinsicht eine Vorreiterrolle; man denke insbesondere an die
Sendung Sesamstraat, die heute die am längsten laufende Sendung im
niederländischen Fernsehen ist In Amerika begann sie bereits am 10.
November 1969. Die erste Sendung in den Niederlanden folgte gut
sechs Jahre später, am 4. Januar 1976. Gegen das Fernsehen war das
Schulradio letztlich chancenlos. Mitte der 1980er Jahre stellte KRO
das Radioprogramm ein.
Hans Knot
Literatur
- Brouwer, W.H., P. Post und M.C.J. Scheffer (1950), Schulradio.
Groningen: Wolters (Mededelingen van het Nutsseminarium voor de
Paedagogiek aan de Universiteit van Amsterdam, Nr. 48).
- Dings, Willem (1998), “KRO - Schulradio. Weitere offengelegte
Dokumente.” In: Erasmusplein, 9, 2.
- Dijk, Klaas van (1953), Radio und Volksentwicklung. Assen: Van
Gorcum.
- Knot, Hans (2001), “Das Radio als politisches Kampfinstrument.
Propaganda über das Radio in Vergangenheit und Gegenwart”. In:
Soundscapes, 4, 3 (Herbst).
Bildmaterial:
Museum für Kommunikation Den Haag und Hans-Knot-Archiv.