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Webausgabe 5-6/2024


Fotos: © Archiv Hans Knot

100 Jahre Radio (Teil 21-3) -
Schulradio in den 1950er Jahren

Die Sendungen vermieden eine trockene Aufzählung von Fakten und wortreiche Belege; man achtete sehr genau auf das Verständnis der jungen Hörerinnen und Hörer und sorgte dafür, dass die Angebote den Anforderungen an Attraktivität, Aktualität und Unmittelbarkeit gerecht wurden. Aber natürlich blieb immer auch eine Aufgabe für die begleitende Lehrkraft, die gemeinsam mit den Schülerinnen und Schülern das Schulradioprogramm hörte. Für diesen ging es darum, die spontanen Fragen aus dem Klassenzimmer direkt aufzugreifen. Die Autorität des Klassenlehrers deckte die des Radios ab.

Das Schulradio wurde daher in den 1950er Jahren in vielen Schulen eingesetzt. Lehrer und Schulbehörden sahen darin eine deutliche Erweiterung des Lehrplans und damit eine Erweiterung des Blickfelds der Kinder. Auch in wissenschaftlichen Kreisen erregte das Phänomen Aufmerksamkeit. Bereits in den 1950er Jahren gab es zahlreiche Veröffentlichungen über den Nutzen des Schulradios. So wies 1950 ein Bericht mit dem Titel “School Radio”, herausgegeben vom Nutsseminarium voor Pedagogiek der Universität Amsterdam, nachdrücklich auf die große Bedeutung des Schulradios hin: “Wenn die Schule dazu beiträgt, ein gespanntes, ehrfürchtiges und kritisches Zuhören vorzubereiten, zur Entwicklung eines vernünftigen Denkens und einer sublimierten Emotionalität beizutragen, erfüllt sie teilweise ihre gesellschaftliche Aufgabe.” Das Schulradio könne der Jugend, also den Erwachsenen von “morgen”, vermitteln, dass das Radio viel mehr bringen könne als nur Musik und Unterhaltung, nämlich Information und Bildung.



Auch die Soziologen von damals hatten eine klare Erklärung für den Erfolg des Schulradios. So schrieb Klaas van Dijk, der 1953 über Radio und Volksentwicklung promovierte, in seiner Dissertation: “Inzwischen kann man das Wachstum, den Erfolg des Schulradios wohl zu einem guten Teil auf den Umstand zurückführen, dass sich diese Sendungen an ein bereits bekanntes Publikum wenden, ein Publikum, dessen Zusammensetzung ebenfalls bekannt und homogen ist. Über die Psychologie wie über die Praxis der Schulbildung ist viel geschrieben worden, vieles kann sogar als Allgemeinwissen bezeichnet werden, so dass es der Ersteller des Schulradios sehr leicht hat im Vergleich zu demjenigen, der eine Lehrsendung im Rahmen einer außerschulischen Volksbildung für Erwachsene vorbereitet.”

SchulradioKompilatoren, so wurde argumentiert, hätten es ziemlich leicht, weil die Radiomacher gut wüssten, wie sie ihr jugendliches Publikum ansprechen könnten.

Diese Leichtigkeit war im Übrigen nicht ganz offensichtlich. Sie hatte zum großen Teil damit zu tun, dass man anderswo - vor allem in England und Amerika - bereits die nötigen Erfahrungen mit dieser Art von Programmen gesammelt hatte. Dort hatte sich bereits ein Modell entwickelt, das nachgeahmt werden konnte. Darüber hinaus wurden die Macher der Radiosendungen mit wissenserweiternden Inhalten gründlich geschult. Neben der normalen Ausbildung gab es zum Beispiel in England bereits im Jahr 1936 erstmals eine umfassende Schulung der BBC-Mitarbeiter. Dazu wurde eine spezielle Schule für Radiomitarbeiter eröffnet, die erste ihrer Art. Zunächst wurden dort die “eigenen Leute” in den verschiedenen Bereichen des Radiomachens geschult, aber bald kamen auch Studenten aus dem Ausland. Nach dem Zweiten Weltkrieg, in dem der Betrieb praktisch zum Erliegen gekommen war, führte die BBC fünf verschiedene Kurse nebeneinander durch. Dabei arbeitete sie mit der Universität London zusammen.

Andere Länder blickten neidisch auf die Einrichtung der BBC. In der Zeit zwischen 1941 und 1947 wurden 1.705 Personen ausgebildet und Themen wie “Das Wesen des Rundfunks”, “Vom Mikrofon zum Lautsprecher”, “Der Gebrauch der Aktualität im Radio” und “Schreiben im Radio” behandelt. Insbesondere das letztgenannte Thema war von großer Bedeutung, da unter anderem gelehrt wurde, dass man Radiotexte nicht wie einen journalistischen Artikel schreibt, sondern in erster Linie darauf abzielt, einen Text für diejenige Person innerhalb des Zielpublikums verständlich zu machen, für die die Texte und damit der Inhalt bestimmt sind.



In den Vereinigten Staaten war die Ausbildung jedoch nicht direkt an eine der großen Rundfunkanstalten wie ABC und CBS gebunden. An mehreren Universitäten, zum Beispiel in Minnesota, Michigan, Wisconsin und Iowa, konnte man in den 1950er Jahren einen akademischen Abschluss in “Radio and Television Broadcasting” erwerben. An der Boston University beispielsweise gab es eine “Division of Radio, Speech and Theatre”, in der man einen vollständigen Abschluss als “Master of Arts in Radio and Television Broadcasting” erwerben konnte. In dem Kurs wurden alle Facetten des Radiomachens ausführlich behandelt, die der Mensch hinter dem Mikrofon, der Reporter und der Programmleiter kennen lernen konnte.

Es gab auch einen umfassenden theoretischen Einblick in die vielen Probleme, die sich für Programmmacher im Alltag ergeben können. Man bekam auch einen Einblick in die vielen gängigen technischen Probleme und viele Vorlesungsstunden wurden auch auf alle Facetten des Managements innerhalb eines Radiosenders verwendet.

Die Universität Boston war sogar eine der ersten, die über einen UKW-Sender mit geringer Leistung verfügte, eine Neuheit in jenen Jahren, so dass die Studenten auf dem Campus auch hören konnten, wie die “Masterstudenten der Kunst des Radio- und Fernsehrundfunks” dies täglich in die Praxis umsetzten.
Kein Wunder also, dass der Soziologe Klaas van Dijk auf einen Erfahrungsschatz verweisen kann, aus dem die niederländischen Programmmacher schöpfen können. Van Dijk untersuchte übrigens Anfang der 1950er Jahre auch solche Ausbildungsformen in den Ländern Osteuropas, konnte aber nicht zu so detaillierten Beschreibungen kommen, wie es in den angelsächsischen Ländern möglich war. So berichtet er in einer seiner Studien von einer fast völligen Unkenntnis der Aktivitäten in den Ländern hinter dem damaligen “Eisernen Vorhang”: “Was die Sowjetunion betrifft, so wissen wir, dass sie dort regelmäßig junge Leute einladen, sich die Radioarbeit genau anzusehen.”



Bis in die 1980er Jahre wurden Westeuropäer, vor allem junge Leute, eingeladen, nach Moskau zu kommen. Natürlich hörten die jungen DXer auch die internationalen Programme von Radio Moskau, obwohl diese grotesk propagandistisch waren. Für diese Gruppe war es auch interessant, eine Hörbestätigung in Form einer QSL-Karte oder eines anderen Dokuments von den Büros des jeweiligen Senders zu erhalten. Wenn sich herausstellte, dass man regelmäßig an die Programmmacher schrieb, bestand die Chance, dass man sogar auf Niederländisch angeschrieben wurde, ob nun mit einer Einladung zum Besuch von Radio Moskau oder nicht.

In Polen, einem der Länder des damaligen Ostblocks, gab es gewisse Parallelen zu England und den Vereinigten Staaten. So gab es in Warschau bereits in den 1950er Jahren eine Journalistenschule, an der eine Reihe von Vorlesungen über den Rundfunk angeboten wurden. Auch an der Universität Budapest standen bereits zahlreiche Vorlesungen zu diesem Thema auf dem Stundenplan. Es ist anzunehmen, dass in jenen Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg und damit in der Zeit des Kalten Krieges in den Vorlesungen besonders darauf geachtet wurde, die kommunistische Form der Propaganda in alle Sendungen zu bringen; so-wohl an die eigene Bevölkerung als auch an ausländische Hörer. Die Botschaft der Führer musste bedingungslos über den Äther schallen. Texte, die für die Sendungen geschrieben wurden, durften nie unmittelbar nach dem Verfassen gesendet werden, da sie jedes Mal höheren Beamten zur Prüfung vorgelegt werden mussten. In der UdSSR, wie die Sowjetunion auch in der Presse oft angepriesen wurde, galt indes Anfang der 1950er Jahre die “Verbreitung politischer Informationen zur Erhöhung der politischen Bereitschaft des Volkes” als erste und damit wichtigste Aufgabe des Staatlichen Rundfunks. Statt von Volksbildung kann man hier besser von “Volkserziehung unter Zwang” sprechen.

Was die westeuropäischen Länder und die Bedeutung der Rundfunkausbildung in der ersten Hälfte der 1950er Jahre betrifft, so kann man sagen, dass in Frankreich, Italien und Belgien, wenn auch nur in bescheidenem Umfang, dem Rund-funk ein gewisser Platz in den Universitätskursen eingeräumt wurde. Dies geschah im Allgemeinen im Rahmen allgemeiner Vorlesungen über das Massenkommunikationsmittel Radio. In Belgien gab es an der Universität Brüssel einen Vorlesungsblock mit der Bezeichnung “télécommunications”, in dem neben dem Thema Radio auch alle anderen Kommunikationsformen ausführlich behandelt wurden. In Italien hingegen wurde zu dieser Zeit das Thema “Radio” stärker in den Mittelpunkt des Unterrichts ge-stellt. An der Pro Deo Universität in Rom konnten interessierte Studenten am besten Vorlesungen zum Thema Massenkommunikation besuchen.



Das Deutschland der Nachkriegszeit ist natürlich eine ganz andere Geschichte. Das Land wurde 1949 in einen westlichen und einen östlichen Teil des Staates geteilt, und in den Jahren davor war der Rund-funk lange Zeit ein Anliegen der Alliierten gewesen. Erst in den frühen 1950er Jahren war die Situation so, dass man davon sprechen konnte, dass die jeweiligen Institute für ihre eigene Form des Radiomachens zuständig waren. Eine andere Form der Ausbildung fand in Schweden statt, wo die Staatliche Rundfunkanstalt ihre Mitarbeiter durch Radiotjants, eine Art allgemeiner Ausbildungskurse, unterrichtete; eine Umfrage im Jahr 1952 ergab, dass mindestens ein Viertel der Mitarbeiter diese Kurse bereits absolviert hatte.

Bildung und Ausbildung blieben auch nach den 1950er Jahren Teil des Radiomachens. Allerdings wurde das Schulradio nach dieser Zeit sehr viel schwieriger. Der Hauptgrund liegt in der zunehmenden Konkurrenz durch das Fernsehen. Und mit dem Aufkommen dieses damals neuen Mediums änderten sich auch die Anforderungen an den so genannten Fernunterricht. Im Jahr 1957 brachte die Sowjetunion den ersten künstlichen Satelliten in eine geostationäre Umlaufbahn. Dies war ein Schock für die westliche Welt. Ausgehend von der Annahme eines Wissens- und Bildungsdefizits wurden alle möglichen neuen Initiativen im Bereich der Bildung ergriffen, wie zum Beispiel Förderungsprogramme für Kinder. Der Schwerpunkt auf der Persönlichkeitsentwicklung verschwand und an seine Stelle trat eine starke Konzentration auf die Entwicklung von Sprache und Wissen, alles in einer fröhlichen Verpackung, die den neuen Vorstellungen von der Welt der Kinder entsprach. Auch das Fernsehen übernahm in dieser Hinsicht eine Vorreiterrolle; man denke insbesondere an die Sendung Sesamstraat, die heute die am längsten laufende Sendung im niederländischen Fernsehen ist In Amerika begann sie bereits am 10. November 1969. Die erste Sendung in den Niederlanden folgte gut sechs Jahre später, am 4. Januar 1976. Gegen das Fernsehen war das Schulradio letztlich chancenlos. Mitte der 1980er Jahre stellte KRO das Radioprogramm ein.

Hans Knot

Literatur
- Brouwer, W.H., P. Post und M.C.J. Scheffer (1950), Schulradio. Groningen: Wolters (Mededelingen van het Nutsseminarium voor de Paedagogiek aan de Universiteit van Amsterdam, Nr. 48).
- Dings, Willem (1998), “KRO - Schulradio. Weitere offengelegte Dokumente.” In: Erasmusplein, 9, 2.
- Dijk, Klaas van (1953), Radio und Volksentwicklung. Assen: Van Gorcum.
- Knot, Hans (2001), “Das Radio als politisches Kampfinstrument. Propaganda über das Radio in Vergangenheit und Gegenwart”. In: Soundscapes, 4, 3 (Herbst).

Bildmaterial:
Museum für Kommunikation Den Haag und Hans-Knot-Archiv.