Fotos: © Archiv Hans Knot
100 Jahre Radio (Teil 19-2) - ISS Leviathan - die
erste Offshore Radiostation Amerikas
Fortsetzung aus RADIOJournal 3-4/2023
Die verbleibenden Mittel wurden dem deutschen Flüchtlingswerk zur
Verfügung gestellt. Doch auch dies fand ein Ende.
Obwohl sich Amerika zunächst neutral verhielt, entwickelte sich in
den Vereinigen Staaten irgendwann eine regelrechte antideutsche
Haltung, so dass das SS-Vaterland von den Behörden zu einem
verbotenen Gebiet erklärt wurde. Die Versuche des Reeders Ballin,
das Schiff unter der neutralen Flagge Belgiens fahren zu lassen,
scheiterten, und so blieb das Schiff, wo es war, und nur die
US-Behörden mussten entscheiden, was mit der SS Vaterland in Hoboken,
New York, geschehen sollte.
Ein neues Schicksal. Am 6. April 1917 verabschiedete der Kongress
die so genannte Kriegsresolution, mit der auch Amerika in den Krieg
einbezogen wurde. Viele Schiffe, darunter die SS Vaterland, wurden
anschließend von den US-Behörden beschlagnahmt. Die übrige Besatzung
wurde nach Ellis Island gebracht, wo ihnen die US-Staatsbürgerschaft
angeboten wurde. Das Schiff wurde dann als Truppenschiff eingesetzt,
wobei der Name ISS Leviathan als offizielle Registrierung eingeführt
wurde. Während seiner neunzehn Fahrten nach und von Europa
beförderte das Schiff mehr als 100.000 Menschen zu und von den
Schlachtfeldern. Auf einer dieser Fahrten beförderte es 14.416
Menschen. Damals ein Rekord in der Schifffahrtswelt. Der Besitzer
Albert Ballin war sehr enttäuscht von der Entscheidung der
Amerikaner, wurde schwer depressiv und nahm am 9. November 1918 eine
Überdosis Schlaftabletten, die ihn am nächsten Tag das Leben
kostete.
Das Schiff war immer noch das größte Schiff, das der US-Marine zur
Verfügung stand. Dies spiegelte sich auch in dem neuen Namen wider,
der sich auf das legendäre Seeungeheuer Leviathan bezog. Damals
hatte das Schiff eine Tonnage von 54.282 Tonnen und konnte eine
Höchstgeschwindigkeit von 23,5 Knoten erreichen. Es hatte eine Länge
von 289,6 Metern und war an seiner breitesten Stelle 30,6 Meter
lang. Nachdem das Schiff zehnmal nach Europa gefahren war, um
Truppen zu transportieren, und neunmal mit Truppen nach Amerika
zurückgekehrte, hatte es seine Pflicht gegenüber der US-Regierung
erfüllt. Anschließend wurde die SS Leviathan erneut der
Schifffahrtsbehörde zur Verfügung gestellt. Dennoch blieb das Schiff
noch einige Jahre am Kai in Hoboken liegen. Im Jahr 1921 wurde es an
die Newark News ausgeliefert.
Das große Schiff wurde dort in den Jahren 1922-1923 vollständig
modernisiert. Unter anderem wurde das Schiff so umgebaut, dass die
Maschinen mit Öl statt mit Kohle befeuert werden konnten. Die
gesamte Verkabelung des Schiffes wurde ausgetauscht, schließlich
muss das auf See viel öfter gemacht werden als in einem Haus. Alle
Kabinen wurden mit einer komplett neuen Innenausstattung versehen.
Die gesamte Umstellung dauerte viel länger als geplant. Der Grund
dafür war, dass die Reederei in Deutschland, wo das Schiff 1913
gebaut worden war, sich weigerte, die Konstruktionszeichnungen zur
Verfügung zu stellen. Daher musste alles neu berechnet und
gezeichnet werden, bevor die Umsetzung erfolgen konnte.
Nach der Wiederinbetriebnahme wurde das Schiff unter der Flagge der
United States Lines auf der Transatlantikroute eingesetzt. Dies
geschah bis 1934. Danach galt das Schiff als unwirtschaftlich und
wurde stillgelegt. 1938 wurde die Leviathan abgewrackt und beendete
damit das, was Radio News 1924 als die erste US-Radiostation
bezeichnete, die von einem Schiff aus betrieben wurde.
Um noch einmal auf den experimentellen Status der Sendungen
zurückzukommen, sei darauf hingewiesen, dass 1924 ein Beamter des
Maritime Board feststellte, dass die WSN-Station zwar nie einen
offiziellen Status hatte, es aber gelungen war zu demonstrieren,
dass die Übertragung von Konzerten von einem Schiff aus möglich war.
Er wies auch darauf hin, dass die Sendungen von Tausenden von
Menschen empfangen und als sehr positiv bewertet wurden. In einem
Artikel in den Radio News von 1924 hieß es außerdem, dass es
praktisch keine Interferenzprobleme durch die Sendungen des
Leviathans gegeben habe.
Interferenzen waren schon damals ein großes Problem. Zu dieser Zeit
gab es in New York bereits eine Reihe von Radiosendern. Außerdem gab
es viel Kommunikation auf dem Schifffahrtsband, während an Land auch
der notwendige Kommunikationsverkehr über den Äther stattfand. Es
stellte sich jedoch heraus, dass alle diese “Stationen” während des
Zeitraums, in dem der Sender vom Leviathan aus auf Sendung war,
effektiv und zufriedenstellend funktionieren konnten.
Für die Behörden war dieser Erfolg Anlass zu der Vermutung, dass
etwaige Ausstrahlungen, die auf einer nutzbaren Frequenz erfolgen
würden, in der Zukunft sicher eine bestimmte Frequenz für eine
solche Station bereitstellen könnten. Es wurde jedoch die Ansicht
vertreten, dass zunächst internationale Konsultationen stattfinden
sollten, um unnötige Interferenzen auf Frequenzen zu vermeiden, die
in Zukunft von anderen Ländern genutzt werden könnten. Erst dann
konnte der Kapitän der ISS “Leviathan” oder eine andere Funkstation
von einem Passagierschiff aus eine endgültige Lizenz erhalten. Im
Übrigen ist nie klar geworden, ob WSN zu irgendeinem Zeit-punkt eine
offizielle Lizenz erhalten hat.
Ab 1924 sendete der Sender jedoch viele Jahre lang. Das geht
zumindest aus der Februar-Ausgabe 1931 der US-Monatszeitschrift “What’s
on the Air” hervor. Darin veröffentlichte der International Short
Wave Club eine lange Liste von Sendern, die “Voice Sound” und damit
keine Codes ausstrahlten und in Amerika zu empfangen waren. Neben
Radio Kootwijk wird in der Liste, die den seltenen Radioempfang
jener Tage genau wiedergibt, auch die ISS ‘Leviathan’ zweimal
namentlich erwähnt. Aus den Aufzeichnungen geht hervor, dass die
Radioprogramme unter dem Rufzeichen WSBN bereitgestellt wurden und
dass der Empfang zu unregelmäßigen Zeiten auf 65,1 m und 35,5 m
erfolgte. Die Sendungen wurden in den Abendstunden in den USA
empfangen.
Hans Knot