Interviews
mit Radioleuten und Radiomachern
Generationen von Radiohörern kennen seine markante Stimme bis zum heutigen Tage, denn er gehört zu den Großen im deutschen Rundfunk: Werner Reinke. Viele Jahre war er das Aushängeschild von hr3, der Pop- und Servicewelle aus Frankfurt am Main. Er erlangte Kultstatus in Hessen genauso wie bei den unzähligen Hörern in der DDR, die begeistert und sehnsüchtig auf 89,5 MHz lauschten, so weit der 100 Kilowatt-Kanal vom Hohen Meißner reichte. Gerade in Ostthüringen erfreut sich hr3 ungebrochener Beliebtheit. Grund genug, Werner Reinke bis zum heutigen Tag das Rundfunk-Idol vieler Eisenacher zum dritten Geburtstag des Wartburg-Radios im September 2004 für eine Live-Sendung einzuladen. Auszüge des Gesprächs, das Gunnar Poschmann und Petra Werner führten, geben wir nachfolgend wieder.
Holzimporteur aus Delmenhorst
Dass es Werner Reinke einmal ins schöne Hessenland verschlagen
würde, war keineswegs ausgemacht. Der gebürtige Delmenhorster, heute
verheirateter Vater zweier Söhne, lernte in Bremen den Beruf des
Holzimportkaufmanns. „Ein interessanter und spannender Beruf“, wie
er sagt, denn „kein Stück Holz ist wie das andere“. Er habe das
große Glück gehabt, einen tollen Beruf gegen einen anderen
einzutauschen. „Es gibt nichts Schöneres, als Leuten Vergnügen zu
bereiten“, wurde später seine Grunddevise beim Radio.
Erste Rundfunkerfahrungen sammelte Werner Reinke mit dem Betrieb
eines Schwarzsenders während seiner Bundeswehrzeit in Oldenburg.
Abends fuhr Werner ins 35 Kilometer entfernte Delmenhorst zurück, wo
er sich über die Plattenaufleger in der örtlichen Disko beschwerte,
in Folge dessen er selbst für fünf Mark die Stunde ans Mischpult
gelassen wurde. Derart auf den Geschmack gekommen, sendete Werner
Reinke fortan mit einem Freund tagsüber aus der Bundeswehrkaserne
mittels selbst gebautem Schwarzsender für das gegenüberliegende
Krankenhaus. „Eines Tages kam ein Peilwagen der Deutschen
Bundespost. Wir hatten das Glück, dass in der einen Hälfte unserer
Kaserne die Fernmelder, in der anderen die Artillerie war. Die
Postler trauten einen Schwarzsender natürlich nur den Fernmeldern
zu, weswegen bei uns im Artilleriebereich keine Durchsuchung
stattfand. Wir blieben somit unentdeckt.“
Auf zu Radio Bremen
Werner Reinkes erste Sendung beim Jugendfunk von Radio Bremem hieß
»Journal 1605 – Meldungen, Meinungen, Musik«. Auslöser seines
Rundfunkfiebers war der legendäre Günther Bollhagen mit seiner
Kult-Sendung »Plattenpromenade«. „Unter meiner Bettdecke lauschte
ich mit meinem Röhrenradio der wunderbar zusammengestellten Musik.
Ich wollte ihn unbedingt kennen lernen und er war es dann auch, der
mich zum Radio brachte.“ Zuerst schickte Günther Bollhagen Werner
Reinke zu seinem Sprecherzieher. Derart präpariert konnte der
rundfunkbegeisterte Reinke während einer Grippewelle bei Radio
Bremen in die Nachrichten rutschen. Als eine Sendung im Jugendfunk,
das erwähnte »Journal 1605« frei wurde, griff Werner Reinke
kurzentschlossen zu. Die Sendung entwickelte sich von einem
Diskjockey-Programm zu einer scharfen Satiresendung weiter, die auch
politische Angriffe beinhaltete, was naturgemäß den Kritisierten
weniger gefiel. Allerdings legt Reinke Wert darauf, dass der Humor
damals noch Niveau gehabt habe. „Was heute so alles in diesem
Bereich verarbeitet wird, leider auch bei hr3, seien es Behinderten-
oder Blindenwitze, Fäkalhumor oder desgleichen, findet meine starke
Gegnerschaft. Am Stammtisch mag so etwas in Ordnung sein, im Radio
kann und will ich keine Behindertenwitze reißen, wenn ich
gleichzeitig behinderte Hörer habe. Das Niveau hat heute so arg
nachgelassen, was mich einfach traurig macht. Dabei kann man auch
mit anspruchsvollem Humor Publikum erreichen.“
Formatierte Musik
Eine Frühsendung - »Hansawelle Freitagsfrüh« - hörten Hanns Verres
und Werner Klein vom Hessischen Rundfunk, die Reinke 1971 nach
Frankfurt holten. 1973 übernahm Reinke die »Hitparade International«
auf hr3, die er insgesamt 777 Mal bis zum Juli 1989 moderierte.
Generationen von DDR-Hörern schnitten auf ihren Tonbändern die
Hitparadentitel in verrauschtem Mono mit, nur um die jenseits der
Mauer angesagte Musik auch für den Heimgebrauch oder Familienfeiern
verwenden zu können. Von der breiten Musikauswahl zu jener Zeit kann
Werner Reinke bei seiner heutigen Sendung am Samstagvormittag nur
noch träumen. „Auch wenn das ein musikjournalistisches Format ist,
sind die Grenzen doch wesentlich enger als früher gezogen. Es ist
nicht ganz so eng wie im hr3-Tagesprogramm, wo umfragen- und
researchgestützte Computermusik den Ton angibt, aber es sind auch
nicht mehr die Freiheiten wie früher.“
Stolz ist Werner Reinke heute noch
darauf, dass er bei der »Internationalen Hitparade« ohne Zwänge
arbeiten durfte.
„Geh raus und mach’ einfach“ sagte ihm sein damaliger Chef, der
durch die »Schlagerbörse« zum Kult avancierte Hanns Verres, der im
Jahr 2003 nach schwerer Krankheit ausgerechnet an Reinkes Geburtstag
starb. „Wenn mir einfiel, am Donnerstagabend mache ich die Hitparade
rückwärts, konnte ich das machen. Ich habe viele auch für mich
unerwartete Sachen gemacht, die 777 Sendungen spannend gehalten
haben.“
Werner Reinke leistete sich auch noch eine eigene Meinung. Die
weichgespülte Playbackmusik von Modern Talking kritisierte er ebenso
heftig wie die Popschnulzen nachfolgender Boygroups.
Im Juli 1989 schied Reinke nach Unstimmigkeiten über die Zukunftskonzepte des Hessischen Rundfunks auf eigenen Wunsch beim Sender aus. Dass kurz darauf die Mauer fiel, konnte er noch nicht ahnen. „Als ich dann aber im Oktober ’89 merkte, was los ist, bedauerte ich sehr, die Hitparade bereits im Juli abgegeben zu haben.“ Die Hitparade beendete er allerdings, weil er genau wie sein Vorgänger und Freund Hanns Verres auf den Schlag genau 777 Sendungen moderieren wollte - keine mehr und keine weniger. Werner Reinke plante frühzeitig die Übergabe an Frank Seidel, der ihm auffiel, weil er nach der Hitparade eine fetzige Maxi-Single-Sendung moderierte. „Der war gerade rechtzeitig da, dass ich die Sendung abgeben konnte nach 777 Folgen, in der Hoffnung, dass er genauso viele macht. Frank hat die Zahl sogar noch etwas übertroffen, bis er kürzlich aufhörte.“
Hauptgrund der Unstimmigkeiten mit dem Sender im Jahr 1989 war der bevorstehende Sendestart des Privatsenders FFH im November, auf den hr3 bereits im Sommer mit einer großen Programmreform vorbeugend reagieren wollte, was Werner Reinke ziemlich daneben fand und dies auch so artikulierte.
13 Jahre Urlaub
Werner Reinke fand es an der Zeit, eine Auszeit vom Rundfunkmikrofon
zu nehmen. Dass der Abschied, er nennt es einen „langen Urlaub“,
allerdings 13 Jahre - bis zu seinem hr3-Comeback im Jahr 2002,
dauern würde, konnte er damals noch nicht ahnen. Er wollte sich nie
programmlich verbiegen lassen, ist sich immer treu geblieben. „Der
Weg zu einem eigenen Stil führt zunächst immer über die Adaption“,
musste Reinke auch selbst in jungen Jahren feststellen. „Man will ja
schon zum Rundfunk, weil man vorher Leute gehört hat, die man gut
fand und deren Stil einem im Hinterkopf ist. Du beginnst dann so zu
senden, wie du meinst, dass die Vorbilder das in etwa machen würden.
Erst Stück für Stück entwickelt sich ein eigener Stil, der durch
deine Fähigkeiten, deine Unzulänglichkeiten, deine eigene Stimmlage,
deine Vorlieben entsteht. Wichtig ist: Sei in erster Linie du
selbst. Adaptiere gutes Handling im Umgang mit dem Medium.“
Auch in puncto Vorbereitung haben sich die Zeiten gegenüber den früheren Sendungen wie »Mittags-Discotheke«, »1:0 für meine Stadt«, »Klassik-Hitparade«, »Apropop«, »Pop und Weck« oder »Kuschelrock« deutlich verändert. „Als ich vor 15 Jahren moderierte, kam ich kurz vor Beginn mit einem Stapel Platten ins Studio, moderierte drauflos und guckte, was mir der Tag brachte. Das ist heute völlig anders und wie ich meine auch entschieden besser: Meine Sendeassistentin bereitet die Sendung über die ganze Woche vor, ich komme am Donnerstag oder Freitag dazu, finde mundgerecht die Sendung samt Moderationshilfen im Computer, schreibe mir das dann auf’s Maul, übersetze Interviewtexte und bin am Freitagabend mit den Vorbereitungen fertig. Wenn ich dann Samstag zur Sendung fahre, eine Stunde vor Beginn da bin, habe ich die ganzen drei Stunden schon im Kopf, wie sie ablaufen werden. Das ist ein unglaubliches Polster, das ich jedem nur empfehlen kann. Dem Hörer ist es egal, ob ich mich vorbereite oder spontan drauflos plapperte. Er will allerdings eine originelle, spontane Sendung, die vorbereitet für mich heute besser zu präsentieren ist.“
Hörresonanz in der DDR
War Werner Reinke, war hr3 eigentlich bewusst, wie viele Menschen
jenseits der Mauer die Sendungen verfolgen? „Nun, wir haben gewusst,
dass wir sehr viele Hörer haben, die uns teilweise über Deckadressen
schrieben. Ich bekam sogar Christstollen mit bestem Dank für die
Sendung geschickt. Da habe ich fast geheult, weil der Weg ja
eigentlich andersrum war. Wie groß die Hörerzahl wirklich ist,
konnten wir allerdings erst nach dem Mauerfall ermessen, als wir uns
oftmals 1:1 begegnet sind.“ Dass viel mitgeschnitten wurde, war
Werner Reinke indes sehr wohl bewusst. „Die Neuvorstellungen konnten
wir aus Zeitgründen nicht ausspielen, daher quatschte ich schon vorn
rein, damit gar nicht erst aufgenommen wurde. Die Hits von 10 bis 1
wurden aber als eiserne Regel bis auf den letzten Ton ausgespielt.“
Nach der Wende machte Werner Reinke
eine große Diskotour durch Thüringen, um seine Hörer endlich
persönlich kennen lernen zu können. Ambitionen Fernsehen zu machen,
hatte er hingegen nie. „Zu starr und unbeweglich war mir das alles
und im Vergleich zum spontanen Radio nie attraktiv.“ Ein weiterer
Abstecher führte Werner Reinke von 1991 bis 2000 ins Frankfurter
Waldstadion als Stadionsprecher des American Football-Vereins
Frankfurt Galaxy. Von ihm übernahmen die
FFH-Moderatoren Susi Brandt und Steffen Popp den sportlichen
Staffelstab. Präsent ist Werner Reinke heute auch noch auf andere
Art und Weise - als Werbesprecher für viele namhafte Firmen und
Produkte.
Bild oben: Werner Reinke mit Christian Stöcking
und Lydia Antonini.
Stefan Förster
Aus RADIOJournal 4/2005