»Was war das, was Sie um zwanzig
nach acht gespielt haben...?«
Gespräch mit World Music DJ Charlie Gillet
Lange Zeit war
der britische DJ Charlie Gillett nur einmal in der Woche für eine
halbe Stunde auf BBC World Service zu hören. Seit einigen Monaten
wird seine Sendung als »Saturday Night« im Rahmen der »World Music
Night« auch auf RBB RADIOmultikulti und WDR 5 Funkhaus Europa
ausgestrahlt. In diesem zweistündigen Programm kommen Gäste, um mit
ihm Platten auszutauschen oder „Radio Ping Pong“ zu spielen.
Angefangen hat der junger Charlie 1972 mit einer Show namens »Honky
Tonk« bei der BBC London. Unter anderem wurden Elvis Costello,
Graham Parker and Dire Straits in der Sendung zum ersten Mal
vorgestellt. 1980 wechselte er zum großen Privatsender Capital
Radio, drei Jahre später startete er dort die erste
Weltmusik-Sendung in Großbritannien. Seit 1995 ist Charlie wieder
bei der BBC und immer noch damit beschäftigt, neue aufregende
Künstler zu entdecken, um sie seinen Hörern vorzustellen. Charlies
Mischung kürt die beste Musik aus aller Welt und kann von Woche zu
Woche komplett unterschiedlich sein. Sein exzellenter Geschmack und
seine entspannte, natürliche Art zu moderieren, macht ihn bei seinen
Hörern beliebt, und die Preisverleiher auf ihn aufmerksam. Unter
anderem wurde Charlie Gillett mit dem „Sony Gold Award for
Specialist Music 2002“ ausgezeichnet und dieses Jahr als „Best
British DJ“ bei den MOBO Awards nominiert. Sein 1970 erschienenes
Buch „The Sound of the City“ gilt nach wie vor als die endgültige
Geschichte des Rock ‚n’ Roll. Hannah Tame traf sich in diesem Sommer
mit Charlie Gillet in London.
Außer in London sind
Sie gar nicht so bekannt in Großbritannien...
Richtig.
Nun frage ich mich, wieso Sie nicht überregional im Radio zu
hören sind?
Ich möchte liebend gerne eine überregionale Sendung haben, aber es
ist einfach nicht so gekommen, ich weiß nicht warum. Ich habe
irgendwie erwartet, da ich diesen Job seit über 30 Jahren mache,
dass irgendwann jemand kommen und mich fragen würde, ob ich meine
Sendung für ganz Großbritannien machen will. Das Problem bei Radio 2
ist, dass sie obwohl sie mir wohlgesonnen sind überhaupt kein
Interesse daran haben, dass ich Weltmusik spiele.
Sie hatten schon mal eine Sendung bei Radio 2?
Ja, sogar mehrere, aber ich musste immer Weltmusik in diese
Sendungen reinschmuggeln, und das wollen sie nicht. Wenn ich ständig
Sachen machen würde, wie zum Beispiel die Geschichte der westlichen
Popmusik wie wir sie alle kennen, wären sie ganz zufrieden damit.
Ich möchte aber nicht nur das machen.
Ich dachte, dass es vielleicht etwas damit zu tun hat, dass Sie
gerne die Kontrolle darüber haben, was Sie spielen.
Ja, das ist richtig. Also mich tröstet die Tatsache, dass ich bei
BBC London wirklich machen kann was ich will. Die Manager versuchen
überhaupt nicht mich zu beeinflussen, und das ist sehr ungewöhnlich,
fast einmalig. Ich kann mir vorstellen, dass John Peel (freitags,
10.30 Uhr, „Innovative Sounds from around the world“) eine
ähnliche Freiheit hat, Andy Kershaw auch. Bob Harris spielt etwas,
das heißt Americana, Gitarren-Rock orientierte Musik, hauptsächlich
aus den Staaten, manchmal aus Großbritannien und innerhalb dieses
Rahmens kann er spielen was er will. In dem Fall ist er aber auf
eine Kategorie festgelegt.
Grundsätzlich hat es kein Radiosender gerne, wenn ihre Moderatoren das
alleinige Sagen haben. Vielleicht, wenn ich mich einem Produzenten
unterwerfen würde, der etwas für mich entwirft, könnte es gehen.
Aber andererseits wäre es nicht logisch, mich als Moderator einer
solchen Sendung auszuwählen, denn ich moderiere aus dem Bauch
heraus. Ich kann nicht gut Texte vorlesen, und ich wäre nicht sehr
überzeugend, wenn ich Platten vorstellen müsste, die ich persönlich
nicht mag. Das würde man an meiner Stimme hören.
Nichtsdestotrotz, ich bin verärgert, und das ist nicht übertrieben,
weil ich nicht die Chance bekommen habe, zu zeigen, was ich kann.
Wenn ich für Bob Harris eingesprungen bin, war die Reaktion von
seinen Hörern zu dem was ich mache, unglaublich. Ich möchte nicht
seine Sendezeit stehlen oder so, ich finde einfach, dass ich an
einem anderen Abend etwas machen könnte, und die gleichen Leute, die
ihn gut finden, würden auch meine Sendung gut finden, obwohl sie
ganz anders ist.
Sie bezeichnen sich als Maverick DJ.
Na ja, in dem Sinne, dass die Mavericks diejenigen sind, die nur das
spielen, was sie möchten, unabhängig davon ob die Plattenfirmen an
die Tür klopfen und ihnen sagen was sie spielen sollen. Ich mag das
Wort Maverick.
Wie ist es zu der Sendung bei RADIOmultikulti gekommen?
Johannes Theurer und Tobias Maier bei RADIOmultikulti koordinieren
jeden Monat die World Music Charts. Sie haben Kontakt zu fünfzig
oder sechzig DJs in Europa, die alle mit der European Broadcasting
Union (EBU) verbunden sind. Wir schicken jeden Monat eine Liste von
unseren zehn besten aktuellen Platten, und sie machen einen Chart
daraus, der veröffentlicht wird. Wir haben also diese Art von
Feedback miteinander. Dann, als WOMEX vor drei Jahren in Berlin war,
habe ich gesehen, dass RADIOmultikulti von dort sendet. Ich habe sie
gefragt, ob wir uns zusammensetzen könnten, für zwei Stunden, von 8
bis 10 Londoner Zeit, und eine Sendung machen, die sowohl bei
Multikulti als auch bei BBC London gesendet wird.
Die deutschen Moderatoren haben dann auf Englisch gesprochen?
Genau. Das war vor drei Jahren, und letztes Jahr in Essen haben wir
das gleiche noch mal gemacht. Wir hatten also diesen physischen
Kontakt, und wir haben gesehen, was der andere macht. Obwohl meine
Sendung bei BBC London ausgestrahlt wird, ist es eine eigene
Produktion. Ich bin verantwortlich für alles was da geschieht. Ich
betrachte es als meine Sendung und sie wird bei BBC London
ausgestrahlt. Nun, als sie (die Leute von RADIOmultikulti) gekommen
sind und gefragt haben: „Können wir so was machen?“, habe ich
gesagt: „Ja“. Sie wollten eigentlich eine offizielle Genehmigung der
BBC haben, aber als ich mit dem Management bei der BBC sprach,
meinten die: „Lass uns nicht in Bürokratie verwickelt werden, machen
Sie es einfach.“
Gibt es viel Feedback von den Multikulti-Hörern?
Nicht viel. Bisher weniger als einmal die Woche. Aber ich erstelle
immer die Playlists und die Leute können die wichtigsten
Informationen auf der Webseite finden. Es gibt also weniger Gründe
als früher, mir hinterher zu laufen und zu fragen „was war das?“.
Der häufigste Grund, warum jemand sich bei mir gemeldet hat, war die
Frage: „Was war das, was Sie um zwanzig nach acht gespielt haben?“
Es ist immer interessant wie sie einen Song identifizieren. Entweder
sie beschreiben ihn an sich, oder sie sagen, es war der, den Sie
nach Joe Strummer gespielt haben. Es ist wichtig, wenn man die Show
plant, ein paar Wahrzeichen innerhalb des Programms zu haben, damit
die Leute das Gefühl haben, OK, das kenne ich. Ein zweistündiges
Programm zu haben, in dem alles unbekannt ist, strengt die Hörer zu
sehr an. Man könnte einfach das Beste, was bei uns wöchentlich mit
der Post eingeht, auf den Plattenteller legen. Das mache ich nicht,
ich stelle neue Stücke vor und spiele Sachen, die ich schon öfter
gespielt habe, und so bleibt es relativ vertraut. Ich spiele einen
Neuzugang einen Monat später noch einmal und auch ein drittes Mal,
das festigt das Gefühl von A-ha! Das kenne ich. Außerdem spiele ich
regelmäßig ein paar englischsprachige Sachen, damit die Hörer sich
wieder zurecht finden können, danach geht’s wieder weiter mit einem
kleinen Abenteuer.
Radio Ping-Pong: Ich verstehe die Regeln nicht so ganz.
Es gibt ganz wenige. Die Grundprinzipien sind: Sie kommen hin, Sie
sagen mir nicht, was Sie spielen werden, Sie bringen einfach ein
dutzend Platten mit, Sie sind zuerst dran und können spielen was Sie
wollen, aus welchem Grund auch immer. Ich habe meine Plattenkiste
da, und ich spiele anschließend etwas, wo ich denke, es wird gut
dazu passen. Ich weiß, dass Sie kommen, also habe ich meine Sachen
ein bisschen darauf zugeschnitten auf was ich denke, das Sie
eventuell spielen könnten. Ich möchte Ihre Musik nicht unbedingt
überschneiden, aber ich will, dass es zu dem passt was Sie machen
und eine zusammenhängende Sendung bildet. Wenn jemand kommt, der
Jazzmusiker ist, werde ich mich darauf beziehen, dagegen wenn jemand
aus Neuseeland kommt, wie ich es vor kurzem hatte mit zwei
Mitgliedern der Maori-Gruppe Wai, da war fast alles aus Neuseeland.
Ich habe eher kommerzielle Sachen gespielt, Rap und Reggae, sie
dagegen haben traditionelle Maori Musik mitgebracht. So hängt das
alles zusammen. Darüber hinaus gibt es keine Regeln.
Es bedeutet vielleicht einfach, dass viele schöne Platten
gespielt werden.
Und ich entdecke Musik, die ich sonst nicht kennen würde. Ich
brauche Hilfe in jeder Hinsicht. Die Platten kommen und liegen auf
dem Boden herum, und es gibt nichts an diesen Platten, was mich
anregt, sie zu spielen. Aber Sie kommen und spielen diese Platte und
ich denke Ah-ha! und ich gehe nach Hause, höre mir die Platte noch
mal an und denke Ja! das ist wirklich gut. Meine größten Hits, die
ich immer wieder spiele, haben oft mit einem Ping Pong Spiel
angefangen.
Was muss jemand tun, um Ping Pong Gast zu werden?
Das ist eine gute Frage, denn es gibt kein System. Meistens sind es
Leute, bei denen es mir gefällt, was sie machen, seien sie Autoren,
Künstler oder Promoter. Ab und zu machen wir Werbung für ein
bestimmtes Event. Dieses Jahr gab es La Linia, eine Veranstaltung
mit Musikern aus spanisch- und portugiesischsprachigen Ländern. Da
kam der Promoter Andy Wood und hat fast ausschließlich deren Musik
gespielt. (...) So ein Ping Pong bezieht sich also speziell auf ein
Event. Hauptsächlich sind es aber Leute, deren Musik mir gefällt,
oder Journalisten, deren Themen ich mag.
Ich habe festgestellt, dass es in Großbritannien gar nicht so viele
Leute gibt, die ich einladen kann. Als ich angefangen habe, dachte
ich, dass ich viele Journalisten einläden könnte, mit der Absicht,
ihnen Musik vorzuspielen, die ihr Leben verändern würde. Aber das
passiert nie. Diese Leute, die auf Rockmusik stehen, können sich
nicht für andere Sachen begeistern. Sie hören sich das an, und
sagen: ja, ganz nett, aber sie sind überhaupt nicht neugierig, das
noch mal zu hören oder es weiter zu verfolgen.
Na ja, ich glaube aber, dass ich andersrum genau so wäre. Ich
stehe gar nicht so auf Rockmusik und deshalb würde ich
wahrscheinlich auch sagen: ja, ok, aber ich werde es mir nicht noch
mal anhören.
...und man könnte sagen, dass ich auch so bin. Ich habe schon eine
Abneigung gegen diese Bands, die die Instrumente auf die gleiche Art
spielen wie sie die Beatles oder Byrds in den Sechzigern gespielt
haben. Aber ich mag schon Gruppen, die auf Englisch singen, wie zum
Beispiel The Be Good Tanyas, ein Kanadisches Trio, das nicht
unbedingt Rock spielt.
Besteht der Reiz der Musik aus anderen Ländern auch darin, das
sie in fremden Sprachen gesungen wird?
Das kann in so fern sein, als dass ich irgendwann in den Achtzigern
das Gefühl bekommen habe, dass wirklich jeder Reim und jeder
Gedanke, den man haben kann, irgendwann mal in einem Song
vorgekommen ist. Wissen Sie, ich war schon vierzig, und...
Sie haben nur noch Klischees gehört?
Na ja, etwas ist nicht gleich ein Klischee, wenn man es das erste
Mal hört, aber wenn mans immer wieder hört. Also hatte ich auf jeden
Fall das Gefühl, dass es immer schwieriger wurde, ein Lied zu
finden, das mich aufhorchen ließ. Für den Sänger sind die Worte ein
Mittel, Emotionen darzustellen, ob auf Englisch oder nicht. Darum
geht es nur. Irgendwann habe ich den Punkt erreicht, wo ich dachte,
wenn ich Khaled singen höre, weiß ich zwar nicht, worüber er singt,
aber seine Stimme berührt einen. Als ich das erste Mal Little
Richard in den Fünfzigern hörte, habe ich vielleicht jedes zehnte
Wort verstanden, weil er brüllt. Nach einer Weile ist man ganz
überrascht, dass er tatsächlich Englisch singt, es ist nur die Art,
wie er singt man weiß nicht, wo ein Wort aufhört und das nächste
anfängt. Man hört es noch mal und noch mal und dann hat man’s.
Wie Khaled auf Arabisch singt ist wunderschön...
Ja, und auch wenn er Französisch singt, wie bei Aisha. Arabisch, das
war für mich fast das Schwierigste. Ich fand die Sprache eine lange
Zeit dissonant. Ich habe zuerst die Musik von Westafrika entdeckt,
Youssou N’Dour, Salif Keita usw., und bin nach Senegal gefahren. Da
konnte man Algerische und Marokkanische Sender im Radio hören, und
plötzlich habe ich die Ähnlichkeiten gehört. Danach hatte ich kein
Problem. Heutzutage hätte ich Probleme mit Sprachen wie Japanisch
oder Chinesisch.
17 Hippies auf dem TFF Rudolstadt 2003
Foto: © Andreas Pawelz
Hören Sie deutsche Musik?
Deutsche Sprache ... ich mag die Gruppe 17 Hippies, aber sie singen
nicht oft auf Deutsch, sie singen auf Englisch, Französisch und
Deutsch.
Stöbern Sie noch in Plattenläden?
Ich bin sehr gefährlich in Plattenläden. Mit fällt es schwer, in
einen Plattenladen zu gehen, und heraus zu kommen, ohne etwas
gekauft zu haben. Dabei brauche ich keine Platten, ich habe
zehntausend oder so.
Sie scheinen ein sehr gutes Verhältnis zu Ihren Hörern zu haben.
Ja, und das ist es, was mich so erfüllt. Es ist frustrierend, dass
die Produzenten und Manager bei den großen Nationalsendern die Art
von Beziehung, die ich zu meinen Hörern habe, nicht besonders
respektieren. Ich glaube, dass sie uns alle für verrückt halten. Je
enthusiastischer mein Publikum ist, desto mehr weiß ich es zu
schätzen. Die Produzenten aber denken, was ist mit euch los, ihr
sollt distanzierter sein und das ganze nur als Beruf sehen, und
nicht so emotinal eingebunden werden. Wenn es nach diesem Motto
gehen soll, kann man überhaupt nicht gewinnen.
Wird diese Beziehung durch Ihre Website und eMail verstärkt?
Sie wird dadurch nicht verstärkt, sie war schon immer da. Die
Webseite verkörpert diese Beziehung. In den 70ern, als ich
Gewinnspiele gemacht habe, kamen jede Woche fünfzig oder sechzig
Postkarten. In den 80ern, als ich bei Capital, einem großen
Privatsender, war, lief alles übers Telefon und ich habe viel
weniger Briefe bekommen. Inzwischen geht alles über eMail. Ich
bekomme recht selten Briefe an die BBC London heutzutage.
Ich mag es, wenn Sie auf Ihrer World Service Sendung sagen:
„Sie können mir eine eMail schreiben oder ein Old-Fashioned letter
schicken“.
Ja, denn viele von den World Service Hörern sind noch älter als ich,
und sie schreiben schon noch Briefe.
Es ist ja schön, Briefe zu bekommen.
Ist es wirklich, und es gibt viele Menschen auf der Welt, die keinen
Zugang zum Internet haben, und wenn ich das nicht sage, könnte es
den Eindruck machen, als wären mir diese Leute egal. Aber so ist es
nicht.
Sie werden meistens als „Weltmusik Guru“ bezeichnet. Finden Sie
das OK? Denn Sie haben in den 80ern angefangen, Musik aus anderen
Ländern zu hören...
Ich habe sogar früher angefangen, bloß ohne System. 1973 habe ich
zum Beispiel Manu Dibangos Soul Mokassa acht mal in meiner Sendung
gespielt. Ich wusste zwar nicht, wo er herkommt, ich habe einfach
die Platte geliebt. Ich habe auch Musik von der Gruppe Tabou Combo
gespielt. Ich wusste auch nicht, wo sie her kommen, habe aber später
rausgefunden, dass sie aus Haiti sind. Ich habe eigentlich nicht
nach Kategorien gehört, sondern nach meinen Ohren. Erst 1984 begann
ich damit, die Sache systematisch und explizit anzugehen. Da hatte
ich eine Sendung, die hieß »A Foreigh Affair«, kaum zu glauben.
Hatten Sie nicht noch andere Namen?
Als ich bei Capital war, habe ich ständig den Namen geändert, ich
weiß nicht mehr warum. »A World of Difference«, »City Beats«. Ich
bin sehr paranoid, in einer Schublade zu landen. Das einzige, was
bei dem Ausdruck „World Music“ nicht stimmt, ist meiner Meinung
nach, dass er nicht musikalisch klingt. Die großen Ausdrücke
Rock’n’Roll, Jazz, Swing, Boogie-Woogie, sind alles Wörter, die in
einem Song oder in einem Titel von einem Song vorkommen können.
World Music klingt so stumpf.
War es nicht außerdem ein Ausdruck, der von Plattenfirmen
erfunden wurde…
Na ja, ich war auch daran beteiligt.
...um irgendwie Musik aus anderen Ländern, die nicht in die
existierenden Schubladen passt für den Westen zu verpacken?
Es gibt doch kein Gesetzbuch, wo drin steht, das ist World Music,
und alles andere ist außerhalb von dieser Grenze. Wissen Sie, es
gibt keine Grenzen, und das gilt für alle Musikarten, wenn man den
Grenzen von Jazz und Folk zu Pop-Musik oder Klassik kommt, sind die
Übergänge verschwommen. Je nachdem wer man ist, würde man etwas als
das eine oder das andere bezeichnen. Und so ist es auch bei World
Music. Wir sind gekommen und haben gesagt, OK, das was früher als
Folk oder Traditionelle Musik bezeichnet wurde, wird jetzt World
Music genannt. Es ist nützlich, denn so haben die Plattengeschäfte
eine Ecke in ihren Läden, wo sie eine CD aus Kuba oder aus Bulgarien
oder Mozambique hinstellen können. Wenn es diese Bezeichnung nicht
gäbe, würden diese Platten nirgendwo zu finden sein, also ist es
Blödsinn, zu bestreiten, dass es die Bezeichnung nicht geben soll.
Was machen Sie sonst noch?
Ich habe eine kleine Plattenfirma Oval, mit der wir einen Hit
hatten, Touch and Go „Would You...?“, wir arbeiten noch an dem
Projekt mit Touch and Go. Die Platte hatte eine unglaubliche
Laufbahn. Sie war ein Hit 1998-99, die Songs auf dem Album sind
seitdem für Werbungen und viel anderes benutzt worden. Ein Stück ist
auf der Apple Webseite, wo man Musik für 99 Cent pro Stück
runterladen kann. Wenn man draufklickt erklärt ein Typ, was man als
nächstes machen muss und die Hintergrundmusik ist ein Song „Straight
to Number One“ von unserem Album. Wir wollen das als Single
herausbringen.
Sind Sie gerade auf dem Höhepunkt Ihrer Karriere?
Es fühlt sich ziemlich gut an. Anfang der 90er war eine harte Zeit,
da war ich nicht im Radio und habe es vermisst. Also ja,
wahrscheinlich schon.
Sie scheinen ein glücklicher Mensch zu sein.
Das stimmt, ich bin weniger ängstlich als früher. Ich habe keinen
Vertrag bei der BBC zum Beispiel, und sie könnten einfach jederzeit
entscheiden, das war’s, tschüss. Einerseits ist es nervenaufreibend,
andererseits genieße ich die Herausforderung.
Ich glaube, der Grund, warum ich noch da bin, ist, dass ich ein
messbares Publikum habe. Wenn ich das nicht hätte, würden sie mich
keinen Tag länger behalten, wenn sie glaubten, sie könnten mehr
Hörer bekommen, wenn sie etwas anderes anbieten würden. Ich wollte
sagen, etwas billigeres, aber viel billiger als ich geht fast gar
nicht. Ich bin der einzige, den sie bezahlen, also ist es schon
ziemlich günstig. Sie müssen aber für die Platten bezahlen,
needle-time usw. für jede Platte gibt es eine Gebühr, das heißt
nicht ganz so billig wie eine Talkshow, wo die Leute anrufen. Das
ist das ultimative billige Radio, deswegen gibt es so viel davon.
Aber so lange ich noch ein Publikum und etwas Ansehen bekommen
kann... Es ist ziemlich ironisch: Seitdem BBC London auf Talk
umgestellt hat, ist meine Sendung für den Sony Award nominiert
worden. Letztes Jahr hat sie gewonnen, und dieses Jahr wurde sie
nominiert. Es muss extrem frustrierend sein für sie, dass die
einzige Sendung, die etwas Ansehen bekommt, eine Musiksendung ist.
Hier gab es vor kurzem ein Interview mit John Peel in dem er
sagte: „Mir macht mein Job so viel Spass, dass ich es kaum in Worte
fassen kann.“
Ja, ich glaube ich könnte das auch von mir selbst sagen. Ich habe
ein großes Glück, dass ich das machen kann, was ich will. Ich
bedauere eigentlich nur, dass es nicht für ein überregionales
Publikum ist. Das wird aber kompensiert dadurch, dass ich meine
Sendung im BBC World Service mache, wo ich ein weltweites Publikum
habe.
Die Sendung ist nur etwas kurz.
Das stimmt. Aber weil es nur eine halbe Stunde ist, kann ich ruhig
sechs oder sieben Stücke spielen, die alle in fremden Sprachen sind.
Ab und zu werfe ich ein englischsprachiges Lied rein, aber wenn die
Sendung eine Stunde lang wäre, müsste ich mein Konzept neu
durchdenken. Was für uns eine Fremdsprache ist, ist für jemand
anderen die Muttersprache. Das heißt, im World Service, egal was ich
spiele, es wird immer in der Muttersprache von irgendjemandem sein.
Das finde ich interessant.
Hannah Tame
Aus RADIOJournal 10/2003
Fotos: © Philip Ryalls
»... Grundsätzlich hat es kein
Radiosender gerne, wenn ihre Moderatoren das alleinige Sagen haben.
Vielleicht, wenn ich mich einem Produzenten unterwerfen würde, der
etwas für mich entwirft, könnte es gehen. Aber andererseits wäre es
nicht logisch, mich als Moderator einer solchen Sendung auszuwählen,
denn ich moderiere aus dem Bauch heraus. Ich kann nicht gut Texte
vorlesen, und ich wäre nicht sehr überzeugend, wenn ich Platten
vorstellen müsste, die ich persönlich nicht mag. Das würde man an
meiner Stimme hören...«
»... Es ist
frustrierend, dass die Produzenten und Manager bei den großen
Nationalsendern die Art von Beziehung, die ich zu meinen Hörern
habe, nicht besonders respektieren. Ich glaube, dass sie uns alle
für verrückt halten. Je enthusiastischer mein Publikum ist, desto
mehr weiß ich es zu schätzen. Die Produzenten aber denken, was ist
mit euch los, ihr sollt distanzierter sein und das ganze nur als
Beruf sehen, und nicht so emotinal eingebunden werden. Wenn es nach
diesem Motto gehen soll, kann man überhaupt nicht gewinnen...«
• Charlie
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Charlie Gillett
• Charlie
Gillett -
The Sound of
the World (Interview in English)
www.charliegillett.com