Interviews
mit Radioleuten und Radiomachern
Foto: © BR (Ralf Wilschewski)
Ulli Wenger: »Radio ist täglich eine neue Herausforderung!« - 10 Jahre One Hit Wonder
Ulli Wenger ist hauptberuflich „Chef vom Dienst“ fürs Wortprogramm von BAYERN 3. Das verantwortet er mit zwei weiteren Kollegen, kümmert sich um den Hörerservice, beantwortet täglich Hörerfragen zur Popmusik und ist für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit zuständig. „Sicherheit vor Schnelligkeit“ heißt sein Motto, das bringt er kurz und knackig mit seinem Radioberuf auf den Punkt: „Googeln kann jeder, gründlich recherchieren nicht unbedingt“. Seine Kollegen sagen nicht umsonst: „Keiner recherchiert länger als Ulli Wenger“. Den Hörern ist er besser bekannt als „Herr der Eintagsfliegen“ oder Mr. One Hit Wonder. „Meine Musikserien entstehen so nebenbei, quasi als Kür. Ebenso die CDs“ sagt Ulli.
1994 hatte der 50-Jährige die Idee zum »HitCycling«. In dieser Sendung vergleicht Wenger jede Woche eine aktuelle Cover-Version aus den Charts mit dem Original. Weil das »HitCycling« so gut ankam, baten ihn seine Kollegen im Januar 1997 um eine zweite, neue Serie für den Sonntagmorgen. „Ich schlug ihnen das Schicksal einer musikalischen Eintagsfliege vor und dachte dabei an zirka 100 Folgen, momentan sind wir bei Folge 508! Zunächst kaum beachtet, aber dank der Wiederholung am Montagvormittag ist das »One Hit Wonder« dann auch ein Knüller geworden. Seit 2000 kam die jährliche Doppel-CD dazu.“ Das Besondere: Sie stammt von einem Mann aus dem Hintergrund, nicht von einem populären Moderator wie Frank Laufenberg oder Roger Handt. (Für Roger Handt schreibt Ulli Wenger seit einigen Jahren die Booklet-Texte zu dessen bisher drei Yesterday-CDs.)
Erster Berufswunsch: Moderator bei Radio Luxemburg
Als Ulli Wenger am 3. September 1958 in Bonn das Licht der Welt erblickte, war das fast genau einen Monat, bevor Elvis Presley am 1. Oktober in Bremerhaven landete. Zum „King“ hat er aber sonst nur wenig Bezug: „Der erste Song, an den ich mich als Radiohörer erinnern kann, war 1972 ‚Burning Love’.“ Als kleiner Junge faszinierte ihn das große Röhrenradio der Eltern. Vor allem eine Sendung ist ihm im Gedächtnis geblieben: „Der Samstagabend-Straßenfeger »Allein gegen Alle« mit Hans Rosenthal, damals waren viele ARD-Sender zusammengeschaltet, ich habe es im ersten Programm des Südwestfunks verfolgt.“
So richtig entdeckt hat Ulli das Radio jedoch erst als 13-Jähriger im Sommer 1971. Da reifte in ihm der Wunsch selbst beim Radio zu arbeiten und er wäre am liebsten Moderator von Radio Luxemburg geworden. Warum? „Weil der erste Radiomann, der mich damals fasziniert hat, Frank Elstner war. Der moderierte »Die Großen Acht« und »Die Hitparade«. Vor allem der - nicht vorproduzierte - Schnelldurchlauf der Single-Hitparade so kurz vor 16.00 Uhr am Sonntagnachmittag, bevor Camillo Felgen mit seinem Wunschkonzert kam.“
Als Radiohörer zur Schülerzeitung
Drei Jahre später erregten andere Radio-Klassiker Ullis Aufmerksamkeit: Mal Sondock mit seiner »Diskothek im WDR« mittwochs und Wolfgang Neumann samstags mit der »Schlagerrallye«. Beides lief innerhalb der Sendung »Fünf nach sieben - Radiothek« auf WDR 2. „Und ab 1975, dem offiziellen Sendestart von SWF3, war ich Frank Laufenberg und seinen musikjournalistischen Kenntnissen verfallen“, erzählt Ulli. „Er ist mein großes Vorbild, mit dem ich heute noch in regelmäßigem Kontakt stehe. Aus seiner Rubrik »Aus alt mach neu« entstand 1994 meine Serie »Hit-Cycling«, wo ich Woche für Woche eine aktuelle Cover-Version aus den Charts mit dem Original vergleiche - mit Infos über die Originalversion bzw. -Interpreten.“
Bevor Ulli beim Radio reinschnuppern konnte, vergingen noch mal zehn Jahre. Zunächst war er für die Schülerzeitung aktiv. Das fing 1975 mit einem Artikel über Buddy Holly an. „Weil Frank Laufenberg damals in seiner Rubrik den Nummer-Eins-Hit ‚Oh Boy’ der britischen Teeniegruppe Mud auf das Original von Buddy Holly aus dem Jahr 1958 zurückgeführt hat. Also habe ich meinen Mitschülern erklärt, wer Buddy Holly war und warum Mud nur eine Cover-Version ist. Das war sozusagen die Keimzelle meiner späteren Serie »HitCycling«“.
Vom Südwestfunk zu Bayern 3
Nach der Schule folgte 1979 ein Studium der Agrarwissenschaften, zunächst in Bonn, später dann in Freising-Weihenstephan. 1984 bemühte Ulli sich um ein Praktikum bei SWF 3 in Baden-Baden. „Heraus kam eine Hospitanz im Bonner SWF-Studio im September/ Oktober 1985. Dann habe ich im Sommer 1986 die Urlaubsvertretung für Frank Laufenberg und Klaus Schürholz übernommen, und arbeitete ab Januar 1987 für 15 Monate als Volontär beim SWF. Von April 1988 bis Mai 1992 war ich dann Redakteur, Reporter und Moderator in der aktuellen Hörfunkredaktion des SWF in Baden-Baden. Moderiert habe ich in dieser Zeit tagesaktuelle Sendungen in SWF 1 und SWF 2.“ Im April 1992 wurde ihm telefonisch der Posten eines „Chefs vom Dienst“ bei BAYERN 3 angeboten, das damals komplett neu aufgestellt wurde. Diese Chance ließ Ulli Wenger sich nicht entgehen, er zog von der Oos an die Isar.
Sein größtes Idol: Paul McCartney
Als Beatles-Fan konnte sich Ulli bei BAYERN 3 einen Lebenstraum erfüllen und schildert das einmalige Erlebnis: „Mit den Beatles kam ich 1973 in Kontakt durch einen Nachbarjungen, der mir seine Kassetten mit dem roten bzw. blauen Album auslieh. 1976 wurden dann viele Beatles-Singles wieder veröffentlicht und bei WDR 2 machte Wolfgang Neumann eine zehnteilige, aufwändig produzierte Serie über die Beatles. Grundlage dafür war sein selbst geschriebenes Buch über die Fab Four aus dem Bastei-Verlag. 1989 habe ich dann Paul McCartney zum ersten Mal in der Münchner Olympiahalle aus zehn Metern Entfernung in der Arena erlebt. Tief beeindruckt habe ich davon immer wieder geschwärmt, auch bei seinen nächsten Konzerten war ich dabei. 1995 zum Erscheinen der Beatles-Anthology habe ich dann eine zehnteilige englische Radioserie über Paul und die Anthology für BAYERN 3 übersetzt, produziert und Pauls Part gleich noch selbst synchronisiert. Als Paul dann 2003 wieder auf große Europatournee ging, schickten mich meine Kollegen zum Tourneeauftakt nach Barcelona. Dort schüttelte ich ihm erstmals die Hand und entlockte ihm eine paar witzige Station-IDs. 2005 traf ich Paul in einem Kölner Hotel wieder - sichtlich gealtert und genervt von Heather Mills. Diesmal signierte er mir die rote Beatles-CD mit der gelben Eins vorne drauf.“
Der Mann im Hintergrund
Das Außergewöhnliche an Ulli Wengers Leben: Er hat sein Hobby zum Beruf gemacht: „Ich bin seit 16 Jahren hauptberuflich Chef vom Dienst fürs Wortprogramm von BAYERN 3, aber kein Musikredakteur! 1994 platzte mir dann aber doch der Kragen, als (dank des Films ‚Vier Hochzeiten und ein Todesfall’) Wet Wet Wet 15 Wochen lang auf Platz eins in England standen und fast stündlich im Radio mit ‚Love Is All Around’ liefen, aber niemand das Original von den Troggs erwähnte. Also setzte ich mich hin, schrieb einen kleinen Beitrag über die Troggs und bot ihn meinen Kollegen an.“ Seitdem gibt’s das »HitCycling« jede Woche mit bis heute mehr als 600 (!) Folgen.
Ulli ist nicht nur Radiomacher, sondern immer noch Radiohörer. Er schaltet gerne den Sender ein, der ihn als Kind schon vor den Empfänger lockte. Nur heißt der jetzt ein bisschen anders: „Wenn ich nicht Bayern 3 höre, dann aus alter Verbundenheit zu den Kollegen: SWR 1 Baden-Württemberg, vor allem natürlich am Samstagabend Frank Laufenberg. Der erzählt mir auch heute noch popmusikalische Dinge, von denen ich noch nichts gehört habe. Man lernt halt nie aus!“
Und was bedeutet ihm selbst Radio? „Alles, weil man sein eigener Herr ist“, sagt Ulli. „Im Notfall reichen Telefon und Mikrofon aus, um von aktuellen Ereignissen zu berichten. Fernsehen ist viel zu aufwändig, braucht immer Bilder, die kann und muss ich im Radio mit meiner Sprache selbst erzeugen. Das ist täglich eine neue Herausforderung!“
Foto: © BR (Markus Kovalin)
Die Jubiläums-CD: 10 Jahre One Hit Wonder
Im November 2008 ist die 10. One Hit Wonder-CD erschienen. Zwei Doppel-Alben will Ulli Wenger noch herausbringen, um das Dutzend voll zu machen. Mit dem 12. soll Schluss sein, weil es immer schwieriger wird, an die Rechte für die Songs zu kommen. Jede One Hit Wonder-CD ziert ein anderes Motiv, das die Einmaligkeit der Hits symbolisiert - von der Seifenblase auf Volume 1 über die Glühbirne bei Volume 4 bis zum explodierenden Sektkorken auf der 10. zum Jubiläum. Alle Doppel-CDs enthalten 36 einmalige Hits, die irgendwann mal für kurze Zeit erfolgreich waren - ihre Interpreten dann aber „wieder weg vom Fenster“. Die Geschichten zu den Songs (Kurzporträt der 36 Künstler bzw. Bands mit interessanten Hintergrund-Infos) erzählt Ulli Wenger ausführlich im farbigen, 28 Seiten dicken Booklet. In der Sammlung enthalten sind nicht nur viele Titel, die immer noch im Radio gespielt werden, sondern auch einige - besonders für Radiofans interessante - Raritäten, weil Moderatoren sie mal als Hintergrundmusik benutzt haben.
• Rah Band: „Clouds Across The Moon“ (1985) - die Geschichte einer einsamen jungen Frau, die versucht, ihren Mann telefonisch zu erreichen. Das ist zugegebenermaßen etwas schwierig, weil er als Raumfahrer gerade auf dem Weg zum Mars ist. Trotzdem will sie von ihm wissen, wie denn das Wetter dort oben im All ist, doch mittendrin treten atmosphärische Störungen auf, die Leitung bricht zusammen. Sie verspricht ihm, im nächsten Jahr noch einmal anzurufen. Die Idee zu dieser skurilen Geschichte hatte der britische Musikproduzent Richard Hewson, der den Song unter dem Pseudonym Rah Band gemeinsam mit seiner Frau im eigenen Studio produziert hat. (zu finden auf Volume 1)
• Buggles: „Video Killed The Radio Star“ (1979) - ein Song, der textlich und musikalisch das Zeitalter der Computer und Wegwerf-Gesellschaft vorweg nimmt. Das Video dazu lief am 1. August 1981 zur Eröffnung des amerikanischen Musikkanals MTV. Seinerzeit war der Songtitel visionär - heute ist er Wirklichkeit. Und die Buggles sind Geschichte. Übrigens: Im Video steht der damals noch völlig unbekannte deutsche Filmkomponist Hans Zimmer am Keyboard! (zu finden auf Volume 1)
• The Baronet: „Pelican Dance“ (1972) - dieser Radio-Hit hat sich europaweit rund 1,2 Millionen Mal verkauft. Zuerst ertönte der Song jeden Donnerstagvormittag in der dreistündigen Diskussionssendung »Hallo Ü-Wagen« mit Carmen Thomas auf WDR 2 und lief dort als Backtimer vor den News. Ab 1977 machte Thomas Gottschalk den „tanzenden Pelikan“ in Bayern populär, in dem er ihn als Erkennungsmelodie seiner legendären Radioshow »Pop nach Acht« in Bayern 3 nutzte. Ulli Wenger traf Gottschalk im März 2003, als „der Thommy“ mal wieder die MorningShow moderierte und schenkte ihm seine dritte OHW-CD, auf der „sein Indikativ“ erstmals knisterfrei zu hören war: „Zum Dank signierte er mir meine Original-Vinylsingle“. Hinter dem Phantasienamen Baronet verbirgt sich der französische Musiker und Toningenieur Bernard Estardy mit dem Spitznamen „Le Baron“. (zu finden auf Volume 3)
• Frank Stallone: „Far From Over“ (1983) - der jüngere Bruder von „Rambo-Rocky“ Sylvester Stallone schreibt mit 14 Jahren seine ersten Songs. Mit seiner Band Valentine tritt er in Kneipen auf und bringt sogar eine Platte raus. Die wird ein Flop. Bruder Sylvester gibt ihm eine zweite Chance: Frank darf 1976 bei „Rocky I“ mitspielen. Doch bis zum ersten großen Hit dauert es weitere sieben Jahre. Der große Bruder produziert „Staying Alive“, die Fortsetzung des Disco Kultfilms „Saturday Night Fever“. Darin spielt John Travolta die Hauptfigur. Frank bekommt eine Nebenrolle und liefert für den Soundtrack den selbst geschriebenen Song „Far From Over“. Günther Jauch bastelt aus dem markanten Intro die Erkennungs-Melodie für seinen »B3-Radio Report«. (zu finden auf Volume 3)
• Piero
Umiliani: „Mah-Nà-Mah-Nà“ (1969) - bei
diesem unwiderstehlichen Ohrwurm denkt jeder sofort an die
»Sesamstraße«, dabei stammt er ursprünglich aus einem Softporno! Der
italienische Filmkomponist Piero Umiliani
(1926-2001) vertont 1969 einen „Dokumentarfilm“ über die
„verwerfliche“ schwedische Jugend: „Schweden - Himmel und Hölle“
zeigt unter anderem Drogenabhängige im Rotlichtmilieu und eine Bar,
in der sich lesbische Frauen treffen. Kein Wunder, das der Film
damals auf dem Index stand und in Schweden nicht offiziell gezeigt
werden durfte. In den 70ern entdeckt Jim Henson den Song für seine
»Muppet-Show« und so landet „Mah-Nà-Mah-Nà“ schließlich auch in der
»Sesamstraße«. Auch der britische Komiker Benny Hill benutzte die
Nonsens-Nummer gerne in seiner TV-Show. Deshalb kann sich Piero
Umiliani 1977 auch in den englischen Top Ten platzieren.
(zu finden auf Volume 3)
• After The Fire: „1980-F“ (1980) - der markante instrumentale Titelsong dieser britischen Rockband wird ab 1981 zur Erkennungsmelodie der Radioshow »Club 15« in BAYERN 3, moderiert von Jürgen Herrmann und Thomas Gottschalk. Als Sonnyboy Thommy im März 1982 seine eigene Fernsehshow »Na sowas!« im ZDF bekommt, nimmt er „1980-F“ gleich mit. NDR 2-Moderator Günter Fink nutzt die Melodie für das populäre »Club Wunschkonzert« ebenso wie in Stuttgart SDR 3, wo „1980-F“ jahrelang als Indikativ der »Plattenpost« zu hören war. Im Kölner Karneval wird damit auch heute noch die kultverdächtige „Stunksitzung“ eröffnet. (zu finden auf Volume 4)
• Rick Dees: „Disco Duck“ (1976) - der neben Casey Kasem (American Top 40) wohl bekannteste Charts-Moderator der Welt (Weekly Top 40) kommt auf dem Höhepunkt der Discowelle auf die Idee, sich darüber lustig zu machen. An nur einem Nachmittag schreibt Rick Dees die Parodie „Disco Duck“. Monatelang rennt er von einer Plattenfirma zur anderen, bis er endlich den ersehnten Vertrag in der Tasche hat. Doch jetzt geht der Ärger erst richtig los: Alle Radiosender in seiner Heimatstadt Memphis weigern sich, den Song aufzulegen. Bei seinem eigenen Sender darf Rick Dees ihn auch nicht spielen, als er mal nebenbei darüber plaudert, wird er sofort gefeuert. Beim Konkurrenzsender wird Dees dagegen mit offenen Armen empfangen und darf seinen Hit endlich auch spielen. Der Lohn: vier Millionen verkaufte Singles weltweit. In Deutschland macht der NDR 2-Moderator Willem Dincklage daraus die Blödelversion „Tarzan ist wieder da“. (zu finden auf Volume 4)
• Mood Mosaic: „A Touch Of Velvet (A Sting Of Brass)“ (1966) - hinter diesem „Gefühlsmosaik“ verbirgt sich der in Köln aufgewachsene Produzent Mark Wirtz. Der Arztsohn schwärmt für den Rock’n’Roll und wird deshalb schnell zum schwarzen Schaf der Familie. Mit 16 haut er nach London ab, wo er tagsüber Kunst studiert und abends in einer Rockband spielt. Gemeinsam mit den Ladybirds nimmt er dieses markante Instrumental auf, das vor allem Diskjockeys der britischen Piratensender gern benutzen. So wird auch Mike Leckebusch von Radio Bremen darauf aufmerksam, er macht den Song zum »Beat Club«-Indikativ. Später tanzen auch die Go-Go-Girls im »Musikladen« zu dieser eingängigen Melodie. (zu finden auf Volume 4)
Foto: © BR
• Jane Birkin & Serge Gainsbourg: „Je t’aime ... moi mon plus“ (1969) - diesen akustischen Liebesakt vollzieht der frivole Franzose zum ersten Mal mit Brigitte Bardot (1967). Doch ihr damaliger Mann Gunther Sachs lässt die bereits gepressten Platten wieder einstampfen. Also wiederholt Gainsbourg die Nummer mit seiner späteren Ehefrau, der britischen Schauspielerin Jane Birkin. Zunächst stürmt der Song die britischen Charts, doch über Nacht zieht die Plattenfirma ihre Singles wegen moralischer Bedenken aus dem Verkehr. Der Konzern verzichtet freiwillig auf ein bombensicheres Geschäft. Ein kleines Label erwirbt die Rechte und kurz darauf ist „Je t’aime“ Spitzenreiter in England. Der Vatikan spricht von „beschämender Obszönität“. Kaum ein Radiosender traut sich damals die Stöhnnummer zu spielen, was den Verkauf erst recht ankurbelt. „Der Papst ist mein bester Werbeagent“, freut sich Gainsbourg. „Je t’aime“ wird zum weltweit bekanntesten französischen Lied. Erst 1986 gibt Brigitte Bardot ihre Version frei, wie schön: BB auf CD! (zu finden auf Volume 4)
• Mezzoforte: „Garden Party“ (1983) - vier Schüler aus der isländischen Hauptstadt Reykjavik gründen diese Jazzrock-Formation bereits 1977. Europaweit bekannt werden sie erst sechs Jahre später durch das Instrumental „Garden Party“. Viele Radiosender unterlegen damit ihre Wetterberichte oder Veranstaltungstipps. Für den amerikanischen Markt will Startrompeter Herb Alpert den großen Reibach machen, doch leider unterläuft ihm ein fataler Fehler: Er hört sich die 45er-Maxi-Single auf seinem Plattenspieler versehentlich mit 33 Umdrehungen an und nimmt eine entsprechend langsame und langweilige Version auf. Mehr als Platz 81 ist damit nicht drin. (zu finden auf Volume 5)
• Dan The Banjo Man: „Dan The Banjo Man“ (1974) - Hinter dem Banjo-Mann versteckt sich der britische Musiker und Multi-Instrumentalist Phil Cordell. Sein unter dem Pseudonym Springwater veröffentlichtes Instrumental „I Will Return“ wird im Herbst 1971 ein europaweiter Top-Ten-Hit. So wird die amerikanische Plattenfirma Motown auf ihn aufmerksam und bietet ihm an, speziell für Europa eine Tochterfirma aufzubauen. Phil Cordell willigt ein und nimmt als Dan The Banjo Man in seinem Heimstudio gleich ein ganzes Album auf, das aber weder in England noch in den USA ein Erfolg wird. Nur in Deutschland wird die ausgekoppelte Single „Dan The Banjo Man“ sogar ein Nummer-Eins-Hit. Das verdankt Cordell den Radiosendern, die dieses Instrumental häufig als Hintergrundmusik zum Beispiel für den Wetterbericht einsetzen. So hält sich die Single immerhin 31 Wochen in der Hitparade. (zu finden auf Volume 6)
• Cognac:
„Supersonic Flight“ (1979) - Hinter
diesem französischen Getränk verbirgt sich ein Trio aus dem
norddeutschen Lüneburg, angeführt von Heinz-Wilfried Burow. 1975
gründet Burow mit den befreundeten Brüdern Klaus und Dieter Meyer
das Projekt Cognac. Neben französischem Cognac schwärmen die Musiker
auch für das Überschallflugzeug Concorde und lassen sich dadurch zum
Instrumentaltitel „Supersonic Flight“ (Überschallflug) inspirieren.
Diese mit typischen Düsengeräuschen unterlegte markante Melodie
eignet sich hervorragend als Hintergrundmusik im Radio. Von 1979 bis
1992 ist „Supersonic Flight“ die Erkennungsmelodie des
»B3-Morgentelegramms« und läuft täglich sechs Mal in der Früh. Unter
dem Künstlernamen Paul Leslie komponiert Burow jahrelang
Instrumentalmusik speziell fürs Radio und lebt ganz
gut von den Senderechten. Das ändert sich Anfang der 90er, weil
seine Kompositionen durch das Aufkommen vieler privater Radiosender
nicht mehr so gefragt sind. (zu
finden auf Volume 7)
• Dicky Tarrach: „Sioux (Indian Hymn)“ (1983) - Nach dem Willen seiner Eltern soll Reinhard „Dicky“ Tarrach Beamter werden, doch stattdessen wird er 1962 Schlagzeuger der legendären Beatband The Rattles. Die „deutschen Beatles“ („Come On And Sing“) begleiten die Fab Four auch 1966 bei ihrer legendären Bravo-Beatles-Blitz-Tournee. 1972 wird Tarrach Gründungsmitglied der Rockband Randy Pie, die durch „Highway Driver“ auch außerhalb von Hamburg bekannt wird. 1983 bringt Tarrach seine Solo-Single „Sioux (Indian Hymn)“ raus. Dieses Instrumental gefällt Thomas Gottschalk so gut, dass er es täglich als Wettermusik in seiner »B3-Radioshow« einsetzt. Mit dem Studioprojekt Taracco nimmt Tarrach 1984 eine Cover-Version des Instrumentals „Sultana“ (Titanic, 1972) auf, die dann Peter Illmann als Titelmusik von »Peters Pop Show« im ZDF populär macht. 1988 kehrt Dicky Tarrach wieder zu den Rattles zurück und tingelt noch heute mit der „Rasselbande“ durch die Republik. (zu finden auf Volume 8)
• Sugarhill Gang: „Rapper’s Delight“ (1979) - war mit acht Millionen verkauften Singles der erste weltweit erfolgreiche Rap-Song überhaupt. Als Grundlage für „Rapper’s Delight“ dient die Instrumentalversion des damals aktuellen Chic-Hits „Good Times“, auf diese Melodie rappen die drei von der Sugarhill Gang zum Beispiel über schlechte Mahlzeiten oder den prüden Comic-Helden Superman. In den USA erscheint der Titel nur als 15-minütige Maxi-Single. Deshalb läuft sie nur selten im Radio, anders als in Europa, wo der Song als normale Single veröffentlicht wird. Die damals populären Radio-Moderatoren Thomas Gottschalk (Bayern 3), Frank Laufenberg (SWF3) und Manfred Sexauer (SR 1 Europawelle Saar) nehmen als GLS United eine eigenwillige deutsche Version auf. Sie gelten damit als die ersten deutschen Rapper. (zu finden auf Volume 9)
• Jonzun Crew: „Pack Jam“ (1983) - das war eine fünfköpfige amerikanische Funkband, die sich 1981 in Boston gründet. Aus ihrem Debütalbum koppeln sie die Single „Pack Jam (Look Out For The OVC)“ aus, die Peter Illmann dann in Deutschland zur Erkennungsmelodie der Videoclip-Show »Formel Eins« macht. Der Song kommt beim Fernsehpublikum so gut an, dass er ein Top 20-Hit wird. Ein Mitglied der Jonzun Crew (Larry Johnson) ändert seinen Namen und macht sich als Maurice Starr einen Namen als Produzent im Hintergrund. Er entdeckt zum Beispiel New Edition, die Band von Bobby Brown (Whitney Houstons Ex-Mann) und produziert die weiße Boygroup New Kids On The Block. Sie gilt mit gut 70 Mio. verkauften Platten als eine der erfolgreichsten Castingbands der Musikgeschichte. (zu finden auf Volume 9)
Anita Pospieschil
Aus RADIOJournal 1/2009