Interviews
mit Radioleuten und Radiomachern
Foto: © SWR (Alexander Kluge)
Die Kultstimme des Südwestens -
Matthias Holtmann moderiert jetzt
bei SWR1 Baden-Württemberg
Wer Matthias Holtmann Anekdoten aus seinem Musiker- und Radioleben erzählen hört, erkennt schnell, warum er einer der beliebtesten deutschen Radiomoderatoren ist. Erfrischend offen, schnörkellos und hundert Prozent authentisch formuliert er pointiert druckreife Sätze. Allein Holtmanns Schilderungen über die Fernseherlebnisse seiner Jugend und die Musikerzeit vor dem Radio wären einen eigenen Artikel wert.
Zum damaligen Süddeutschen Rundfunk kam Matthias Holtmann 1979 durch Andreas Scheer aus Köln. Der wechselte als Musikredakteur nach Stuttgart und machte Holtmann auf eine freie Planstelle aufmerksam. „Da es mit meiner Band zu Ende ging, musste ich irgendwas anderes machen. Ich hatte Glück und wurde beim SDR als Musikredakteur genommen. Gemeinsam mit dem leitenden Redakteur Holger Arnold haben wir dann das neue Pop-Programm aufgebaut.“
Selbstredend war Matthias Holtmann schon als Kind ein großer Radiofan. Damals wurden in der HÖRZU noch einzelne Musiktitel abgedruckt und ermöglichten so das zielgerichtete Hinhören. „In dieser Zeit habe ich mir eine umfangreiche Repertoire-Kenntnis angeeignet, die mir bis heute immer wieder nützlich ist“, erzählt Matthias Holtmann, der Mel Sandock oder Chris Howland genauso zu den Radioidolen seiner Jugend zählt wie die Radio Luxemburg-Moderatoren Frank Elstner, Helga Guitton, Rainer Nitschke, Camillo Felgen oder Thomas Gottschalk.
Überhaupt hatte Matthias Holtmann eine große Affinität zu Kultur, Medien, Literatur und Musik. Auch über seinen Vater bekam er Zugang zur Kulturszene. Der war damals Kulturbürgermeister in Recklinghausen und hat auch die dortigen Ruhrfestspiele mit aus der Taufe gehoben. Ein enger Freund der Familie war der kürzlich verstorbene Kabarettist Hans-Dieter Hüsch, der oft im Hause Holtmann zu Gast war. Nach dem Abitur studierte Matthias Klavier, Gesang und Schulmusik. Bevorzugtes Instrument war das Schlagzeug, als Nebeninstrument wählte er Querflöte. Doch das Schlagzeugspiel wollte gelernt sein. Gut im Ohr ist ihm noch der Kommentar seines Lehrers: „Sie spielen ja mit dem ganzen Arm!“
Auch der „irrsinnige Fernsehkonsum“ ab seinem elften Lebensjahr soll nicht unerwähnt bleiben. 1961 kauften die Großeltern von Matthias Holtmann den ersten Fernseher. Es war das Modell „Kalif“ der Firma Graetz erinnert er sich noch heute daran. „Ich habe in dieser Zeit so ziemlich alles gesehen, was ich gucken konnte. Ob ‚Stahlnetz’, ‚Hafenpolizei’, ‚Am Fuß der blauen Berge’, ‚Bonanza’ oder ‚Winnetou’ – die Flimmerkiste war auch ein Fenster zur großen weiten Welt.“
Pop beim dritten Programm
Als Matthias Holtmann beim Süddeutschen Rundfunk begann, spielte das dritte Programm, das zunächst „Südfunk 3“ hieß, tagsüber Pop, während es abends spezielle Sendungen gab.
Sehr lange gemacht hat Holtmann »Dr. Music«, hier konnte er auch sein umfangreiches Musikwissen gut einbringen. In den nächsten Jahren wechselte der Programmname mehrfach. Von einer Agentur wurde „Radio 3“ vorgeschlagen, später wurde das jedoch in „Radio 3 Südfunk Stuttgart“ oder „Südfunk Stuttgart 3. Programm“ umbenannt und wieder verwässert. Ein einheitlicher Programmauftritt nach außen konnte so nur schwer entstehen.
Mitte der achtziger Jahre war es Zeit für größere Veränderungen. Die Hörerzahlen waren rückläufig, ein Popprogramm mit kulturellem Ansatz konnte nicht mehr reüssieren. Im Sender machten Witze die Runde. „Was ist der Unterschied zwischen SDR 3 und der Titanic?“ - „Beide sind untergegangen, aber auf der Titanic war die Musik besser.“
"Der wilde Süden" wird Kult
Gemeinsam mit Hans-Peter Archner schrieb Matthias Holtmann ein Konzept, wie aus dem etwas angestaubten Popprogramm eine Kultwelle für junge Leute entstehen konnte. Das war 1987. Beide einigten sich darauf, dass Archner die Programmleitung von SDR 3 übernehmen sollte, während sich Holtmann als Musikchef auch mit dem Außenauftritt des Senders beschäftigte. Dafür kam ihnen der von der Frankfurter Agentur Conrad & Burnett kreierte Slogan „SDR 3 - Radio für den wilden Süden“ gerade recht.
„Im Grunde wurde hier ja voller Ironie mit einem Klischee über das beschauliche, zurückhaltende Ländle gespielt“, erinnert sich Matthias Holtmann. „Der Süden war in der allgemeinen Wahrnehmung natürlich alles andere als wild, deswegen waren die Leute über den Slogan auch so begeistert. Selbst Tanzschulen nannten sich so, der Begriff erhielt schnell Kultstatus.“
Um die geplante Werbekampagne finanzieren zu können, wurde die Werbezeit pro SDR 3-Stunde von fünf auf sechs Minuten ausgeweitet. „Davon kriegten wir dann zwei Millionen Mark für die Kampagne ab.“
Gern erinnert sich Matthias Holtmann auch an die erste Mammut-Hitparade, bei der das Duo Stefan Siller und Thomas Schmid 1300 Titel sendete. Ein wahrer „Aufschrei der Begeisterung“ ging durchs Land, Faxe ohne Ende liefen im Funkhaus auf. Der Stuttgarter Oberbürgermeiser Manfred Rommel ließ mit seinem Dienstwagen Schweißbänder für die Stirn und zwei Regenschirme vorbeifahren. Auf dem Begleitzettel schrieb er an die Moderatoren, „damit Sie sehen, dass die Stadt Stuttgart Sie bei Ihrer schweißtreibenden Arbeit nicht im Regen stehen lässt“.
Als Platz 1 am Samstag um 15 Uhr unter freiem Himmel im Park vor dem Funkhaus verkündet wurde, waren 11.000 begeisterte SDR 3-Hörer dabei. „Die Hörerbindung war enorm“, denkt Matthias Holtmann zurück, „wir konnten auch viel aus dem Bauch heraus arbeiten und schnell reagieren.“ Bei Konzerten nahmen die Hörer die dargebotene musikalische Bandbreite von Max Raabe über Drafi Deutscher, Steppenwolf, DJ Bobo, Deep Purple bis hin zu AC/DC dankbar an.
Beim "Elch" in Baden-Baden
1998 fusionierte der Süddeutsche Rundfunk mit dem Südwestfunk zum Südwestrundfunk. Mit dem Entstehen des SWR verschwand auch der Anachronismus, dass zwei öffentlich-rechtliche Rundfunksender für jeweils eine Hälfte Baden-Württembergs sendeten. „Der Wilde Süden“ in Stuttgart fusionierte mit dem „Elch-Sender“ SWF 3 in Baden-Baden. Die neue Popwelle SWR3 sollte künftig aus der Spielcasinostadt senden, und zwar für Baden-Württem-berg und Rheinland-Pfalz. Matthias Holtmann ging als Musikchef zu SWR 3 und versuchte seinen Teil zum Gelingen des Fusionsprozesses. Die Musikauswahl wurde deutlich professionalisiert, eine Beraterfirma mit der Mappingstudie beauftragt, um systematisch herauszufinden, was bei der Zielgruppe ankommt und wo es Marktlücken zu schließen gibt. Nun wurden in großem Umfang auch call outs durchgeführt.
Matthias Holtmann moderierte die Sendung »HitHop«, dann später auch zweieinhalb Jahre lang für das Stuttgarter SWR 3-Fenster »Metro« die Morningshow. Von 1990 bis 2004 stand er bei »Extraspät«, »Na und!?« und »SWR 3-Ring frei« auch vor der Fernsehkamera. Er wollte nie derjenige sein, der zum Berufsjugendlichen mutiert. Als die Geburtstage den fünfziger Bereich erreicht hatten, sah Holtmann die Zeit gekommen, noch einmal etwas anderes zu machen. Da kam das Angebot aus dem Stuttgarter Funkhaus, als Entwickler neuer Formate tätig zu sein, gerade richtig. Nicht nur beruflich sondern auch privat, schließlich wohnt Matthias Holtmann in Leonberg.
Wieder zu hören bei SWR1
Doch einen richtigen Moderator reizt natürlich auch die Arbeit vor dem Mikrofon. Matthias Holtmann, der alle zwei Wochen »Guten Abend Baden-Württemberg« bei SWR 1 moderiert, erfreut sich bei den Hörern großer Beliebtheit. Seine lockere Art ist nach wie vor unübertroffen, seine Sprüche und Kommentare treffen noch immer den Punkt.
»Guten Abend Baden-Württemberg« ist genau „sein Ding“. „Hier kann ich am besten den typischen Holtmann-Stil verwirklichen. Ich mache ein lockeres, launiges Infotainment-Feierabendmagazin, das auch Hörerwünsche erfüllt und die Interaktion mit den Hörern pflegt.“
Die Hörer hoffen, dass das so bleibt. In Anlehnung an den SWR 1-Slogan sagen sie schon lange „Holtmann gehört gehört“.
Im Bild oben: Matthias Holtmann mit Kollegin Stefanie Anhalt.
Stefan Förster
Aus RADIOJournal 10/2006