Interviews
mit Radioleuten und Radiomachern
Foto: © Ostseewelle
Schrill und frech für den Nordosten - Ostseewelle im Quotenhoch
Lange galt die Ostseewelle als ein Sorgenkind der Radiobranche. Das Programm dümpelte mit verschiedenen Schlager-, Oldie- oder Pop-Formaten bei rund 60.000 Hörern in der Durchschnittsstunde, weit abgeschlagen hinter Antenne MV oder NDR 1 Radio MV, vor sich hin. Dann kam die radikale Kehrtwende hin zu einem Sender mit frechen Moderatoren und rock-poppiger Musik, die sich in keine klassische Formatschublade packen lässt. Die Hörerzahlen verdoppelten sich - mit 132.000 Hörern in der Durchschnittsstunde ist Ostseewelle HIT-RADIO Mecklenburg-Vorpommern aus Rostock seit der letzten Media-Analyse dem seit zwei Jahren schwächelnden Konkurrenten Antenne aus Plate bei Schwerin ganz dicht auf den Fersen. In der Altersgruppe der 14 bis 49-jährigen Hörer ist die Crew um Geschäftsführer Tino Sperke erstmals Marktführer im Land.
Im vergangenen Jahr stand nach einer Dekade in der Rostocker Innenstadt der Umzug in ein neues, modernes Funkhaus am Rande der Altstadt an. Studio, News- und Serviceplatz, Arbeitsmöglichkeiten für Redaktion und Geschäftsführung, eine kleine Küche sowie ein größerer Besprechungsraum sind hier kompakt und gut erreichbar angeordnet.
Für das reine Programm sind inklusive der freien Mitarbeiter 14 Leute verantwortlich. Den Hut auf hat dabei der gebürtige Perleberger Tino Sperke, der im September 2002 von BB RADIO in Potsdam, wo er zuvor viele Jahre in verschiedensten Funktionen (Praktikant, Redakteur, Assistent des Programmdirektors, Leiter On-Air-Promotion) tätig war, nach Rostock zur Ostseewelle ging. „Wir bieten teilweise ein sehr spezielles Programm, das sich auf Anhieb auch nicht jedem erschließt“, gibt Geschäftsführer Sperke unumwunden zu. Mit den nun vorliegenden Rekord-Reichweiten sei auch das Potential für ein so flippiges Programm voll ausgeschöpft. „Jetzt gilt es, die Hörerzahlen auf diesem für hiesige Verhältnisse hohen Niveau zu halten.“
Der Ostseewelle ist das Kunststück gelungen, ganz ohne Werbekampagne mit Anzeigen, Plakaten oder Citylights das neue Programmformat zu positionieren und in den Köpfen und Herzen der Menschen im Nordosten zu verankern. „Wir machen ein Programm mit Ecken und Kanten, das sehr lebensfroh daher kommt. Unsere Hörer sind – anders als so manches Klischee über unser Land - lebenslustig und positiv eingestellte Menschen, die das auch bei ihrem Radiosender wieder finden möchten“, erklärt Tino Sperke. Dabei sind flippige Ältere genauso dabei wie junge Leute im Berufsschulalter. Ein Radioprogramm als Lebensgefühl eben.
Bei zwei Kultpartys mit Roland Kaiser, die von Ostseewelle HIT-RADIO Mecklenburg-Vorpommern präsentiert wurden, waren in Stralsund über 2.500 und in Schwerin über 4.000 junge Leute dabei, die Stimmung war prächtig. Der riskantere Weg einer totalen Formatumstellung erwies sich bei der Ostseewelle letztendlich als der einzig richtige.
Tino Sperke und sein Team brauchten ein neues Ziel und merkten schnell, dass sie dort Erfolg haben, wo sie anders als die Mitbewerber sind. Mittlerweile kopiert die unter starken Hörerverlusten leidende Konkurrenz fleißig, was die Ostseewelle vormacht. Der bis dato recht verschlafene Radiomarkt Mecklenburg-Vorpommerns wurde grundlegend aufgemischt, das Personal tauschte sich nahezu komplett aus. Die Mund-zu-Mund-Propaganda der Ostseewelle-Hörer untereinander funktionierte offensichtlich, denn auch das von Olli B. und André Schneider moderierte Tagesprogramm zog bei den MA-Zahlen kräftig an.
Das Programm klingt authentisch; die Soundverpackung wird nicht für teures Geld irgendwo in Europa oder den USA sondern gemeinsam mit einer ortsansässigen Produzentin erstellt.
Bei den Informationen gibt es auch regionalisierte Nachrichten für die Bereiche Rostock, Schwerin und Neubrandenburg, allerdings steht die Unterhaltung deutlich im Mittelpunkt des Programms. „Bei kaum einem anderen Sender ist die Hörerbeteiligung so groß wie bei der Ostseewelle“, erzählt Tino Sperke stolz. „Wir sind ein interaktives Radio, das die Hörer laufend – und nicht nur bei Gewinnspielen – einbezieht.“
Der frische Musikmix entsteht aus einem Bauchgefühl heraus, berücksichtigt unterschiedliche Sozialisationen und beinhaltet „Spezialitäten, die ein Musikberater eher verhindern würde“. Folglich verzichtet man auch konsequent auf kostspielige Ratschläge von außen, auf ausufernde Researches oder hektische Musikumstellungen. „Wir haben eine knallharte, aktuelle Hit-Rotation, die wir mit besonderen Hörerlebnissen bereichern, die die Menschen dankbar annehmen“, so Tino Sperke. Er überrascht sogar mit der Aussage, die engste Rotation im Radiomarkt Mecklenburg-Vorpommerns zu haben.
Ein guter Musikredakteur entdeckt auch das Hitpotenzial durchaus schräger Nummern. So war die „Turbo-Polka“ der slowenischen Band Atomik Harmonik im letzten Jahr der Sommerhit im Ostseewelle-Land. „Die Hörer fragten gezielt nach CDs. Auch zum 10. Geburtstag des Senders war Atomik Harmonik mit von der Partie. In diesem Jahr haben wir die Band Röyksopp aus Norwegen mit einem sonst im Radio kaum berücksichtigten Titel erfolgreich bei uns in der Rotation gebracht“, macht Tino Sperke einige Besonderheiten des Musikprogramms deutlich.
Stolz ist er darauf, Strukturen und ein Team geschaffen zu haben, das gemeinsam am Erfolg arbeitet. „Viele von uns kennen sich schon sehr lange und liegen inhaltlich, menschlich und von der ganzen Philosophie des Radiomachens her auf einer Linie. Das kann man auch deutlich hören.“
Stefan Förster
Aus RADIOJournal 6/2006