Interviews
mit Radioleuten und Radiomachern
SWR1 gehört gehört - Baden-Württembergs erstes Programm kommt gut an
Thomas Dürselen hat in der öffentlich-rechtlichen Radiolandschaft schon einige Stationen hinter sich. Nach dem Volontariat arbeitete er bei der Deutschen Welle, ehe er im SWF-Landesstudio Tübingen tätig war. 1991 hob er B5 aktuell in München mit aus der Taufe, wo er bis 1995 als Chef vom Dienst arbeitete, bevor er für den Südwestfunk Leiter des landespolitischen Korrespondentenbüros in Stuttgart wurde.
Die Fusion von SWF und SDR zum SWR machte die Außenstelle Baden-Badens in der Landeshauptstadt überflüssig und Thomas Dürselen sah sich nach neuen Aufgaben um. Er wurde unter Hans-Peter Archner stellvertretender Programmleiter von SWR 1 Baden-Württemberg, vor zwei Jahren dann selbst Wellenchef. Was heute relativ unspektakulär klingt, nämlich die Zusammenführung zweier extrem unterschiedlicher Programme wie SDR 1 und SWF 1, war zum Zeitpunkt der Fusion eine Herkulesaufgabe. Die Akzeptanz der beiden Vorgängerprogramme war kaum noch messbar, das Durchschnittsalter beiden Wellen lag um die 60 Jahre. „Das Publikum setzte sich aus den Hörern zusammen, die die anderen Programme übrig gelassen hatten, es bestand keine aktive Marktposition mehr“, blickt Thomas Dürselen zurück. Das Baden-Badener Popprogramm SWF 1 plätscherte weitgehend belanglos vor sich hin, SDR 1, das selbst ernannte „Herz des Südens“, war noch sehr stark magaziniert und mehr Einschaltradio als Landesprogramm. Musikalisch liefen mitunter Rocksongs nach Volksmusiktiteln.
Arbeitsgruppen bereiteten in den alten Häusern die Fusion der Programme mit jeweils der Programmphilosophie vor, an die sie auch bisher glaubten. Die Orientierung am Markt erschien zu vielen Machern zu diesem Zeitpunkt noch eher nebensächlich. Um das neue SWR1-Programm optimal positionieren zu können, gab der Südwestrundfunk 2001 für SWR3 und SWR1 eine große Marktforschung in Auftrag, die Hörverhalten und Musikgeschmack genau untersuchen sollte. Vorher bestanden nur tradierte Überlieferungen, die das Programm von SWR1 Baden-Württemberg in den ersten drei Jahren auch noch ein Stück weit prägten - begleitet von den Argusaugen der Fusionsskeptiker, die auf die angemessene Berücksichtigung der jeweiligen Vorgängerwelle zu achten versuchten. „Zwischen 1998 und 2001 spielten wir auch schon ein Popformat, wollten aber ein bisschen so werden wie SWR3, was natürlich auf Dauer nicht funktionieren konnte“, erzählt Thomas Dürselen.
Ergebnis der Studie war, dass SWR1 am besten die mittleren Jahrgänge zwischen 35 und 55 Jahren abdecken kann, die bisher musikalisch nicht ausreichend im südwestdeutschen Radiomarkt berücksichtigt waren. Die Zielgruppe ist sehr bodenständig und liebt die große Musik der 60er und 70er Jahre, die zur Hälfte das Programm ausmacht. Die andere Hälfte besteht aus jüngeren Titeln. Die Hörer von SWR1 sind auch an vielfältigen Beiträgen und O-Tönen interessiert, was sich im hohen Infoanteil und der verlässlichen Aktualität in Form von Wetter, Verkehr und Ratgeberbeiträgen widerspiegelt.
Mit der Einführung eines Wellenlayouts und dem genialen Slogan „Eins gehört gehört.SWR1“, den die Frankfurter Agentur „Conrad & Burnett“ entwarf, die auch schon bei SDR 3 mit dem „Radio für den wilden Süden“ einen Volltreffer landete, stiegen die Hörerzahlen seit Anfang 2001 um über 60 Prozent. „Wie auch ein Schweizer Taschenmesser verschiedene Klingen haben muss, ergänzen sich die SWR-Hörfunkprogramme nun optimal und wir erreichen im Sendegebiet einen deutlich höheren Marktanteil“, so Thomas Dürselen.
Dass Qualität und Quote kein Widerspruch sein muss, zeigt die SWR1-Sendung »Leute«, die von SDR 3 übernommen wurde und vom Duo Stefan Siller / Wolfgang Heim in eine Liga geführt wurde, die deutschlandweit ihren Vergleich sucht. »Das Thema heute« um 19.30 Uhr ist ein weiterer Beweis dafür, dass SWR1 kein Dudelprogramm sondern ein Sender mit Inhalt ist. Regelmäßig findet auch ein SWR1-Radiogipfel statt, um die beiden Einser-Programme in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz sowie das gemeinsame Abend- und Nachtprogramm aus Baden-Baden in Einklang zu bringen und auf der gemeinsamen Grundphilosophie zu halten. Die Medienforschung bleibt weiter an der Musik dran, alle zwei Jahre findet eine grundsätzliche Marktstudie statt. Dafür kann auf eine ständige Telefonbefragung und permanente Researches verzichtet werden.
„Die Hörer kennen die Musik, da wir keine neuen Hits machen. Sie verfügen auch über ein großes lexikalisches Wissen, wollen aber keine Musikgeschichte vermittelt bekommen oder sich Spezialwissen aneignen. Das versuchen auch unsere Moderatoren zu berücksichtigen.“ Auch die lärmenden Gewinnspiele der privaten Konkurrenz oder nervige Comedy-Attacken findet man bei SWR1 Baden-Württemberg vergebens. Zur Fußball-WM war eine humorvolle Länderkunde im Programm, aber auf Telefonschreck-Anrufe und Kanzler-Imitate wird verzichtet. Die Hörer werden es zu schätzen wissen. Gibt es doch mal etwas zu gewinnen, steht wie bei »6 Richtige« das Wissen im Vordergrund. Hörer müssen hier sechs von zehn Fragen richtig beantworten, um einen Lotto-Systemschein im Wert von 1000 Euro zu bekommen. Um keine Gebührengelder zu verschenken, wird mit der örtlichen Lottogesellschaft kooperiert.
Off-air zeigt SWR1 Baden-Württemberg mit über 100 Veranstaltungen Flagge im Land. Dabei werden auch die Sorgen und Nöte der Menschen ernst genommen. Bei »Wer hilft gewinnt« renovierte ein Sportverein in ehrenamtlicher Arbeit für die Drogenhilfe in Tübingen ein Gebäude und bekam dafür 5500 Euro von einem Sponsor für die Vereinskasse. Durch die Reduzierung der Moderatorenanzahl in der Anfangszeit des Senders ist nun eine den Hörern bekannte Crew auf Sendung, der Thomas Dürselen ein „sehr gutes Zielgruppenverständnis“ attestiert. Sie verfügen auch über gute Ortskenntnisse im Sendegebiet, kommen sie doch zu einem Großteil von SDR 3 aber auch von SDR 1, SWF 1 und jetzt auch von SWR3.
Einen Nachteil bietet das verschachtelte und denkmalgeschützte Stuttgarter Funkhaus jedoch - die Arbeitsabläufe sind alles andere als praktisch. Während der Moderator im Keller sendet, sitzt die Redaktion mitten im Gebäude mit einem herrlichen Blick über Stuttgart. Gibt es aktuelle Dinge zu besprechen, entstehen zeitraubende Wege über die Treppe oder den Fahrstuhl. Daher findet im Rahmen eines Erweiterungsbaus für das alte Funkhaus in den nächsten Jahren auch SWR1 Baden-Württemberg eine neue Heimat. Dort wo sich jetzt noch das sendereigene Parkhotel und ein Parkhaus befinden, soll nach deren Abriss ein Gebäude entstehen, das ganz auf die Erfordernisse der SWR1-Crew abgestimmt ist. Einziger Wermutstropfen dabei: Bis zum Einzug werden wohl noch fünf Jahre ins Land gehen.
Unabhängig davon will Thomas Dürselen weiter daran arbeiten, dem Slogan „Eins gehört gehört. SWR1“ auch in Zukunft gerecht zu werden.
Stefan Förster
Aus RADIOJournal 8/2006