Interviews
mit Radioleuten und Radiomachern
Foto: © SWR3
Michael Haas: »Radio bedeutet für mich Leidenschaft. Ohne geht's nicht!«
Schnell, präzise, verständlich, unterhaltsam und immer vom Hörer aus denken... das ist das Motto von Michael Haas, Leiter des SWR3 Studios in Mainz. „Wir sind die einzigen bei SWR3 in Rheinland-Pfalz und heben von hier aus die RLP-Themen ins Programm. Dazu arbeiten bei mir im Studio ein Mainzer Reporter - für die schnellen kleinen Geschichten aus der Landeshauptstadt und ein Rheinland-Pfalz-Reporter, der mit einem flotten kleinen Übertragungswagen quer durch RLP unterwegs ist. Zusätzlich arbeitet noch ein Kollege vom Jugendradio DASDING bei uns“, erklärt Michael den Aufgabenbereich seines Teams und ergänzt: „Außerdem unterstützen wir immer wieder Bands und Comedians in Rheinland-Pfalz durch eine gezielte Zusammenarbeit und weisen auf deren Tourtermine im SWR3-Programm hin.“ Als Chef vom Dienst koordiniert und betreut er die Reporter, vertritt die Themen gegenüber Baden-Baden und steht in ständiger Verbindung mit dem Funkhaus. Zum Anfassen nah schickt seine Crew brandaktuelle Ereignisse auf Sendung und lässt die Hörer „bildhaft“ am Geschehen teilnehmen. Das Studio selbst befindet sich mittendrin in der Medienstadt Mainz, in der Fußgängerzone (Frankfurter Hof). Hier finden unter anderem auch SWR3 Events statt, wie die SWR3 DanceNight mit DJ Josh Kochhann oder die Ü30 Party. „Eintrittskarten für alle Veranstaltungen kann man direkt bei uns im Studio kaufen“, sagt Michael. „Es ist besuchbar und für jedermann offen.“
2001 hat Michael Haas das Mikro im schallisolierten Raum gegen ein helles, freundliches Büro eingetauscht, wo auch mal die Sonne reinguckt. Ein feiner Kerl, nett und sympathisch - schwärmt eine Kollegin; sein mitreißendes Lachen trotzt jeder medialen Katastrophe - schreibt Anno Wilhelm im SWR3-Magazin. Der Mann hat Humor, eine wichtige Tugend fürs Radiomachen, denn die Hörer wollen „emotional bewegt“ werden und die Mitarbeiter entsprechend motiviert. Hinter dem charmanten Lächeln verbirgt sich eine gewisse Ernsthaftigkeit, die signalisiert, dass er alles fest im Griff hat. Gespannt warte ich darauf, dass der heute Mittvierziger mir seine aufregende Biografie erzählt. Schokolade - für viele Radioleute unverzichtbar - holt er nicht aus der Schublade. Michael bevorzugt Wasser. Während im Glas die Kohlensäureperlen leise zischend nach oben schwimmen, kommen die Erinnerungen. Für einen Moment halten wir die Zeit an und spulen sie 44 Jahre zurück.
Schicksalhaftes Geburtsdatum
Manchmal scheint die berufliche
Zukunft vorbestimmt. Bei Michael Haas stand schon mit dem ersten
Schrei in Mamas Armen fest, was der Kleine mal werden würde. Sein
Geburtsdatum ist einfach Schicksal: 7. Februar 1965. In Ziffern
ausgedrückt: 7265 kHz. „Lustigerweise war das die Kurzwellenfrequenz
von SWF3“, schmunzelt Michael „die hab ich live on air tausende Male
gesagt, bis mir irgendwann mal auffiel, warum mir diese
Zahlenkombination so bekannt vor kommt.“
Der Kurzwellensender, mit dem SWF3 rund um den Globus gehört werden
konnte, ist seit Oktober 2004 stillgelegt - Michael ist immer noch
fest verankert bei SWR3. Seine berufliche Karriere fing zunächst
ganz harmlos an.
Erste Versuchssendungen
Bei Kindern ist man vor Überraschungen nie sicher. Schon gar nicht, wenn sie sich im Alter zwischen 14 und 15 Jahren in das „Werkbuch für Jungen“ vertiefen und den Lesestoff gleich praktisch erproben, um den Erwachsenen einen Streich zu spielen. „In dem Standardwerk gab es eine Anleitung, wie man in einem Raum in ein Mikrofon sprechen kann, und in einem anderen kommt das Gesagte aus dem Radio heraus“, schildert Michael die ersten Versuche eine Art „Drahtfunk“ im Haus der Eltern zu installieren. „Dazu musste man ein (verstecktes) Kabel verlegen und hinten auf eine bestimmte Weise ans Radio klemmen. Wir spielten das Radioteam und unsere Eltern taten so als merkten sie nichts (die mussten doch mitkriegen, dass die ‚neuen Moderatoren’ nicht mal den Stimmbruch hinter sich hatten!). Die Oma eines Freundes dagegen fiel drauf rein und sagte, als wir wieder das Zimmer betraten: Wie seid Ihr denn so schnell aus Luxemburg zurückgekommen? Eine lustige Zeit.“ Später unterhielten die gewieften Tüftler ganze Hochzeitsgesellschaften mit ihrem „Radio“-Programm und übermittelten die besten Wünsche „aus Luxemburg“. Und weil Hochzeiten gerne samstags stattfinden, wurde Michaels Bruder als „Sportmoderator“ eingestellt. Er präsentierte zusätzlich noch die Bundesligatore „natürlich mit Weckerklingeln“. [RTL hatte eine ganz spezielle Art Tore anzukündigen]
Nach der Schule ins Studio
Mit 16 hatte Michael die Idee in seinem Heimatort Bad Münstereifel einen Krankenhaussender zu gründen. Das war im Frühjahr 1981. Doch es gab kein Krankenhaus, und so entwickelten sich die Dinge zunächst völlig anders. „Mein Vater schlug vor, ich soll mich bei RTL für den Kindertag bewerben (Kinder machen einen Tag lang Programm)“, erzählt Michael. „Ich lehnte entrüstet ab: Die nehmen nur Kinder, die sie kennen!“ Als er sich wieder beruhigt hatte, bewarb er sich trotzdem mit einem Brief. Auf Radio Luxemburg hieß es ein paar Tage später, die Kinder seien alle ausgesucht. Michael hakte die Sache ab. Nichts ahnend ging er ans Telefon, als es ein paar Tage vor dem Kindertag klingelte: „Hier spricht Michael Arens von RTL. Mein Gott, was hast du denn für eine Stimme?!“ tönte es ihm ziemlich abwertend entgegen. Michael Haas war gerade aufgestanden und bekam vom Stimmbruch geplagt nur ein paar krächzende Laute heraus. „Nach einem kurzen Räuspern ging es dann und Michael teilte mir mit, Georg Bossert hätte mich beim Kindertag gerne dabei. Ich konnte es kaum glauben. Ostermontag lief der KT über die Bühne, ich bekam eine Sendung mit Desirée Nosbusch, wir moderierten zusammen den Vormittag. Unverhofft erschien Jochen Pützenbacher im Studio. Er hatte uns im Autoradio gehört und sagte, es wäre toll, was wir machen. Also machten wir weiter so.“ Am Nachmittag dann die Wende: Das Duo Nosbusch/ Bossert bekam Krach mit einem Techniker und flog raus.
„In der Woche drauf rief ich bei Jochen an und beschwerte mich, dass Desirée nicht mehr bei RTL arbeiten durfte. Er hörte sich brav meine zahlreichen Argumente an und fragte anschließend, ob ich nicht Lust hätte, Desirées Sendung künftig zu moderieren.“ Michael war von den Socken. Ein bisschen bedrückte ihn sein Gewissen, aber er sah auch die Chance für sich. „Im Herbst übernahm ich mit Anke Engelke und noch zwei anderen Kids die Sendung »Hits von der Schulbank«, die fortan »Die Vier von der Schulbank« hieß. Jeweils eine Klasse pro Sendung schickte uns ihre Hitparade, wir haben sie dann präsentiert, riefen beim Klassensprecher an und machten ein Telefoninterview mit ihm - immer alles live.“ Für die Sendung bekam Michael Haas donnerstags die letzten beiden Stunden frei. „Ich musste ja noch mit dem Zug von Bad Münstereifel nach Düsseldorf fahren.“ Lustig waren immer die Übergaben. Oft sendete Michael aus dem Düsseldorfer RTL Studio, nur manchmal - darauf war er besonders stolz - direkt aus Luxemburg im legendären Studio 4 („vor dessen Fenster die Teebeutel der Nachrichtenredaktion an den Bäumen hingen, weil sie die von oben aus dem Fenster warfen“). In den Übergaben waren immer kleine Spitzen versteckt: „Schalten wir schon mal nach Düsseldorf, mal sehn ob Michael schon wach ist oder macht Michael gerade seine Hausaufgaben...“. Die »Vier von der Schulbank« moderierte er ungefähr anderthalb Jahre lang. Als die Sendung eingestellt wurde, wechselte Michael Haas ins Verkehrsteam von RTL und präsentierte ab 1983 die Verkehrsmeldungen aus dem Studio im nordrhein-westfälischen Innenministerium (Lagezentrum der Polizei-Landesmeldestelle). Parallel dazu machte er sein Abitur.
Mit Radio Freude schenken
Michael Haas war nicht nur als Jungmoderator bei RTL aktiv, er wollte auch unbedingt selbst Radio machen. Um seinen Traum zu verwirklichen gründete er zur gleichen Zeit in seinem Heimatort mit Freunden den Senioren-Sender Radio City e.V. „20 Jugendliche stellten daraufhin über viele Jahre hinweg Hörfunksendungen für Krankenhäuser, Blinden- und Altenheime her.“ Produziert wurden die Programme auf Kassette im selbstgebastelten Studio von „Oma Haas’ Dachstube“. Anschließend gings damit auf dem Fahrrad, Moped und später mit dem Auto zu den Empfängern. Michael fungierte sozusagen als „Chefredakteur“. Er und drei weitere Jungs brachten ihre Erfahrungen vom großen Rundfunkgeschäft bei RTL in das idealistische Projekt mit ein. Sendezeit war samstagsnachmittags von 15.30 bis 17.00 Uhr. Sobald die Erkennungsmelodie „Eine Reise ins Glück“ über den Hausfunk rauschte, brachte die knisternde Atmosphäre angestaubter Platten für einen Moment den Hauch „von früher“ zurück.
Eine eigens für die Bedürfnisse der älteren Generation zusammengestellte Mischung aus lokaler Information und Unterhaltung kam gut bei der teilweise hochbetagten „Zielgruppe“ an. Vor allem das was im normalen Radio sehr vermisst wurde: Wunschmusik, Grüße und Glückwünsche zu allen möglichen Anlässen. Hautnah präsentiert von einer Radiotruppe, die genau den richtigen Ton traf und die Herzen ihrer Zuhörer mit radiophoner Wärme eroberte. Von der Freude, die Michael Haas & Co. „über den Äther“ verbreitet haben, kamen positive Signale zurück: Das Gefühl gebraucht zu werden und für andere da zu sein. Der Lohn waren Lob und Anerkennung oder ein Lächeln.
Die hiesige Presse machte die Freizeitaktivitäten der jungen Leute in der Öffentlichkeit publik; ein Boulevard-Magazin zeichnete „die gute Tat“ sogar mit „Der goldenen Rose“ aus.
Ansporn für die Zukunft
Sicher ist es kein Zufall, dass Michael Haas sich besonders viel Mühe mit der Nachwuchsförderung gibt. Zum einen, weil seine Radiobegeisterung in früher Jugend ansteckend auf Freunde und Bekannte wirkte, zum anderen, weil er selbst einen guten Mentor wie Jochen Pützenbacher hatte und später vom legendären SWF3-Chef Peter Stockinger gefördert wurde. „Es gibt einige Kolleginnen und Kollegen, die ihren Einstieg im SWR3 Studio in Mainz genommen haben“, sagt Michael zurückhaltend und will aus Bescheidenheit keine Namen nennen. „Manche haben ursprünglich nur ein Praktikum hier gemacht und sich dann prächtig entwickelt. Teilweise arbeiten diese Leute noch bei uns im dritten Programm oder sind zu anderen SWR-Wellen oder Radiosendern gewechselt.“ Während seiner Zeit als Moderator gab er auch Kurse für Volontäre, um diese im Umgang mit dem Selbstfahrerstudio zu schulen.
Lustige Höreindrücke
Michael hat natürlich auch ins Radio reingelauscht, bevor es für ihn selbst mit dem Radiomachen dann so richtig losging. Mitunter war das eine sehr vergnügliche Angelegenheit. „Zu Schulzeiten hab ich RTL gehört. Erst Jochen - immer ein Vorbild. Später fand ich Thomas Gottschalk toll, und besonders Victor Worms, der einen Klasse Humor hatte. Eine Moderation kenne ich noch auswendig. ‚Nena - 99 Luftballons - letzte Zeile: ich find’ nen Luftballon und lass ihn fliegen’ - Viktor trocken: ‚Nena lässt einen fliegen’. Total albern, aber lustig und originell.“
In der Schule wurde dann von einem Sender erzählt, der die Rolling Stones und andere coole Musik im Radio spielt, und von einer Sendung, die zum Pflichtprogramm werden sollte. „Es war SWF3 und eine Sendung von Gerd Leienbach, der mit Schniepepuhl und Butnase damals unseren Humor geprägt hat: Schüler Maier zwei und Schüler Holthausen melden sich zur Stelle.“ Dann machten ihn Freunde auf Mal Sondocks »Diskothek im WDR« und dessen Hitparaden aufmerksam. „Mal war der Erste, der selbst gefahren hat im WDR - und auch total witzig für die damalige Zeit: ‚Wollen Sie Ihre Schwiegermutter erschrecken - ich hab noch Autogrammkarten von mir...’ Beliebtes Spiel: Hit oder Niete - Hörer bewerten neue Platten.“
...Peinliche Pannen
Seine ersten Sendungen moderierte Michael Haas noch in Eifeler Mundart. Das klang so schlimm, dass „ich mir nicht mal heute noch Kassetten davon anhören kann“. Insofern kam ihm Jochens Eingebung ausgerechnet ihn als hoffnungsvolles Radiotalent zu entdecken, als die größte On-Air-Panne vor („Du hast Phantasie - hat er immer gesagt - Aussprache egal, denke ich mal“). Seinen Wehrdienst leistete Michael in Köln bei der Medienzentrale der Bundeswehr ab. „Dort hab ich mir vom Chefsprecher Manfred Körner die Manuskripte kopiert, um zuhause stundenlang hochdeutsch zu pauken.“
Das Lustigste was Michael auf Sendung erlebt hat, geschah zu RTL-Zeiten: „Weil da ganz viel live gemacht wurde. Beim SWF war das meiste ‚auf Nummer sicher’ vorher auf Band aufgenommen.“ Ein bisschen unangenehm ist ihm der Vorfall dann doch, obwohl es sich nur um ein zufällig herbeigeführtes Wortspiel handelt, das in seiner Zweideutigkeit aufzeigt wie schlagfertig Radioleute sein können. „Ich hatte Verkehrsdienst, las die Staus vor aus dem winzigen Studio im NRW-Innenministerium. Bevor wir halbstündlich auf Sendung geschaltet wurden, sagten wir über die Leitung nach Luxemburg Bescheid. Sowas wie ‚Hallo Luxemburg, wir haben Meldungen’ oder ‚Wir haben Verkehrsmeldungen’, oder kurz: ‚Wir haben Verkehr!’. Aus Kostengründen hatte RTL nur eine Leitung nach Luxemburg. Über die kamen wir - und auch die Kollegen um Geert Müller-Gerbes aus dem Hauptstadtstudio in Bonn. Dabei hatte ich nicht gehört, dass die Bonner gerade live irgendwelche Zusammenhänge berichteten und fuhr brachial dazwischen: ‚Hallo Luxemburg, wir haben hier Verkehr!’ - Der Bonner Kollege, der gerade im Programm war, stutzte kurz und sagte ganz trocken: ‚Ja, das ist ja sehr schön für Euch!’“.
Einen eher gedankenlosen Versprecher findet Michael gar nicht witzig: „Auf der A5 fährt ein Schwertransporter, der nicht überrollt werden kann.“
...und schöne Momente
Eine Begebenheit innerhalb seiner inzwischen fast 30-jährigen Hörfunkkarriere hat Michael tief bewegt. Als er noch in Trier moderierte, trat Jochen Pützenbacher - sein „Gönner“ und „Radio-Ziehvater“ aus Kindertagen - während der Mosellandausstellung auf. „Es hat mich stark beeindruckt, wie beliebt Jochen damals beim Publikum war. Nach der Show sagte ich ihm hinter der Bühne ‚Guten Tag’, wir hatten uns einige Jahre nicht gesehen und ich wollte ihm zeigen, dass ich beim Radio geblieben bin und ‚was anständiges’ aus mir geworden ist.“ 20 Jahre später traf er den inzwischen 70-jährigen Altmeister des Rundfunks auf der 50-Jahr-Feier von RTL in Luxemburg wieder. „Ich gehe auf Jochen zu und stelle mich erstmal vor. Immerhin habe ich mich ziemlich verändert. ‚Michael Haas’, sage ich und er: ‚Dich habe ich das letzte Mal auf der Mosellandausstellung gesehen!’ Ist das ein Hammer. Nach so langer Zeit weiß der das noch!“
Von der Uni zu SWF3
Als Schüler ließ sich Michael Haas vor Ort bei Radio Andernach zeigen, wie dort die Rundfunkarbeit funktioniert. Er war wohl der erste Wehrpflichtige, der vor Dienstantritt mal reinschaute. Da hätte er aber 50 Prozent normalen Militärdienst machen müssen und entschied: Nichts für mich. „Ich wollte 100 Prozent Radio - und das bekam ich in der Medienzentrale.“ Hier traf er Stephan „Offi“ Offierowski (begann seine Radiokarriere ebenfalls beim RTL Hörfunk) und Peter Grube aus der WDR-Sportredaktion. Nach seiner Bundeswehrzeit fing Michael als Moderator und Redakteur beim Wochenspiegel-Radio in Trier an und landete nach drei Monaten als Morningshow-Anchor bei Radio RPR. „Dort hatte ich zudem am späten Nachmittag eine eigene Personality-Show, für die ich auch als Reporter tätig war. 1986 nahm ich ein Studium an der Universität Köln auf und begann wenig später als freier Moderator bei SWF3 in Baden-Baden.“
Das kam so: „Als ich bei RPR in Trier aufgehört hatte, um in Köln zu studieren, traf ich in der Uni Anke Engelke, die ich noch aus RTL-Zeiten kannte. Wir unterhielten uns, und sie sagte: ‚Bewirb dich doch mal bei Peter Stockinger in Baden-Baden bei SWF3!’. Ich meinte, das sei viel zu früh. Bei so einem angesehenen Sender könne man sich nur mit abgeschlossenem Studium bewerben. Dann war es wieder so, wie Jahre zuvor mit meinem Vater. Ich überlegte es mir anders und verfasste eine mit Tinte geschriebene, elf Seiten lange Bewerbung, wurde eingeladen, machte eine Versuchssendung und wurde zur Probe für ein halbes Jahr auf den Sender gelassen. Aus dem Probejahr wurden 40 halbe Jahre!“
Die Dreier-WG
Als Michael Haas zu SWF3 kam, wurden alle Tagessendungen noch mit Techniker gefahren. In jener Zeit traf er mit Patrick Lynen und Kristian Thees zusammen. SWF3 stellte dann von CD auf Festplatte um und führte das Selbstfahren ein. „In beiden Dingen waren wir sehr engagiert und haben die Interessen der Moderatoren gegenüber der ausführenden Technik vertreten. Somit haben wir - wie sich rückblickend feststellen lässt - seinerzeit wohl viel von dem Weg geebnet, der heute von allen modernen Popradios bestritten wird. Sendungen mit einer Verpackung wie sie jetzt gefahren werden, wären ohne entsprechende digitale Festplatten-Technik nicht denkbar“, schildert Michael den Übergang in eine neue Radio-Epoche.
Ein paar Jahre lang unterhielten Michael, Patrick und Kristian eine „WG“ in Baden-Baden. „Da wir alle drei aber in anderen Städten wohnten und lediglich zum Arbeiten nach BAD kamen, sahen wir uns nur, wenn sich die Dienste zufällig überschnitten. Wir arbeiteten meistens nachts, so dass sich die Nachbarn schon Sorgen machten, was das für eine konspirative Wohnung sei, die meist spätabends und in den frühen Morgenstunden betreten beziehungsweise verlassen wurde.“
Patrick Lynen war zuvor ebenfalls beim RTL Hörfunk aktiv gewesen und bekannt für seine ausgefallenen Ideen. „Wie es überhaupt bei SWF3 üblich war, Radio einfach mal anders zu machen, als es die Hörer erwarteten.“ Kristian hatte kein RTL-Vorleben, moderierte aber die gleiche Sendung wie Anke Engelke zwischen neun und zwölf Uhr. Bei SWF3 gab es früher nicht nur einen Moderator pro Sendung, sondern es wechselten sich drei, vier, fünf wöchentlich ab. Die Vormittagsschiene hieß unter anderem »SWF3 ZIPP«. Michael war nachmittags zwischen 15.00 und 19.00 Uhr dran mit »SWF3 MACK«. „Es gab immer einen redaktionsinternen Wettstreit MACK gegen ZIPP, der auch mal spaßeshalber auf dem Sender ausgetragen wurde.“
Tag und Nacht on air
Bei SWF3 und SWR3 hat Michael Haas
hauptsächlich nachmittags die „Drivetime“ zwischen 16.00 und 19.00
Uhr moderiert. Seine Sendungen waren »SWF3 RADIOKIOSK«, das bereits
erwähnte »SWF3 MACK« und »SWR3 HILINE«. An einen Gast kann er sich
noch gut erinnern: Skiflieger Martin Schmidt. „Auf unsere Idee hin
hat er mit einer Hörerin zusammen einen virtuellen Tandemsprung von
einer Skiflugschanze gemacht. Tolle Sache!
Er erzählte - sie quiekte.“ Und in Smudo von den „Fantastischen
Vier“ (feiern dieses Jahr ihr 20-jähriges Jubiläum) hatte Michael
einen außergewöhnlichen Gesprächspartner: „Im Interview haben er und
ich uns mit Namen von Charakteren aus einem PC-Videospiel
angesprochen, das wir beide damals begeistert gespielt haben (er
Cornel Christopher Blair, ich Captain Eisen).“
Zusätzlich moderierte Michael Haas über fast 15 Jahre hinweg nach Mitternacht »SWF3 LOLLIPOP« für Einsame, Schlaflose, Fernfahrer und Schichtarbeiter. Die Sendung wurde im Rahmen der ARD-Popnacht in ganz Deutschland verbreitet. Anfangs brachte Michael seine CDs mit und stellte die Musik noch selbst zusammen, später dann über den Radiomax-Computer. Das Telefon glühte, weil bestimmte Titel - allen voran Take That - besonders von weiblichen Nachtschwärmern gewünscht wurden. „Nighttalker“ Michael wiederum wollte von den Anrufern wissen, warum sie nachts das Radio einschalten. Durch den Fernsprechkontakt mit den Hörern erfuhr er die Neuigkeiten aus dem Sendegebiet. So waren er im Studio und die Menschen irgendwo da draußen nicht allein.
In »SWF3 WELTWEIT« hat Michael Haas mit Interviews Weltenbummler, Abenteurer und deutsche „Gastarbeiter“ auf allen Kontinenten begleitet. Aus der Zeit fallen ihm zwei Highlights ein: „Ein Typ, der mit seinem Motorrad rund um die Welt fahren wollte (Türkei, Iran, Irak, Pakistan, Indien...) meldete sich immer wieder in der Sendung und erzählte, was gerade passiert ist - den Irak beispielsweise musste er in einem Tag durchqueren. Einmal schrieb ein Hörer, er sei in Chicago und würde uns übers Web hören. Also habe ich im Studio meinen PC samt Flugsimulator aufgebaut, bin mit meiner Cessna über Chicago gekreist und habe ihn nach den Sehenswürdigkeiten gefragt, an denen ich vorbeiflog: Das riesen Hochhaus da vorne, was ist das? Rechts unter mir ein Hafen und eine Halbkugel? Er konnte alles beantworten und wir hatten einen prima virtuellen Rundflug für die Hörer.“
Und das gabs auch noch in Michaels Moderatoren-Laufbahn: „Alternativ lief mal die Sendung »SWF3 KISS«. Eine Love- und Datingsendung mit Diplom-Psychologe Dieter Speck als Traumdeuter...“.
Live und nah dran
Nach der Fusion von SWF und SDR übernahm Michael Haas die Leitung des SWR3-Studios in Mainz. Die Moderation gab er auf und arbeitet seitdem hauptsächlich in Mainz, aber auch als Chef vom Dienst oder Redakteur vom Dienst in der SWR3-Sendezentrale Baden-Baden. Der CvD ist für das Radioprogramm verantwortlich, der RvD fürs aktuelle Zeitgeschehen. Insgesamt gibt es drei Studios bei SWR3: Stuttgart, Mannheim (für Baden-Württemberg) und Mainz (für Rheinland-Pfalz). Zum Team in Mainz gehören Nina Schürmann, Josh Kochhann, Marco Neises (Reporter) und Redaktionsassistentin Patricia Schneider. Sie kommen aus der Gegend oder haben sich dort gut eingelebt, kennen sich im Berichtsgebiet aus und sind überall da zur Stelle, wo lokale Ereignisse die Gemüter der Hörer bewegen oder erregen. Immer nach der Devise: Die Geschichten liegen auf der Straße - wir heben sie auf.
Anita Pospieschil
Aus RADIOJournal 2/2009