Interviews
mit Radioleuten und Radiomachern
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NDR 1 Niedersachen: Verlässlicher Tagesbegleiter für eine breite Zielgruppe
Wer die Landesprogramme der
verschiedenen ARD-Anstalten miteinander vergleicht, wird schnell
regionale Unterschiede wahrnehmen können. Als besonders gelungenes
Beispiel für eine melodische Musikmischung, mit der eine große
Altersspanne erreicht werden kann, wird dabei oftmals NDR 1
Niedersachsen angesehen. Dem Wirken seines langjährigen Musikchefs
Lutz Ackermann, der in diesem Sommer in den Ruhestand ging, ist
dabei die Bandbreite zu verdanken, die von deutschsprachigen
Schlagern bis zu internationalen Popsongs reicht. Seine Arbeit wurde
auch von außerhalb bestätigt. „Wir haben 2008 zum ersten Mal seit
acht Jahren eine externe Musikstudie durchgeführt, die uns
bescheinigte, nicht viel falsch gemacht zu haben“, sagt Hörfunkchef
Eckhart Pohl. „Etwas Potenzial gibt es noch bei den Oldies, wo die
Zustimmung in der Kernklientel hoch ist.“ Für den Schlager wurde
eine mögliche Zielgruppe von 19 Prozent am Gesamtmarkt festgestellt.
„Bei Menschen zwischen 40 und 50 Jahren erleben wir eine größere
Toleranz gegenüber traditionellen Schlagern von Udo Jürgens oder
Kristina Bach als bei den Jahrgängen darüber, die als 68er mit
deutschsprachiger Musik so ihre Probleme hatten. Gleichzeitig
schrumpft die Zahl der Hörer über 60 Jahren noch, was auf die
Kriegsjahrgänge zurückzuführen ist. Die Babyboom-Generation wächst
nun in unsere Zielgruppe nach, 1964 ist der geburtenstärkste
Jahrgang.“
Klar ist für Pohl, dass von diesen starken Jahrgängen vor allem der
Privatfunk profitiert, es aber durchaus eine Chance gibt, diese
Generation mit einem „erwachsenen“ Programm zu erreichen. In der
Altersgruppe der 60- bis 70-Jährigen ist der Musikgeschmack auch
sehr heterogen, die einen sind noch recht traditionell aufgewachsen,
die anderen haben schon Elvis oder die Beatles verinnerlicht. Nur
noch bei den Hörern, die älter als 70 Jahre sind, ist die
Hörpräferenz für deutschen Schlager ganz eindeutig. Zugleich
verweist Eckhart Pohl auf die großen Veränderungen, die sowohl die
Einführung der telefongestützten Hörerbefragung CATI im Jahr 2001
insbesondere für die Landesprogramme mit sich brachte. „Die
persönliche Befragung zu den Hörgewohnheiten kam vor allem den
älteren Hörern deutlich entgegen, die oftmals keine telefonischen
Auskünfte geben. Zugleich läuft die Einbeziehung der EU-Ausländer
sowie der 10- bis 14-jährigen Kinder bei den Hörerzahlen naturgemäß
gegen uns, weil dort andere Präferenzen bestehen.“
Umso bemerkenswerter ist es, dass NDR 1 Niedersachsen immer noch auf
einen stabilen Marktanteil von fast 30 Prozent verweisen kann. Das
ist seit der Einführung der CATI-Befragung ein Verlust von nur knapp
zwei Prozent und zeigt, dass wegbrechende Hörerschichten durch neue
kompensiert werden konnten. Musikalisch gab es im Juli 2006 die
letzten Veränderungen hin zu einem fifty-fifty-Mix zwischen
deutschen und internationalen Titeln, seitdem wird am Repertoire nur
die tägliche Feinarbeit gemacht. An den beiden Instrumentaltiteln
pro Stunde, die ein absolutes Alleinstellungsmerkmal von NDR 1
Niedersachsen sind, wurde festgehalten. Zwei CDs mit diesem
Musikgenre, die der Sender herausbrachte, verkauften sich gut und
belegen die Nachfrage. Mittlerweile sind auch viele moderne
internationale Titel im Programm, etwa von Jack Jones. Dagegen wird
sehr wenig deutscher Pop gespielt. „Die kulturelle Spanne vom
Schlager zu Annett Louisan oder Roger Cicero ist einfach zu groß,
eher werden fröhliche Popsongs akzeptiert, solange sie nur melodisch
und mitsingbar sind“, sagt Eckhart Pohl, der als neues Feld den
„Discofox“ im Programm erkannt hat.
Einige Programmflächen am Wochenende, etwa die »Romantische Stunde“
am Samstagabend, wo gehobener Kitsch, Liebesschlager und Romanzen
dominieren, haben sich erhalten. Am Sonntagabend zwischen 18.00 und
20.00 Uhr hat die Lutz Ackermann-Sendung »Sweet, soft & lazy«, die
er auch weiterhin moderiert, wieder Kultstatus erreicht,
anschließend ist bei »Das gibt’s nur einmal« für zwei Stunden
besinnliche Titel bis hin zur leichten Klassik zu hören.
„Wir wollen der Heimatsender für die Niedersachsen sein und
freuen uns darüber, dass der Heimatbegriff gerade bei den Jüngeren
wieder einen positiven Klang hat“, sagt Eckhart Pohl, der darauf
setzt, dass sich das Image des Programms, das mitunter noch als
etwas angestaubt gilt, beim Hören selbst korrigiert. „Wer uns
einschaltet, merkt schnell, dass die Klischees nicht mehr stimmen.
Trotzdem wollen wir es nicht den Privatsendern gleichtun, sind etwa
bei Ironie oder Wortspielen etwas vorsichtiger, weil das bei unseren
Hörern nur bedingt ankommt.“
Viel größere Freiheiten als früher haben die Moderatoren. „Bei NDR 1
Niedersachsen setzen wir wieder stärker auf Persönlichkeiten. Wie
jemand seine Moderationsplätze füllt, bleibt ihm oder ihr selbst
überlassen. So gesehen laufen die Moderatoren bei uns an einer viel
längeren Leine als früher“, so Pohl. Dazu gehört, dass die Reihung
von Wort und Musik flexibler gehandhabt wird und auch schon mal eine
Formatregel außer Kraft gesetzt wird, wenn es anders attraktiver
klingt. Auch Servicethemen sind stärker im Programm präsent und
werden gut angenommen. Insgesamt herrscht mehr Spontaneität vor.
„Wir planen weniger vor und wenn es keinen qualifizierten
Wortbeitrag gibt, läuft eine ungeplante Moderation. Zudem sind wir
interaktiver geworden, haben zwei Mal in er in der Woche eine
Anrufaktion für Hörer im Programm. Unsere Ratgeberschiene haben wir
ebenfalls ausgeweitet, etwa in den Bereichen Gesundheit und Reise.“
Zudem wurde ein Tabu aufgehoben, das es jahrelang gab. In mehreren
Schwerpunkten ging es bei NDR 1 Niedersachsen um Themen rund um die
Sexualität, die ein sehr positives Echo hervorriefen und nicht als
voyeuristische Darstellung sondern als Lebensberatung empfunden
wurden. Für die rund zweieinhalb Millionen täglichen Hörer wird am
Sonntag um 9.15 Uhr in »Noch eine Frage« ein neuer Ansatz geboten,
aus theologischer Sicht die Welt zu erklären. Hier werden aktuelle
Themen, etwa „Gier und Geld“, aus kirchlicher Perspektive
beleuchtet. Überhaupt hat sich seit Juli 2007 das Programm am
Sonntag verändert. Vorher war es sehr feiertäglich strukturiert,
durch die Änderung der Sendeplätze ist mehr Leben ins Programm
gekommen. Eine zusätzliche »Entenjagd« in der wochentäglichen Drive
Time am Nachmittag wird ebenso gut angenommen wie das
»Niedersachsen-Duell«, wo zwei Hörer in einer bestimmten Zeitschiene
jeweils möglichst viele Fragen über Land und Leute beantworten
müssen. Außerdem ist »Aufgepasst - das Niedersachsenrätsel« im
Programm, wo Kinder Begriffe umschreiben, die es zu erraten gilt.
Spürbar erhöht hat Hörfunkchef Pohl auch die Präsenz der rund 50
Niedersachsen-Reporter, die im Land unterwegs sind. Bestimmte von
ihnen, etwa Thomas Stahlberg aus Ostfriesland, laufen in
Live-Situationen zur Höchstform auf. In »Stahlberg auf Tour«
probiert sich jener umtriebige Reporter beispielsweise beim
Christstollenbacken, dem Moorgrabenspringen oder dem Fahren eines
Pferdegespanns. Die Studios im Land, die mit zwei bis drei fest
angestellten Redakteuren, die von freien Mitarbeitern unterstützt
werden, besetzt sind, wurden in den letzten Jahren alle verjüngt.
„Die Fluktuation ist geringer geworden und es gibt dadurch weniger
Personalaustausch als früher“, sagt Eckhart Pohl, der darauf
verweist, den im NDR beschlossenen Planstellenabbau von fünf Prozent
durch altersbedingtes Ausscheiden oder persönlich motivierte Wechsel
bewerkstelligen zu können.
Prominente Weggefährten (unter anderem Tagesschau-Legende Dagmar
Berghoff und Schlagersänger Bernhard Brink) auf der Abschiedsparty
von Musikchef Lutz Ackermann. Foto: © NDR
Bei der Musikredaktion gab es im Juli 2009 eine Zäsur, als der
langjährige Musikchef Lutz Ackermann, in Norddeutschland eine
Radio-Ikone, in den Ruhestand ging. „Er ist als Macher unersetzlich
und eine starke Persönlichkeit mit viel Radioerfahrung. Seine
Kenntnisse hatten Einfluss auf alle Debatten, sein Gespür für die
Feinheiten der Musikzusammenstellung ist ebenso untrüglich wie sein
Gefühl für die richtigen Musiklängen. Wir haben die letzten 15 Jahre
sehr eng und vertrauensvoll zusammengearbeitet“, würdigt Pohl seinen
Weggefährten.
Als Nachfolger kam der bekannte RIAS-Moderator Henry Gross, der
zuletzt bei N-Joy und NDR 2 in Hamburg tätig war, von der Alster in
das Funkhaus am Maschsee.
Viel Lob hat der Hörfunkchef Pohl, der diese Funktion seit zwölf
Jahren bekleidet, auch etwa für Reinhard Stein übrig, „der nicht nur
ein exzellenter Unterhaltungsredakteur ist sondern seine
Interviewpartner auch als Menschen respektiert, was uns tolle
Gespräche einbringt“. Viele Hörer freuen sich, Kerstin Werner nach
ihrer arbeitszeitbedingten Pause nun wieder regel-mäßig in
»Miteinander« hören zu können. Gut etabliert haben sich zudem am
Morgen Christiane Köller und Lars Cohrs, der von Bremen Eins nach
Hannover wechselte. „Die beiden sind auch tagsüber bei NDR 1
Niedersachsen präsent und verkaufen fast alle Programmaktionen.
Damit sind wir gut aufgestellt“, stellt Eckhart Pohl fest.
Eine starke Resonanz erfährt zudem die von Hans-Jürgen Otte
geleitete Ombudssendung »Jetzt reicht’s!«, die Sprachrohr der Bürger
für Probleme vor ihrer Haustür sein will. Ob es um eine neue
Umgehungsstraße oder ein Naturschutzgebiet geht - hier wird Tacheles
geredet. „Wir setzen generell mehr auf Kontroversen und die
kritische Aufbereitung von Themen. Außerdem haben wir auch mehr
Kommentare im Programm. Wir sind, was unsere Formate betrifft,
insgesamt flexibler und beweglicher geworden“, freut sich Pohl.
Regen Zuspruchs erfreute sich auch die »Frühlingshitparade«, bei der
von 600 zur Auswahl stehenden Titeln die 300 beliebtesten gespielt
wurden. Über 200. 000 Hörer, davon ein Drittel via Internet,
beteiligten sich an der Auswahl. Überhaupt, die neue digitale Welt.
Immer mehr ältere Menschen sind online, wozu auch die Aktion
„Schüler schulen Senioren“ beiträgt. Hier erklären die Jüngeren der
Generation ihrer Großeltern die ersten Schritte auf dem Weg ins
Computerleben. „Unsere Hörer sind offen für neue Entwicklungen, was
sich auch im Programm widerspiegelt. Wir rennen nicht jedem Trend
hinterher, aber wir gehen bei NDR 1 Niedersachsen mit der Zeit“,
sagt Eckhart Pohl.
Stefan Förster
Aus RADIOJournal 10/2009