Interviews
mit Radioleuten und Radiomachern
»Ich
hab schon immer
gern rias2 gehört...«
Andrea Ballschuh über Kinderfernsehen,
Koschwitz' Morningshow und tierisches Vergnügen
Donner-Wetter! Wenn in den 18:30-SAT.1-Nachrichten um kurz vor Sieben Andrea Ballschuh auf dem Schirm erschien, um zu verkünden, ob es die nächsten Tage schneien wird oder aber die Sonne hinter den Wolken hervorblinzelt, haben nicht wenige Zuschauer extra wegen ihr eingeschaltet. Kein Witz. Ein Blick am nächsten Tag in die Quoten-Top-Five belegt das. Andrea schauen oft mehr Menschen als die Nachrichten. Die Prognose wird dabei eigentlich unwichtig. Allein die Art, wie sie das Wetter präsentiert, beeindruckt. Mit einem herzlichen Lachen, einer bezaubernden Stimme und schnörkellosen, verständlichen Formulierungen überzeugt die hübsche Wetterfee nicht nur im Fernsehen. Genauso ist Andrea nämlich dem Radio „verfallen”. Jugenderfahrungen bei DT 64, tolle Radiojahre bei r.s.2 und Radio Paradiso haben Andrea Ballschuh geprägt. Kein Wunder also, dass sie eigentlich nie schlechte Laune hat, kann sie doch ihren Traum gleich in zwei Medien leben.
Andrea, deine Medienerfahrung begann - umgekehrt wie bei den meisten anderen Moderatoren - im Fernsehen...
Das stimmt. Mit zarten elf Jahren war ich schon Ansagerin beim Kinderfernsehen der DDR. Dort moderierte ich dann auch die Sendung »Ein Bienchen für...« (das „Bienchen“ wurde in dieser Zeit bei Kindern zum geflügelten Lobwort für gute Leistungen) und dann mit 15 die Live-Sendung »Mobil durch die Ferien«. Übrigens, mit 12 hatte ich bei der Live-Ansage meine erste richtige Panne - einen totalen Blackout.
Ganz von mir überzeugt, den Moderationstext genau zu kennen, ging ich ohne Manuskript in der Hand vor die Kamera. Das Rotlicht ging an, nach ein paar Sätzen kam ich ins Stocken, und dann - nichts mehr, mein Kopf war total leer. Ich wusste NICHTS mehr. Ich schaute nur nach unten, vergrub meine Fingernägel in den Händen (hat man noch tagelang gesehen) und tat nichts. Die in der Regie dachten, ich schaue auf meinen Zettel und schalteten einfach nicht ab. Es hat eine halbe Ewigkeit gedauert. Das war mir eine Lehre: Nie wieder ohne Manuskript vor die Kamera.
Dann bist du aber recht schnell in den Radiobereich gerutscht - Absicht oder Zufall?
Für das Kinderfernsehen wurde ich dann natürlich irgendwann zu alt und es bot sich die Gelegenheit, beim Jugendradio DT 64 weiterzumachen. Ich saß da am Hörertelefon, hab’ die „Jukebox“ freitags betreut und on air die Hörergrüße vermeldet. Mein eigentlicher Radioschwarm saß - und daraus entwickelte sich später eine ganz kuriose und spannende Geschichte - aber auf der anderen Seite der Mauer, in West-Berlin. Ich hab’ schon immer wahnsinnig gern rias2 gehört und da war ER: Henry Gross, der heute bei N-Joy in Hamburg arbeitet (aber leider nicht mehr moderiert). Mein Gott, diese Stimme und diese Ausstrahlung, die durchs Radio kam! Einfach umwerfend der Typ! Irgendwie musste ich ihn kennen lernen, was sich natürlich aufgrund der politischen Situation mehr als schwierig gestaltete. Damals war ich in der 10. Klasse. Mir war nur klar, dass ich irgendwie an die Telefonnummer von rias2 kommen musste.
Man kann sich heute gar nicht mehr so richtig vorstellen, dass das Telefonieren von der einen zur anderen Stadthälfte komplizierter war, als irgendwo in Sibirien anzurufen. Eines Tages hab’ ich mich dann ans Telefon gesetzt und wahllos eine Nummer in West-Berlin gewählt, um dort nach der Nummer der West-Auskunft zu fragen. Das hat auch geklappt und bei einem weiteren Anruf bei der dortigen Auskunft bekam ich auch die Nummer von rias2. Also gleich danach dort angerufen und nach Henry Gross verlangt - der war aber gerade nicht da und „nur“ Jörg Brüggemann am Telefon. Ich habe mit ihm eine ganze Weile gequatscht. Er war ganz erstaunt, dass ich mir so viel Mühe gemacht habe, um Henry Gross zu erreichen und versprach mir, Henry meine Nummer zu geben, aber ich habe nicht daran geglaubt. Damit war die Sache für mich erstmal erledigt, ich hatte nicht wirklich damit gerechnet, dass er zurückrufen würde. Vielmehr bekam ich es etwas mit der Angst zu tun, weil ich so einfach bei einem West-Sender meine Telefonnummer hinterlassen hatte und in der DDR ja gerade diese Telefonverbindungen intensiv überwacht worden sind. Doch ein paar Tage später klingelte das Telefon, meine Mama rief „Andrea, ein Henry für dich“ und ER war tatsächlich am Apparat. Ich war total happy, dass er mich kleine Ost-Schülerin zurückgerufen hat. Wir haben eine ganze Weile gequatscht und er hat zum Abschluss noch gesagt „Lass’ uns in Kontakt bleiben“. Als ich auflegte, habe ich total geheult vor Glück. Ich konnte nicht fassen, dass mich „The Voice“, MEIN absoluter Lieblingsmoderator wirklich angerufen hatte, mich kleines Ost-Mädchen.
Ein halbes Jahr später geschah dann das Unglaubliche - die Mauer fiel. An diesem Abend bin ich noch mit meiner Freundin „rüber“, ohne einen einzigen Pfennig Westgeld in der Tasche. Ich pumpte Leute auf der Straße um 30 Pfennig an, bin ich die nächste Telefonzelle und hab’ sofort bei rias2 angerufen. Diesmal war Henry Gross da und meinte gleich „Ich dachte mir schon, dass du dich meldest.“ Also sind wir auf dem schnellsten Weg zum Sender und ich hab’ meinen Radioschwarm dort persönlich kennen gelernt. Das war einfach toll. Ich weiß noch genau, wie wir in seinem Zimmer saßen und ich den riesigen Plattenschrank hinter ihm bestaunte. „Such dir was aus“ meinte er. Mir gefiel eine Menge, aber ich wollte nichts haben. Ich war zu stolz. Ich entschied mich nur für eine Platte von Peter Maffay - für meine Mutter. Für mich selbst nahm ich nichts mit. Henry hat uns dann auch noch 50 DM gegeben, damit wir mit dem Taxi zur Mauer zurückfahren konnten (ich musste rechtzeitig für eine Kinopremiere wieder drüben sein). Ich kann das heute noch gar nicht richtig fassen, das war ein richtig genialer, ein richtig geiler Tag! Ich war einfach nur glücklich. Henry und ich blieben in Kontakt, freundeten uns an und haben uns immer mal wieder getroffen.
Eine wirklich schöne Geschichte. Emotionen, wie sie das Radio transportieren soll - entweder on air oder eben im persönlichen Bereich. Wie ging’s dann mit dir weiter?
Nach dem Mauerfall lockte natürlich erst mal die große, weite Welt und ich ging für ein Jahr als Au-Pair nach Los Angeles. Der Zufall wollte es, dass ich bei Al Corley (Steven Carrington aus „Denver-Clan“) und seiner Frau Jessica Cardinahl („Otto der Film“) unterkam. Dort in L.A. hab’ ich erste Ausflüge ins amerikanische Formatradio gemacht. Ich wollte wissen, wie die Amis Radio machen und habe einfach Armin Ammler angerufen. Den hatte ich bei rias2 immer im Radio gehört, wenn er aus Los Angeles berichtete. Armin gab mir den Tipp, einfach ein paar Sender anzurufen und zu fragen, ob ich nicht mal vorbeischauen kann.
Bei KLOS 95.5 war ich dann in einer Radiosendung zu Gast und konnte den Machern über die Schulter schauen. Ich wurde in einer Sendung sogar interviewt, die Amis fanden das spannend, dass ein echter „Ossi“ bei ihnen war. Ich besuchte KLOS sehr oft und bekam einen intensiven Eindruck vom amerikanischen Radio.
Zurück in Deutschland wollte ich weiter auf der Radioschiene fahren und Henry Gross - zu dem der Kontakt bis heute nicht abgerissen ist - gab mir Ende 1992 den Tipp, mich beim gerade privatisierten r.s.2 zu bewerben. Er hatte sich mein Tape angehört, das ich aufgenommen hatte und meinte, meine Stimme wäre toll, damit könnte ich wirklich was erreichen. Aber nie im Leben wäre ich von selbst auf die Idee gekommen, mich bei r.s.2 zu bewerben.
Programmdirektor war damals Jörg Brüggemann, den ich bei meinem ersten rias2-Anruf an der Strippe hatte. Aber leider war gerade kein Volontariatsplatz frei. Ich probierte es auch beim Berliner Rundfunk, 104.6 RTL und Energy - aber immer mit dem gleichen Ergebnis. Zugegeben: Ich war damals auch noch im Anfängerstadium was den Umgang mit der Selbstfahrertechnik betraf. Damit musste ich mich erstmal vertraut machen. Und irgendwie hatte ich den Rundfunkbereich zunächst abgeschrieben. Es war immer mein Traum, als Moderatorin zu arbeiten, aber wenn es nicht geklappt hätte, wäre für mich auch keine Welt zusammengebrochen. Ich startete einen allerletzten Versuch ein Jahr nach meiner ersten Bewerbung bei r.s.2 - inzwischen gab es einen neuen Programmdirektor. „Der alte Ami“ Rik de Lisle meldete sich sofort auf meine Bewerbung und fragte „Wann kannst du anfangen?“ Damit hatte ich nicht gerechnet. Ich: „Hm, ich bin jetzt erstmal zwei Monate in Ägypten, weil ich heirate.“ Ami: „Tja, was in zwei Monaten ist, weiß ich noch nicht, meld' dich einfach, sobald du wieder zurück bist.“ Ich dachte, „das war’s, der Traum ist ausgeträumt. In zwei Monaten ist die Stelle weg“. Ich rief also gleich am 28. Februar 1994 an. Und zehn Tage später war ich auf Sendung. Mit süßen 21 hatte ich von 22.00 bis 2.00 Uhr meinen akustischen Auftritt in der direkten Nachfolge von Ariane Wälzer (heute beim NDR), die ich immer richtig genial fand. Dann ging es bunt durcheinander. Mal hab’ ich vormittags moderiert, mal nachmittags, mal »Die Kuschelnacht ab Acht« und in der Redaktion war ich auch eine Zeit lang, was allerdings nicht so mein Ding ist.
Und dann kamst du als Wetterfee auf die weltweiten Bildschirme...
Die Deutsche Welle, die im selben Haus wie r.s.2 residierte, veranstaltete im Frühjahr 1996 gerade ein Wetter-Casting. Ich hab’ spaßeshalber dran teilgenommen und war dann ganz überrascht, als man mich für die englische und deutsche Wettermoderation bei DW-tv haben wollte. Damals hatte ich mit Patricia Schäfer (die dann zum ZDF-Morgenmagazin ging) und Wolf-Dieter Hermann zu tun, der richtig klasse war. Bei ihm lernte ich spontan zu reagieren, denn man musste bei Wolf-Dieter auf alles gefasst sein. Ein Jahr später kam dann SAT.1 auf mich zu, und seitdem mache ich in den 18:30 - Nachrichten das Wetter. Einmal im Monat düse ich auch für das Reisewetter durch die Gegend und manchmal ergibt sich die Moderation des Ländermagazins 17:30. Bis 1999 hab’ ich auch noch parallel Radio bei r.s.2 gemacht und oftmals auf der Couch im Funkhaus für ein paar Stunden gepennt, um nicht erst nach Hause fahren zu müssen. Meine schönste Zeit bei r.s.2 hatte ich als Co-Moderatorin der Morningshow, während sie Thomas Koschwitz moderiert hat. Wir haben uns super verstanden und Thomas ist dadurch mein bester Freund geworden. Er weiß eigentlich alles von mir.
Nach fünf Jahren bei r.s.2 und zwei Jahren Morningshow entschied ich mich, aufzuhören. Es wurde mir einfach zu viel. JEDEN Morgen um Vier aufstehen, fünf Stunden Sendung und gute Laune, eine Stunde Pause und dann gleich weiter zu SAT.1. Wenn ich abends um 20.00 Uhr nach Hause kam, war ich einfach so gerädert, dass ich nichts anderes mehr machen konnte - keine Freunde treffen, nicht ins Kino gehen. Und ich dachte mir „Geld ist nicht alles, genieß’ endlich dein Leben und nimm dir mal Zeit für dich!“ Nach fünf Jahren bei r.s.2 haben mir die Kollegen im Juni 1999 einen traumhaft schönen Abschied beschert: Sie haben mir eine CD besungen und eine Foto-Collage geschenkt, wo sich alle eingetragen haben. Ich hab’ geweint vor Freude.
Doch ohne Radio hielt ich es nur ein halbes Jahr aus. Es ist wie eine Droge, man kommt davon nicht wieder los. Der damalige r.s.2-Programmdirektor Ralf Mothil vermittelte mir den Kontakt zu Radio Paradiso, wo ich seit Herbst ’99 immer samstags zu hören bin. Erst von sieben bis zwölf Uhr und seit November 2001 von zwölf bis siebzehn Uhr.
Ich hatte mir geschworen, ich würde nie wieder eine Morgensendung moderieren, zumindest nicht mehr auf Dauer. Einmal pro Woche oder vertretungsweise dagegen gern. Ab und zu springe ich bei Radio Paradiso morgens ein. Aber da weiß ich, dass ich auch bald wieder ausschlafen kann... Ich kann gar nicht sagen, was mir MEHR Spaß macht, Radio oder Fernsehen. Ich brauche beides. Radio ist so ganz anders als Fernsehen. Vor der Kamera musst du immer gut aussehen, beim Radio ist das völlig egal. Und - man ist irgendwie näher dran an den Hörern, kann persönlicher sein. Ich hoffe, ich kann immer beides machen.
Ab und zu moderierst du auch Veranstaltungen und in deiner Freizeit bist du auf den Hund gekommen...
Tja, das stimmt, Bruno, mein dreijähriger Golden Retriever ist mir richtig ans Herz gewachsen. Damit er nicht nur frisst und faul herumliegt, arbeite ich mit ihm. Um die Intelligenz von ihm noch zu erhöhen, mach’ ich regelmäßiges Dummytraining, da muss er seinen Kopf anstrengen. Und tägliche zweistündige Spaziergänge sind keine Seltenheit. Ich freu’ mich schon immer auf den Samstag. Vor oder nach der Sendung und nachdem ich die netten Mails der Paradiso-Hörer gelesen hab’, zieh ich mit meinem Vierbeiner um den Wansee oder durch den Grunewald.
Was die Event-Moderationen betrifft: Es macht mir unglaublichen Spaß, die verschiedensten Veranstaltungen zu präsentieren. Es ist ein tolles Gefühl, auf der Bühne zu stehen und in die Augen der Gäste zu schauen. Zuletzt war ich gerade wieder im Zirkus Sarrasani, um dort »Die Galanacht der Stars« zu moderieren.
Um noch mal auf Henry Gross zurückzukommen: Wenn man so will, habe ich IHM zu verdanken, dass ich heute bei SAT.1 moderiere. Denn hätte er mir damals nicht Mut gemacht, hätte ich mich nie bei r.s.2 beworben. Wäre ich nicht bei r.s.2 gelandet, hätte ich nicht von dem Casting bei der Deutschen Welle erfahren. Und hätte ich nicht bei der Deutschen Welle moderiert, wäre SAT.1 nicht auf mich aufmerksam geworden. Ich hatte ja keine Kontakte mehr zum Fernsehen. Also: DANKE, HENRY!
Stefan Förster
Fotos: © SAT.1 / Andreas Ballschuh
www.andrea-ballschuh.de
Aus RADIOJournal 2/2002