Branchen-Magazin
für Radio und neue Medien

Webausgabe 3-4/2024


Fotos: © Archiv Hans Knot

100 Jahre Radio (Teil 21-2) -
Schulradio in den 1950er Jahren

Das ist alles nicht verwunderlich. Bei den um 1950 Geborenen hinterließ das Radio einen anderen und tieferen Eindruck als bei späteren Generationen. Viele Babyboomer verbrachten einen Großteil ihrer Kindheit, ohne dass die Familie, in der sie aufwuchsen, einen Fernseher besaß. Natürlich entwickelte sich dieses neue Medium Anfang der 1950er Jahre ein wenig, aber der Empfang von Fernsehsignalen war anfangs begrenzt, und außerdem hatten in jener Nachkriegszeit nur wenige Familien die finanziellen Möglichkeiten, sich einen Fernsehkasten zu leisten. Das Radio spielte die Rolle, die später das Fernsehen bekam, als gemütlicher Treffpunkt des Familienlebens. Und etwas davon blieb in ihrer Wahrnehmung des Radios erhalten.

In den 1950er Jahren, mit dem Aufkommen der Jugendkultur, bekam das Radio zudem eine besondere Bedeutung für junge Menschen. Mit Hilfe des Geräts entwickelten die Jugendlichen damals auch ihre eigenen musikalischen Vorlieben, die von bestimmten Sendern geprägt wurden. In diesem Zusammenhang werden oft die Programme von Radio Luxemburg und dem American Forces Network genannt, die die jugendliche Faszination für das Radio prägten. Über diese Radiosender konnte man auf Mittelwelle Lieder hören, die im niederländischen Radio gar nicht oder nur äußerst selten gesendet wurden. Es gibt jedoch eine frühere reale Form der Radioerfahrung für diese Altersgruppe, die wir aus historischer Sicht nicht ignorieren können. Das Schulradio war in der damaligen Grundschule ein fester Bestandteil des Unterrichts. Die ersten Vorkriegssendungen hatten noch experimentellen Charakter und auch die Begeisterung der Schulen schien zunächst gering zu sein. Die KRO beschränkte sich auf etwa sechs Versuchssendungen - mit den vielsagenden Themen “Verschont die Vögel”, “Aus der Zeit unserer verborgenen Kirchen”, “Etwas über den Anbau von Pflanzen und Blumen”, “Eine Reise durch Italien”, “Napoleon” und “Ein Gespräch über Norwegen” - die ab dem 19. November 1929 gesendet wurden. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Abschottung innerhalb des Schulradios etwas aufgehoben. Ab 1948 strahlten KRO, NCRV, AVRO und VARA regelmäßig gemeinsame Schulradiosendungen aus. Und von da an wuchs auch die Akzeptanz rasch.



Allerdings gab jeder Sender dem Inhalt der Sendungen weiterhin seine eigene Farbe. Bei dieser frühen Form des Schulradios handelte es sich um eine Art Vortragszyklus, der darauf abzielte, bereits vorhandenes Wissen zu einem oder mehreren Themen an verschiedene Bevölkerungsgruppen in jungen Jahren zu vermitteln. Ganz im Sinne der pädagogischen Ideale der Zeit ging die Zielsetzung über die reine Wissensvermittlung hinaus. Die Wissensvermittlung war eingebettet in eine umfassendere Idee der Volksbildung und -aufklärung, die nicht nur auf die reine Wissensvermittlung abzielte, sondern auch stark auf die Charakterbildung ausgerichtet war. Die Programme sollten zur Persönlichkeitsbildung und zur Förderung der sozialen Entwicklung des Einzelnen beitragen.

Wie sah es in einer Schule aus, wenn man Schulradio hörte? In Gedanken versetze ich mich zurück in die 1950er Jahre und in meine eigene Grundschule, St. Ludgerdus, die neben der Mariaschule in der Tuinbouwdwarsstraat in Groningen liegt. Es war eine ziemlich strenge katholische Gesamtschule, in der Mädchen und Jungen strikt getrennt waren. Hinter dem Schulhof befand sich der Klostergarten, der unter anderem zur Rückseite der Herz-Jesu-Kirche führte. Regelmäßig wurden wir in einer engen Reihe zu den Schulgottesdiensten und zur wöchentlichen Beichte in diese Kirche geführt. Und einmal in der Woche, nach dem Schulviertel am Vormittag, wurden wir, wieder in einer Reihe, in das obere Klassenzimmer auf der rechten Seite im zweiten Stock geführt. In diesem Raum, der größer war als die durchschnittlichen Klassenräume im Gebäude, gab es Platz und Gelegenheit, gespannt dem Schulradio zu lauschen.



Wie der Name schon sagt, war die St.-Ludgerdus-Schule eine katholische Schule, und es liegt daher auf der Hand, dass vor allem die Sendungen, die im Radio unter dem Deckmantel KRO zu hören waren, die Aufmerksamkeit unseres Schulleiters, Herrn Le Roux, hatten. Der Mann genoss enormen Respekt, und man nahm es sich heraus, gegen ihn zu rebellieren. Also gingen wir treu in sein Klassenzimmer, um das Schulradio zu erleben. Im Nachhinein betrachtet war das alles ziemlich clever. Die Sendungen wurden von der PTT per Drahtübertragung geliefert. Außerdem wurde eine Sendung oft durch bewegte, aber auch stumme Bilder illustriert, die über Filmstreifen, einen Filmprojektor oder Dias zu uns kamen.

Ein Teil der Sendungen betraf Musik für unsere musikalische Ausbildung. Dieser Teil wurde systematisch ausgebaut, vor allem nach dem Krieg, als das Radio mehrere Stunden lang sendete. Darüber hinaus mussten die Hörer, in diesem Fall die Grundschüler, über alle möglichen Themen unterrichtet werden. Abgesehen vom Ton geschah dies schon damals mit Bildern. Neben der Sendung und den bereits erwähnten Illustrationen des Schulradios gab es oft Begleitbroschüren, die an die Schulen geschickt wurden, um die Schüler darauf aufmerksam zu machen, so dass man auch nach der Sendung auf die behandelten Themen zurückkommen konnte. Und als Zusatznutzen wurden zahlreiche Schulfolien verwendet, um die Themen zu projizieren. Wenn es eine Sendung über die Entdeckung Amerikas durch Kolumbus und seine Anhänger gab, wurde das Klassenzimmer von Le Roux immer mit einer Schultafel geschmückt, die Kolumbus zusammen mit der einheimischen Bevölkerung zeigte.



Natürlich wurde auch die Bedeutung des katholischen Lebens in den Sondersendungen von KRO für das Schulradio nicht vergessen. Der Film über das Leben der Missionare und die kleinen Neger, die sie “gerettet” haben, wird nicht nur mich beeindruckt haben. Natürlich mit dem ausdrücklichen Wunsch, das Silberpapier für sie zu retten. Damals hat man sich nicht gefragt, warum die Leute unbedingt Silberpapier haben wollten. Nein, man vertraute dem Boten blind. Erst im Nachhinein habe ich verstanden, worum es ging. Das Silberpapier konnte recycelt werden. Das Silberpapier enthielt Stanniol, ein sehr dünnes gewalztes Zinn. Und das brachte Geld ein. Es handelte sich zwar nicht um große Summen, aber es hatte einen gewissen Wert, und damals half jedes bisschen. Man fand es in den damaligen Zigarettenschachteln, eingewickelt in Schokolade und Pralinen, aber auch ein-gearbeitet in die Deckel von Milchflaschen. Die silberne Farbe hatte auch einen “symbolischen Wert”, wie manche sagten. Mit dem Erlös aus dem Recycling konnte der Missionar, für den es gesammelt worden war, wieder das tun, was für eine gute Sache notwendig war: die Bewohner des Bezirks eines bestimmten Landes, in dem er tätig war, bekehren.

Dem Schulradio ist es gut gelungen, das Interesse aufrechtzuerhalten. Zumindest auf mich wirkten die vermittelten Informationen immer sehr ansprechend. Das lag nicht nur an den Themen. Wir, die Schüler, fanden meist alles gleichermaßen interessant. Das lag auch an der Präsentation, die sich bewusst direkt an den einzelnen Hörer richtete. Es war, als ob sich die Redner in der Sendung direkt an “Sie” wandten, als ob Sie der einzige Zuhörer wären; es wurden direkte und ansprechende und vor allem lebendige Themen diskutiert. Auch die Programmmacher waren sich der Zielgruppe, die sie vor sich hatten, bewusst.


Hans Knot

Fortsetzung im RADIOJournal Doppelheft 5-6/2024