Fotos: © Archiv Hans Knot
100 Jahre Radio (Teil 21-2) -
Schulradio in den 1950er Jahren
Das ist alles nicht verwunderlich. Bei den um 1950 Geborenen
hinterließ das Radio einen anderen und tieferen Eindruck als bei
späteren Generationen. Viele Babyboomer verbrachten einen Großteil
ihrer Kindheit, ohne dass die Familie, in der sie aufwuchsen, einen
Fernseher besaß. Natürlich entwickelte sich dieses neue Medium
Anfang der 1950er Jahre ein wenig, aber der Empfang von
Fernsehsignalen war anfangs begrenzt, und außerdem hatten in jener
Nachkriegszeit nur wenige Familien die finanziellen Möglichkeiten,
sich einen Fernsehkasten zu leisten. Das Radio spielte die Rolle,
die später das Fernsehen bekam, als gemütlicher Treffpunkt des
Familienlebens. Und etwas davon blieb in ihrer Wahrnehmung des
Radios erhalten.
In den 1950er Jahren, mit dem Aufkommen der Jugendkultur, bekam das
Radio zudem eine besondere Bedeutung für junge Menschen. Mit Hilfe
des Geräts entwickelten die Jugendlichen damals auch ihre eigenen
musikalischen Vorlieben, die von bestimmten Sendern geprägt wurden.
In diesem Zusammenhang werden oft die Programme von Radio Luxemburg
und dem American Forces Network genannt, die die jugendliche
Faszination für das Radio prägten. Über diese Radiosender konnte man
auf Mittelwelle Lieder hören, die im niederländischen Radio gar
nicht oder nur äußerst selten gesendet wurden. Es gibt jedoch eine
frühere reale Form der Radioerfahrung für diese Altersgruppe, die
wir aus historischer Sicht nicht ignorieren können. Das Schulradio
war in der damaligen Grundschule ein fester Bestandteil des
Unterrichts. Die ersten Vorkriegssendungen hatten noch
experimentellen Charakter und auch die Begeisterung der Schulen
schien zunächst gering zu sein. Die KRO beschränkte sich auf etwa
sechs Versuchssendungen - mit den vielsagenden Themen “Verschont die
Vögel”, “Aus der Zeit unserer verborgenen Kirchen”, “Etwas über den
Anbau von Pflanzen und Blumen”, “Eine Reise durch Italien”,
“Napoleon” und “Ein Gespräch über Norwegen” - die ab dem 19.
November 1929 gesendet wurden. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die
Abschottung innerhalb des Schulradios etwas aufgehoben. Ab 1948
strahlten KRO, NCRV, AVRO und VARA regelmäßig gemeinsame
Schulradiosendungen aus. Und von da an wuchs auch die Akzeptanz
rasch.
Allerdings gab jeder Sender dem Inhalt der Sendungen weiterhin seine
eigene Farbe. Bei dieser frühen Form des Schulradios handelte es
sich um eine Art Vortragszyklus, der darauf abzielte, bereits
vorhandenes Wissen zu einem oder mehreren Themen an verschiedene
Bevölkerungsgruppen in jungen Jahren zu vermitteln. Ganz im Sinne
der pädagogischen Ideale der Zeit ging die Zielsetzung über die
reine Wissensvermittlung hinaus. Die Wissensvermittlung war
eingebettet in eine umfassendere Idee der Volksbildung und
-aufklärung, die nicht nur auf die reine Wissensvermittlung
abzielte, sondern auch stark auf die Charakterbildung ausgerichtet
war. Die Programme sollten zur Persönlichkeitsbildung und zur
Förderung der sozialen Entwicklung des Einzelnen beitragen.
Wie sah es in einer Schule aus, wenn man Schulradio hörte? In
Gedanken versetze ich mich zurück in die 1950er Jahre und in meine
eigene Grundschule, St. Ludgerdus, die neben der Mariaschule in der
Tuinbouwdwarsstraat in Groningen liegt. Es war eine ziemlich strenge
katholische Gesamtschule, in der Mädchen und Jungen strikt getrennt
waren. Hinter dem Schulhof befand sich der Klostergarten, der unter
anderem zur Rückseite der Herz-Jesu-Kirche führte. Regelmäßig wurden
wir in einer engen Reihe zu den Schulgottesdiensten und zur
wöchentlichen Beichte in diese Kirche geführt. Und einmal in der
Woche, nach dem Schulviertel am Vormittag, wurden wir, wieder in
einer Reihe, in das obere Klassenzimmer auf der rechten Seite im
zweiten Stock geführt. In diesem Raum, der größer war als die
durchschnittlichen Klassenräume im Gebäude, gab es Platz und
Gelegenheit, gespannt dem Schulradio zu lauschen.
Wie der Name schon sagt, war die St.-Ludgerdus-Schule eine
katholische Schule, und es liegt daher auf der Hand, dass vor allem
die Sendungen, die im Radio unter dem Deckmantel KRO zu hören waren,
die Aufmerksamkeit unseres Schulleiters, Herrn Le Roux, hatten. Der
Mann genoss enormen Respekt, und man nahm es sich heraus, gegen ihn
zu rebellieren. Also gingen wir treu in sein Klassenzimmer, um das
Schulradio zu erleben. Im Nachhinein betrachtet war das alles
ziemlich clever. Die Sendungen wurden von der PTT per
Drahtübertragung geliefert. Außerdem wurde eine Sendung oft durch
bewegte, aber auch stumme Bilder illustriert, die über Filmstreifen,
einen Filmprojektor oder Dias zu uns kamen.
Ein Teil der Sendungen betraf Musik für unsere musikalische
Ausbildung. Dieser Teil wurde systematisch ausgebaut, vor allem nach
dem Krieg, als das Radio mehrere Stunden lang sendete. Darüber
hinaus mussten die Hörer, in diesem Fall die Grundschüler, über alle
möglichen Themen unterrichtet werden. Abgesehen vom Ton geschah dies
schon damals mit Bildern. Neben der Sendung und den bereits
erwähnten Illustrationen des Schulradios gab es oft
Begleitbroschüren, die an die Schulen geschickt wurden, um die
Schüler darauf aufmerksam zu machen, so dass man auch nach der
Sendung auf die behandelten Themen zurückkommen konnte. Und als
Zusatznutzen wurden zahlreiche Schulfolien verwendet, um die Themen
zu projizieren. Wenn es eine Sendung über die Entdeckung Amerikas
durch Kolumbus und seine Anhänger gab, wurde das Klassenzimmer von
Le Roux immer mit einer Schultafel geschmückt, die Kolumbus zusammen
mit der einheimischen Bevölkerung zeigte.
Natürlich wurde auch die Bedeutung des katholischen Lebens in den
Sondersendungen von KRO für das Schulradio nicht vergessen. Der Film
über das Leben der Missionare und die kleinen Neger, die sie
“gerettet” haben, wird nicht nur mich beeindruckt haben. Natürlich
mit dem ausdrücklichen Wunsch, das Silberpapier für sie zu retten.
Damals hat man sich nicht gefragt, warum die Leute unbedingt
Silberpapier haben wollten. Nein, man vertraute dem Boten blind.
Erst im Nachhinein habe ich verstanden, worum es ging. Das
Silberpapier konnte recycelt werden. Das Silberpapier enthielt
Stanniol, ein sehr dünnes gewalztes Zinn. Und das brachte Geld ein.
Es handelte sich zwar nicht um große Summen, aber es hatte einen
gewissen Wert, und damals half jedes bisschen. Man fand es in den
damaligen Zigarettenschachteln, eingewickelt in Schokolade und
Pralinen, aber auch ein-gearbeitet in die Deckel von Milchflaschen.
Die silberne Farbe hatte auch einen “symbolischen Wert”, wie manche
sagten. Mit dem Erlös aus dem Recycling konnte der Missionar, für
den es gesammelt worden war, wieder das tun, was für eine gute Sache
notwendig war: die Bewohner des Bezirks eines bestimmten Landes, in
dem er tätig war, bekehren.
Dem Schulradio ist es gut gelungen, das Interesse
aufrechtzuerhalten. Zumindest auf mich wirkten die vermittelten
Informationen immer sehr ansprechend. Das lag nicht nur an den
Themen. Wir, die Schüler, fanden meist alles gleichermaßen
interessant. Das lag auch an der Präsentation, die sich bewusst
direkt an den einzelnen Hörer richtete. Es war, als ob sich die
Redner in der Sendung direkt an “Sie” wandten, als ob Sie der
einzige Zuhörer wären; es wurden direkte und ansprechende und vor
allem lebendige Themen diskutiert. Auch die Programmmacher waren
sich der Zielgruppe, die sie vor sich hatten, bewusst.
Hans Knot
Fortsetzung im RADIOJournal Doppelheft 5-6/2024