Die
Voice of Peace (Teil 11)
Tony Allan und die Voice of Peace - Zweiter Teil
von Hans Knot
In jenen Tagen tauchte das Friedensschiff
erneut in der niederländischen Presse auf. Um möglichst schnell in
den Nahen Osten weiterfahren zu können, hatte sich Abie Nathan eine
neue Idee zum Spendensammeln einfallen lassen. Dieses Mal war es
nicht der Verkauf seiner privaten Bildersammlung, wie zuvor in
Amsterdam und New York. Nein, es war ein ganz anderer, spezieller
Weg des Fundraising. Hier ist, was der inzwischen verstorbene Tony
Allen dazu zu sagen hatte: „Während des dreiwöchigen Aufenthalts in
Marseille mussten wir erneut Geld beschaffen. Wir waren darin
ziemlich erfolgreich: Sowohl der neue Kapitän François Bonzon als
auch Abie sind richtige Aufreißertypen. Also überredeten sie die
Prostituierten von Marseille, die Einnahmen einer Nacht an das
Friedensschiff zu spenden. Und die Mädchen gaben uns tatsächlich
jeweils das Geld einer Nacht! Wir stachen bald darauf in See, legten
einen kurzen Stopp in Sizilien ein, um einige von François' Freunde
zu treffen, und fuhren dann weiter in Richtung Naher Osten. Wir
erreichten das Ziel um den 8. Mai 1973 und ankerten direkt vor Tel
Aviv. Ursprünglich wollten wir nach Zypern, aber es herrschte damals
eine sehr komplizierte Situation auf der Insel. Die Unruhen zwischen
den Volksgruppen hatten zwar noch nicht begonnen, aber es gab
bereits deutliche Anzeichen von Problemen, in die wir nicht
hineingezogen werden wollten. Als wir uns Tel Aviv näherten, rief
Abie über das Schiffstelefon alle seine Freunde und Bekannte an. Sie
wussten also, dass wir kommen würden. Einen Tag vor unserer Ankunft
hieß es im israelischen Hörfunk: 'Abie Nathans Friedensschiff
kommt.' Fernsehsender aus aller Welt schauten vorbei, um über unser
Eintreffen zu berichten."
Mit dem ersten Sendetag vor der Küste bei Tel Aviv strahlte die Voice of Peace Programme in verschiedenen
Sprachen aus, erinnerte sich Tony Allan: „Wir spielten permanent 'Give
Peace a Chance' von John Lennon & Yoko Ono. Hauptsächlich lief
westliche Musik – besonders Lieder aus Frankreich, weil in praktisch
allen arabischen Ländern Französisch gesprochen wird. Der Sendetag
begann um Mittag und dauerte bis zwei Uhr in der Nacht. Von 12 bis
18 Uhr lief Rock’n’Roll. Danach gestaltete ich eine knappe Stunde
mit klassischer Musik. Naja, eigentlich nur von 18 Uhr bis zum
Sonnenuntergang, also 40 bis 50 Minuten lang. Drei Minuten bevor die
Sonne unterging kam das Element ‚The Sunset’: Das war eine
Live-Schalte von der Brücke, während der wir quasi die Sonne
untergehen ließen. Wir sagten: ‚Was immer Sie gerade tun, halten Sie
inne, blicken Sie nach Westen und beobachten Sie die faszinierendste
kostenlose Show der Welt: den Sonnenuntergang. Egal ob Sie in Kairo
sind oder in Alexandria, ob Sie in Jerusalem sind, in Tel Aviv oder
in Beirut, auf Zypern oder in Athen – denken Sie einfach an all die
anderen Menschen, die an den vielen anderen Orten genau das gleiche
tun wie Sie!’ Und dann ging die Sonne unter, und wir spielten den
‚Love and Peace Gig’, also Songs über Love und Peace, zwei Stunden
lang bis 21 Uhr. Dann kam eine Stunde in arabischer Sprache – wir
hatten einen arabischen Jungen, der diese Sendung für uns übernahm –
und von 22 bis 23 Uhr eine Stunde auf Hebräisch."
Abie Nathan moderierte die
hebräischsprachige Sendung selbst, während Tony die Studiotechnik
bediente. Zwischen 23 Uhr und dem Sendeschluss wurde wieder
Rockmusik gespielt, wobei die Musikauswahl nach Mitternacht etwas
softer wurde. Abie präsentierte auch diese restlichen Stunden auf
Englisch. Er mochte das sehr gerne. Neben Tony war noch ein zweiter
englischer Muttersprachler an Bord: „Der andere Moderator war ein
Amerikaner, der in einem Kibbuz lebte und einfach vorbeigekommen
war, um uns eine Weile zu helfen. Er hieß David. An seinen Nachnamen
kann ich mich nicht erinnern, da wir uns immer nur mit Vornamen
angeredet haben. Abie Nathan flippte immer aus, weil ich nackt
badete. Ich meine, ich trage keinen Schlafanzug. Wenn ich aufwachte,
kletterte ich aus dem Bett, ging so wie ich war nach oben an Deck,
sprang an der Seite des Schiffes über Bord und schwamm ein wenig.
Macht echt viel Spaß! Aber Abie wollte das nicht. Er meinte immer:
‚Zieh Dir doch eine Badehose an!’ Um uns herum fuhren immer die
Kanonenboote der israelischen Marine. Diese jungen Soldaten im Alter
von vielleicht 19, 20, 21 Jahren rissen sich darum, mit den Booten
an das Friedensschiff heran zu fahren. Sie besuchten uns, brachten
Orangen und andere Sachen. Abie meinte, es sei nicht angebracht, all
diese jungen Leute um uns herum zu haben, während ich nackt im
Mittelmeer schwimme. Einmal hatten wir gleich 20 Kids auf einmal an
Bord. Es war fantastisch! Sie kamen einfach vorbei, halfen uns,
erledigten Malerarbeiten am Schiff oder lagen in der Sonne. Abends
zwischen sieben und neun gingen sie mit ins Studio. Wir schalteten
die Mikros an und die Jugendlichen quatschten einfach drauf los. Es
waren Araber von der Westbank und Israelis, die an ein und demselben
Tisch saßen und erzählten. Genau so sind wir an die Sache
herangegangen: Wir ließen die Leute diskutieren, und sie hatten
großartige Ideen. Auch alle berühmten Popstars aus Israel waren an
Bord, saßen an diesem Tisch im Studio und unterhielten sich darüber,
wie die Auseinandersetzungen gestoppt werden könnten. Wir DJs
mischten uns nicht in diese Gespräche ein. Abie leitete sie
meistens. Ich sprang nur ein paar Mal ein, wenn der Talk auf
Englisch geführt wurde. Das war immer gut – und Spaß hat es auch
gemacht."
Tony Allan sprach unter anderem noch über
das Empfangsgebiet des Seesenders außerhalb der Region: „Wir
erhielten Berichte aus Indien, einige aus Russland. Irgend jemand
fischte unser Signal in der Zentralafrikanischen Republik aus dem
Äther, und einmal kam ein Bericht aus Südafrika. Wir besaßen auch
ein Versorgungsboot, das aus Aschdod herüber kam. Wir hatten es
selbst gekauft und nutzten es im Grunde jeden Tag. Die Überfahrt
dauerte nur 45 Minuten. Einmal hatte das kleine Boot einen
besonderen Einsatz, als wir das Friedensschiff in den Hafen bringen
mussten, um neue Ölvorräte anzulegen. Als wir aus New York über den
Atlantik kamen, hatten wir mehrere Extra-Öltanks am Rumpf
angebracht. Wir hatten genug Vorräte für die Überfahrt und für
weitere acht Monate – wir waren beinahe eine schwimmende
Ölplattform! Am 12. September legten wir einen Tag Sendepause ein
und fuhren mit der MV Peace in den Hafen von Aschdod. Nun war Abie
Reserveoffizier der israelischen Armee, und wir befürchteten, dass
er vielleicht eingezogen wird, wenn er in Aschdod an Land geht. Also
ankerten wir das Versorgungsboot auf hoher See und ließen Abie als
einzigen dort zurück, während wir mit dem großen Schiff zur Küste
fuhren. Ich hatte lauter Vorräte für Abie gepackt, einen
monstergroßen Korb voll mit leckeren Sachen. Leider vergaßen wir,
ihm die Vorräte zu geben, so dass er ziemlich aufgeschmissen war.
Ihm gingen sogar die Zigaretten aus! Wir inszenierten einen
richtigen Propagandacoup daraus: Immerhin konnten uns die Behörden
nicht inhaftieren oder aufhalten, weil Abie allein auf dem Meer war.
Die Behörden waren dann auch sehr höflich, hilfsbereit und
behandelten uns freundlich. Nun, ich ging an Land und flog nach
Hause. Die anderen verließen Aschdod und fuhren entlang der
libanesischen Küste in den Hafen von Beirut. Es war das erste Mal in
25 Jahren, dass ein Schiff von einem israelischen zu einem
arabischen Hafen fuhr. Kurz darauf, am 6. Oktober, brach der
Jom-Kippur-Krieg aus. Die Voice of Peace blieb während des Krieges
auf Sendung, verschwand anschließend aber aus dem Äther."
Übersetzung ins Deutsche: Thomas Völkner
Aus RADIOJournal 1/2009