Die Voice of Peace (Teil 03)
Wer ist Abi Nathan? - Dritter Teil
von Noam Tal
Inzwischen rückte der Krieg, der unter dem Namen "Sechstagekrieg" bekannt werden sollte, immer näher. Niemand wollte die Friedensappelle hören. Entgegen allen Erwartungen ging Israel als Sieger aus dem Krieg hervor. Das Land eroberte viele Gebiete, unter anderem den Gaza-Streifen. Als der Sechstagekrieg zu Ende war, mietete Abie Fahrzeuge von Eisverkäufern, fuhr in die Flüchtlingslager und verteilte Eiscreme an die Kinder. Einige Monate später flog er zum zweiten Mal nach Ägypten. Im Gepäck hatte er einen persönlich formulierten Friedensvertrag. Abie wurde wiederum verhaftet und nach Israel deportiert. Im Januar 1968 kündigte er öffentlich die Gründung eines Radiosenders an, der von einem Schiff im Mittelmeer aus den Frieden propagieren solle. Um dieses Ziel zu erreichen, begann er damit, seinen Privatbesitz zu verkaufen. Im März desselben Jahres wurde er zur Zahlung von 1400 Israelischen Pfund für den illegalen Grenzübertritt nach Ägypten verurteilt. Aus Prinzip zahlte Abie die Summe nicht an die Gerichtskasse, sondern wanderte für 40 Tage ins Gefängnis. Die 1400 Pfund spendete er an ein Krankenhaus in Israel.
Dann waren die ersten Gerüchte über eine humanitäre Katastrophe
in Biafra zu hören. [Biafra war Ende der 60er Jahre kurzzeitig von
Nigeria unabhängig. Bedingt durch den mehrjährigen Bürgerkrieg
entstand eine große Hungersnot. Anmerkung des Übersetzers.]
Kurzentschlossen gründete Abie am 21. Juni 1968 den "Fund For
Biafra's Children". Diese Stiftung war formell israelisch, ein
Großteil der Aktivitäten wurde jedoch in den Niederlanden
koordiniert. Abie erwarb Nahrungsmittel und Milchpulver und
transportierte alles nach Biafra. Nach seiner Rückkehr organisierte
er eine Demonstration vor der Knesset, dem israelischen Parlament,
bei welcher er die Gleichgültigkeit gegenüber diesem Völkermord in
Westafrika anprangerte. Der Protest zeigte Wirkung: Am 22. August
1968 mietete er aus Finanzmitteln des Staates Israel ein
DC8-Flugzeug an, um Hilfsgüter nach Biafra zu bringen. Auf dem
Rückweg flog er dem Hungertod nahe Kinder in die Niederlande aus,
damit ihnen dort medizinische Hilfe gewährt werden konnte. In New
York sammelte er Geld für die Kinder aus Biafra. Mit Hilfe der
jüdischen Organisation B'nai B'rith kam eine halbe Million US-Dollar
zusammen. So war Abie in der Lage, insgesamt sieben Mal im Auftrag
des jüdischen Volkes nach Westafrika zu fliegen und Hilfe zu
leisten. In einem Interview sagte er, dass die Juden, die den
Holocaust durchlitten haben, sensibler als alle anderen Völker
reagieren und den Opfern von Krieg und Naturkatastrophen helfen
müssten. Am 22. Dezember 1968 mietete er in den Niederlanden das
Schiff Pora, belud es mit 550 Tonnen Proviant und fuhr damit in die
Vereinigten Staaten, wo weitere Vorräte erworben und von
freiwilligen Helfern verladen wurden. Dann brachte er die Güter nach
Biafra. Die niederländische Regierung und die Menschen des Landes
trugen einen nennenswerten Teil der anfallenden Kosten dieser
humanitären Aktion. Die Zeitungen "Inquirer" und "Harold Tribune"
veröffentlichten Sonderberichte über die Aktivitäten.
Gleich nach dem Ende der Biafra-Operation begann Abie Nathan mit
den Arbeiten an der Gründung seines Radiosenders. Am 11. Juni 1969
kaufte er das holländische Schiff CITO mithilfe von Spendengeldern,
die er in den Niederlanden gesammelt hatte. Zwei Monate darauf
segelte er mit einer Crew holländischer Seeleute nach New York. Um
das Schiff in einen schwimmenden Sender umbauen zu können, fehlten
Abie noch 170.000 US-Dollar, und er hoffte, diese Summe in den
Staaten zusammen zu bekommen. Doch die Realität machte ihm einen
Strich durch die Rechnung: Obwohl ihm viele Leute halfen, unter
anderem der berühmte Sänger Pete Seeger, reichten die Spenden nicht
aus.
Drei Jahre lang lebte Abie nun an Bord des Schiffes, das in New York City geankert hatte, und sammelte Geld für den Sender. Zu diesem Zweck gründete er ein internationales Komitee, dem er den Namen "Shalom Peace Corporation" gab. In seiner Biographie schrieb er, dies seien die schlimmsten Jahre seines Lebens gewesen. Er scheiterte an der Beschaffung des Geldes und musste all seinen Besitz verkaufen, um die Sendeanlage und die Studios bauen zu können. Abie berichtet von den kalten Wintern in New York, in denen er ohne Heizung auf dem Schiff ausharrte. Das Wasser gefror in den Leitungen und ließ sie platzen - und es kostete ein Vermögen, sie reparieren zu lassen. Darüber hinaus präsentierte ihm die New Yorker Stadtverwaltung die Rechnung mit der Hafensteuer und bedeutete ihm, er solle an einem weit entfernten Pier anlegen.
Die israelischen Medien schrieben derweil: "Der Mann mit den
Träumen ist dabei zu verlieren." Abie war der Verzweiflung nahe. Er
beschloss in einen Hungerstreik zu treten, um größere Aufmerksamkeit
auf das Friedensschiff zu lenken. Diese Aktion erbrachte schließlich
die Geldsumme, die er benötigte. Doch statt das Senderprojekt
voranzubringen, kam alles anders: Während das Schiff sich im
Dezember 1972 bereits anschickte, in den Mittleren Osten zu segeln,
wurde Nicaragua in Mittelamerika von einem Erdbeben getroffen. Abie
ging kurzentschlossen dorthin, um ein Flüchtlingscamp für die
Überlebenden zu bauen.
Im März 1973 fuhr das Radioschiff endlich in den Mittleren Osten. Viele hatten gedacht, dass ein so kleines Schiff mit einer derart großen Antenne den Atlantik niemals überqueren könne. Nach drei Tagen auf hoher See trat tatsächlich Wasser in den Maschinenraum ein, so dass man umdrehen und nach Bermuda segeln musste. Nachdem die nötigen Reparaturen ausgeführt waren, ging es über den Ozean nach Marcie in Frankreich. Dort stieß Kapitän François Bonzon zur Mannschaft um Abie. Der Kapitän heuerte eine Gruppe Seeleute an, und gemeinsam stachen sie dann in Richtung Israel in See.
Am 19. Mai 1973, fest verankert 25 Kilometer vor der israelischen
Küste, strahlte die Voice of Peace ihre erste Sendung aus... und
konnte im gesamten Mittleren Osten aufgenommen werden! Die
Ausstrahlungen bestanden in der Anfangszeit aus Musiksendungen und
Gesprächen über das aktuelle Geschehen. Die Programme stellten eine
Plattform für den Dialog über jedwedes Thema dar, wobei Wert gelegt
wurde auf eine angemessene Sprache und auf Gewaltlosigkeit. Als im
Oktober 1973 der Jom-Kippur-Krieg ausbrach, segelte Abie nach
Ägypten, ankerte vor Port Said und propagierte einen
Waffenstillstand sowie den Dialog zwischen den Kriegsparteien. Nach
Beendigung der Kämpfe ging es erst einmal zurück nach Marcie, da das
Schiff dringend repariert und weitere Spendengelder eingesammelt
werden mussten. Abie blieb anderthalb Jahre in Europa.
Am 3. Februar 1975 startete Abie in New York erneut einen Hungerstreik. Er protestierte damit gegen die Gewalt, die arabische Terroristen gegen die Juden in der israelischen Stadt Ma'alot anwandten, gegen die Bombardierung israelischer Flugzeuge im Libanon und gegen die Waffenlieferungen in den Mittleren Osten. Am 5. Juni 1975 bat Abie um Erlaubnis, den Suez-Kanal durchsegeln und so für den Frieden werben zu dürfen. Er durfte es nicht. Das Radioschiff kehrte auf eine Position nahe Tel Aviv zurück und nahm den Sendebetrieb wieder auf. Im September desselben Jahres segelte Abie in einem kleinen Boot, das voll beladen war mit Tausenden von Blumen, nach Ägypten und versuchte, bei Port Said an Land zu gehen. Das Vorhaben misslang: er wurde inhaftiert und ausgewiesen. Doch das hielt ihn nicht von weiteren humanitären Aktionen zurück: Im Januar 1976 stiftete Abie den Betrag von 200.000 Pfund aus den Erträgen der Voice of Peace mehreren Krankenhäusern in Israel und in Gaza. Am 12. Februar 1976 flog er nach Guatemala und half beim Wiederaufbau der Stadt Sanarate, die von einem Erdbeben zerstört worden war. Neben Nahrungsmitteln kaufte er 100.000 Schokoriegel und verteilte alles in 25 Dörfern, die von dem Beben betroffen waren. Mit Unterstützung von jüdischen Organisationen - unter anderem B'nai B'rith - erwarb er 95 Maschinen zur Herstellung von Bausteinen sowie Zementlaster und sonstige Ausrüstung. Damit gelang es, insgesamt 900 Gebäude wieder zu errichten. Mit den restlichen Geldern half man anderenorts in Guatemala.
Die Voice of Peace prosperierte derweil, und sämtliche Erträge
aus dem Werbezeitenverkauf flossen in Hilfsprojekte. Nach Angaben
einer britischen Fachzeitschrift hatte die VoP seinerzeit 23
Millionen Hörer im Mittleren Osten. Im Laufe des Jahres konnte Abie
Spielzeug an Kinder verteilen, die nach libanesischen Angriffen in
Lagern leben mussten. Darüber hinaus spendete er Sportausrüstung an
Gefängnisse und unterstützte kulturelle Veranstaltungen. Am 30. Juni
1976 flog er nach Entebbe, um sich für die Freilassung von Geiseln
einzusetzen. [Eine Maschine der Air France war von Tel Aviv aus
kommend von palästinensischen und RAF-Kämpfern nach Uganda entführt
worden. Die Geiselaffäre wurde von einer israelischen Spezialeinheit
gewaltsam beendet. Anmerkung des Übersetzers] Abie traf sich in
diesem zusammenhang sogar mit dem Diktator Idi Amin, wurde jedoch
von den israelischen Behörden zur Rückreise gedrängt. Ende 1976 bat
Abie den ägyptischen Präsidenten Anwar al-Sadat um Erlaubnis, den
Suez-Kanal zu durchfahren. Dieses Mal durfte er - im Januar 1977
segelte er durch den Kanal nach Eilat. An Bord hatte er Spielsachen
und Geschenke für Kinder. Im weiteren Verlauf des Jahres
organisierte er eine Veranstaltung, bei der Kriegsspielzeug zerstört
und durch pädagogisch wertvolle Spielsachen ersetzt wurde. Er
wiederholte diese Aktion mehrere Jahre lang, jeweils an seinem
Geburtstag.

Als das israelisch-ägyptische Friedensabkommen geschlossen wurde, organisierte der Radio- und Friedensaktivist eine Feier auf dem zentralen Platz von Tel Aviv und spendete 250.000 Pfund an Krankenhäuser in Kairo und Israel. Als er im Oktober 1979 vom Horror des Völkermordes der Roten Khmer in Kambodscha hörte, kaufte er in Bangkok Nahrungsmittel und ließ sie in den Dörfern entlang der thailändisch-kambodschanischen Grenze verteilen. Hierfür erhielt er auch Mittel von der Regierung der USA. Premierminister Menachem Begin wies die israelischen Repräsentanten in Thailand an, Abie zu unterstützen. Gemeinsam mit einer Gruppe von Ärzten unter der Leitung von Dr. Yaacov Adler konnte das erste Flüchtlingslager in Sagino errichtet werden. Die Nahrungsmittel kamen auf 30 LKW an, auf den groß "Frood from Israel" geschrieben stand. Im Krankenhaus des Camps wurden Zehntausende medizinisch betreut. Zu Beginn des Jahres 1980 wurde "Abie's Angels" gegründet, eine Freiwilligen-Organisation, die immer dort eingesetzt werden konnte, wo Not am Mann war. Im August des gleichen Jahres begann zusätzlich die Arbeit einer Stiftung für ältere Menschen, die Kleidung und Haushaltsgegenstände an Bedürftige verteilte. Am 27. Mai 1981 besorgte er Unterstützung für die Bewohner Nordisraels, die in Baracken lebten. Während des Krieges im Libanon schließlich flog Abie dorthin und organisierte Hilfe für die Flüchtlinge.
Im Jahre 1983 wurde Abie Nathan in den Stadtrat von Tel Aviv
gewählt. Er startete ein Projekt mit dem Namen "Ein warmer Winter
für die Älteren", mit dessen Hilfe er Heizöfen und Öl an die
betagten Bewohner von Jerusalem verteilte. Im Mai 1984 flog Abie
nach Moskau. Er startete den Versuch, Ida Nodel und andere jüdische
politische Gefangene aus sowjetischen Gefängnissen zu befreien. Er
traf sich anschließend im Auftrag von Nodel mit amerikanischen
Kongressabgeordneten. Im darauffolgenden November reiste er nach
Äthiopien und begann mit dem Sammeln von Geldbeträgen für die
Notleidenden. Sein Einsatz wurde vom Israelischen Fernsehen
dokumentiert. Es gelang ihm, einige Millionen US-Dollar zusammen zu
bekommen, so dass eine Gruppe Freiwilliger ein Zeltlager für 100.000
Flüchtlinge errichten konnte. Das Lager hatte Eliktrizität, ein
Hospital und weitere wichtige Einrichtungen. Das Projekt trug den
Namen "From Jerusalem With Love"; es war unglaublich erfolgreich.
Beim Treffen mit dem Präsidenten von Äthiopien brachte Abie das
Gespräch auf eine mögliche Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit
Israel und die Erlaubnis für äthiopische Juden, nach Israel
auszuwandern. Nach seiner Rückkehr begann er eine tägliche Sendung
auf der Voice of Peace, in der er mit den Hörern über
Alltagsprobleme diskutierte. Darüber hinaus startete er eine
Kampagne zur Installation von Sicherheitstüren in den Wohnungen
älterer Bürger in den ärmeren Stadtteilen von Tel Aviv.
Im November 1985 brach der Vulkan Nevado del Ruiz in Armero, der zweitgrößten Stadt im Verwaltungsgebiet Tolima in Kolumbien, aus. Bei dieser Naturkatastrophe verloren 23.000 Menschen ihr Leben. Wieder einmal sammelte Abie Hilfsgüter bei diversen jüdischen Organisationen, so dass er eine Fabrik errichten konnte, die eine Produktionskapazität von einer Million Bausteinen pro Monat hatte. Keine zwei Jahre später, 1987, plante er die Gründung eines Dorfen zur Drogen-Rehabilitation in Israel, genannt "The Village of Good Hope", und er schloss sich einer internationalen Anti-Drogen-Kampagne an. Im August 1987 reiste er gemeinsam mit einer Delegation israelischer Jugendlicher nach Polen, um NS-Konzentrationslager zu besuchen. Im Anschluss an diesen Besuch initiierte Abie gemeinsam mit "Yad Vashem", der israelischen Organisation, die sich der Dokumentation der Geschichte des jüdischen Volkes zur Zeit des Holocaust widmet, eine Aktion zum Gedächtnis an die Opfer des NS-Völkermordes an den Juden. Im Zuge dieser Kampagne ließ er sich die Gefangenennummer eines ermordeten KZ-Häftlings - B14887 - auf seinen Arm tätowieren.
Im September 1988 flog Abie Nathan nach Tunis und traf sich mit
Jassir Arafat, dem Vorsitzenden der Palästinensischen
Befreiungsorganisation (PLO). Er versuchte Arafat zu überzeugen,
sich vom Terrorismus abzuwenden und Verhandlungen mit Israel
aufzunehmen. Dieses Treffen sorgte für einen riesigen Aufschrei in
Israel, wo die PLO bis zu diesem Zeitpunkt ausschließlich als
terroristische Vereinigung betrachtet wurde. Nach dem großen
Erdbeben in Leninakan, Armenien, begann Abie im Februar 1989 mit der
Beschaffung von Nahrung und Kleidung für die Überlebenden. Zum
Transport der Hilfslieferung lief zum ersten Mal seit der
Unterbrechung der Beziehungen zwischen Israel und der Sowjetunion
nach dem Sechstagekrieg ein russisches Schiff in einen israelischen
Hafen ein. Im Oktober wurde Abie aufgrund seiner Treffen mit
PLO-Repräsentanten zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt - und
gleich nach dem Ende seiner Gefängnisstrafe nahm er diese
öffentlichen Kontakte wieder auf. Während des gesamten Jahres 1990
traf er sich in aller Welt mit hochgestellten Persönlichkeiten.
Dabei rief er die PLO auf, dem Terrorismus abzuschwören, und Israel,
die palästinensichen Repräsentanten anzuerkennen und mit
Verhandlungen zu beginnen.
Während des ersten Golfkrieges 1991 erwarb Abie Nahrungsmittel
und 50.000 Flaschen Mineralwasser und ließ alles unter den
kurdischen Flüchtlingen im Nordirak, die aus Angst vor Saddam
Hussein in die Berge geflohen waren, verteilen. Diese Aktion wurde
mit Unterstützung der US-Luftwaffe durchgeführt. Im Mai desselben
Jahres startete er einen weiteren Hungerstreik, um gegen das Gesetz
zu protestieren, welches Kontakte mit PLO-Repräsentanten unter
Strafe stellte. Abies Kampf sorgte in der israelischen Gesellschaft
für Unruhe, besonders weil viele Politiker der Linken sich bereits
heimlich mit Vertretern der PLO trafen. Nur Abie, der in aller
Öffentlichkeit mit den PLO-Leuten zusammenkam, wurde verurteilt -
dieses Mal zu einer Gefängnisstrafe von 18 Monaten. Während seiner
Inhaftierung fand die Madrider Friedenskonferenz statt, zu der sich
israelische und arabische Führer im Lichte der Weltöffentlichkeit
zusammensetzten. Mehr und mehr Stimmen wurden laut - im In- und
Ausland - und forderten seine Freilassung. Hierzu zählten
internationale Organisationen wie Amnesty International, aber auch
rechtsgerichtete Persönlichkeiten, die ansonsten Abies Aktionen
ablehnten, sagten, dass dem Friedensaktivisten Unrecht getan worden
sei. Abie lehnte es ab, ein Gnadengesuch einzureichen. Nach 173
Tagen Gefängnis ordnete der damalige Präsident Chaim Herzog an,
Abie aus der Haft zu entlassen.
Kaum wieder in Freiheit, setzte dieser seine humanitäre Hilfe fort. Er organisierte einen "Spaß-Tag" im Safari-Park von Ramat Gan, zu dem er Großeltern, Eltern und Kinder aus unterprivilegierten Wohngegenden einlud. Am 25. August 1992 flog er nach Somalia, um bei der Bewältigung der Flüchtlingskatastrophe zu helfen. Er sammelte über eine Million US-Dollar, so dass ein Lager für 35.000 Flüchtlinge in der kenianischen Stadt Ruiru errichtet werden konnte.
Obwohl Abie von der israelischen Regierung nicht offiziell
eingeladen wurde, der Unterzeichnung des Friedensabkommens mit den
Palästinensern in Oslo im September 1993 beizuwohnen, nahm er als
Gast an der Zeremonie teil. Gegen Ende des Jahres traf er
schließlich die Entscheidung, die Ausstrahlungen der Voice of Peace
zu beenden. Finanzielle Schwierigkeiten belasteten die Weiterführung
des Sendebetriebes. Auch ein Vorschlag des Bürgermeisters von Tel
Aviv, das Radioschiff in ein Museum umzuwandeln, verlief im Sande.
Ein arg verstimmter Abie wollte nicht länger warten und beschloss,
das Schiff zu versenken.
Der letzte Musiktitel, der in den Äther ging, war Pete Seegers Song "We Shall Overcome", den Abie als eine Art persönliche Hymne betrachtete. Zwei Monate nach der Abschiedssendung wurde das Schiff vor der Küste Israels versenkt. Abie, der jahrelang aus Protest gegen die Schrecken von Gewalt und Besatzung in Schwarz gekleidet war, begann nun Alltagskleidung zu tragen. Doch auch ohne sein Sendeschiff setzte er seine verschiedenen Hilfsaktionen fort. In den Jahren 1994 bis 1996 gründete er Flüchtlingslager in Zaire und Ruanda, führte Wohlfahrtsaktivitäten in Israel und anderen Ländern durch, nahm an Friedensforen teil und beriet internationale Organisationen in Fragen der Flüchtlingshilfe.
Am 6. August 1996 beschloss Abie, sich eine Auszeit zu gönnen. Er
reiste nach Washington und wollte das folgende Jahr unter anderem
nutzen, um seine Erinnerungen zu Papier zu bringen. Aber nur einen
Monat nach seiner Ankunft in den USA erlitt er einen Schlaganfall
und wurde zur Behandlung nach Israel gebracht. Nach langen Monaten
der Wiederherstellung seiner Gesundheit zog er in eine Mietwohnung
in Tel Aviv. Dort ist er auf einen Rollstuhl angewiesen und wird von
Rada, die schon zu Zeiten des Friedensschiffes seine treue
Assistentin war, unterstützt. Abie setzte die Niederschrift seiner
Autobiographie fort, wobei ihm der israelische Autor Yoram Rosler
half. Das Buch erschien 1997 in hebräischer Sprache.
Trotz seiner gesundheitlichen Situation nahm Abie weiterhin an öffentlichen Veranstaltungen teil. Sein übrig gebliebenes Geld investierte er in die Verteilung von Nahrungsmitteln an hungernde Menschen in Bulgarien. Am 26. September 1997 erhielt er den internationalen Menschenrechtspreis der Stadt Nürnberg und gab das Preisgeld an israelische Behindertenvereinigungen. Nach einem weiteren Schlaganfall verschlechterte sich sein Gesundheitszustand und sein Sprechvermögen. Schließlich flog er im Februar 2000 nach Bangalore in Indien, um sich ärztlicher Behandlung zu unterziehen.
Kurze Zeit nach seiner Rückkehr zog er in ein Tel Aviver Altenheim. Am 24. März 2005 erhielt Abie vom Kommandeur der israelischen Luftwaffe als Zeichen der Dankbarkeit für seinen lebenslangen Einsatz das goldene Pilotenabzeichen verliehen. Zuvor bereits hatte der Filmemacher Eytan Harris mit den Dreharbeiten für einen Dokumentarfilm über Abies Leben begonnen. Die Premiere des Filmes "Abie Nathan As The Sun Sets" fand am 9. Juli 2005 anlässlich des Filmfestivals von Jerusalem statt. Weitere Aufführungen gab es in Tel Aviv, und danach wurde der Film im israelischen Fernsehen gezeigt.
Am 18. Mai 2007 ehrte die Stadt Tel Aviv Abie Nathan mit der
Anbringung einer Gedenkplakette an der Standpromenade, rund fünf
Meilen vom früheren Ankerplatz des Friedensschiffes entfernt.
Gegenwärtig ist eine Gruppe von Freunden damit beschäftigt, ein
Museum zu errichten. Außerdem soll ein Zentrum für Freiwillige
gegründet werden, welches nach Abie Nathan benannt werden soll.
Übersetzung aus dem Hebräischen ins Englische:
Gil Rechtman
Übersetzung ins Deutsche:
Thomas Völkner
Aus RADIOJournal 11/2007