Die Voice of Peace (Teil 09)
Ein Ingenieur der ersten Stunde
von Ed Simeone
Es ist jetzt 30 Jahre [2003] her, dass die Dinge, die hier beschrieben werden, sich zugetragen haben. Ich merke, dass meine Erinnerung an Namen und Daten ein wenig eingerostet ist. Es tut mir leid, dass ich mich nicht an alle Personen erinnere, die diese unglaubliche Gruppe bildeten, die das Friedensschiff 1973 auf seiner Fahrt von New Jersey in den Mittleren Osten begleitete. Aber damit zu den Details, die mir noch gegenwärtig sind: Ich arbeitete in einem Musikladen im nördlichen Teil von New Jersey. Mein Cousin berichtete mir von einem Radioschiff, das am Hudson River von Anker lag und das jemanden suchte, der Erfahrungen mit elektrischen Anlagen hatte. Ich besuchte also das Peace Ship im Februar und war sofort sehr angetan von der Freundlichkeit der Mannschaft und von der Begeisterung, mit der sie sich für eine friedlichere Welt einsetzten. Das alles versprach ein großes Abenteuer zu werden. Ich unterschrieb den Arbeitsvertrag und erhielt innerhalb weniger Wochen die Seemannspapiere aus Panama - obwohl ich niemals eine ordentliche Prüfung bestanden hätte.
Wir hatten drei norwegische Crew-Mitglieder. Der Kapitän sowie der erste und zweite Ingenieur waren schon in Rente, verstärkten aber mit ihren Kenntnissen die Mannschaft. Eigentlich betrieb der Kapitän einen Tabakladen, während die Ingenieure - einer von ihnen hieß Ud - in einer KFZ-Werkstatt gearbeitet hatten. Der Erste Maat kam, ebenso wie einer der Discjockeys, aus Kanada ... aber hier fehlen mir schon die Namen. Vier von uns stammten aus New York: Roger (der schon einmal zur See gefahren war), Father Charles McTague (ein katholischer Priester), der Schiffskoch und ich. Beim Betrachten der alten Fotos taucht noch ein weiteres Gesicht auf, aber ich kann beim besten Willen nicht sagen, wer das war.
Father McTague (oder Father Charlie, wie wir ihn nannten) war im Alter von 16 Jahren von zu Hause weggegangen und fuhr zur See. Er war ein spätberufener Priester, hatte kein umsorgtes Leben geführt und war deshalb äußerst umgänglich. An Bord trug er niemals seinen Priesterkragen; er sah aus wie einer von uns. Wir hatten einen sehr versierten Matrosen von den Philippinen, der Pete hieß. Pete schwor Stein und Bein, dass er erst dann in seine Heimat zurückkehren würde, wenn Präsident Marcos abgesetzt ist. Aus heutiger Sicht macht es mich traurig, dass er weitere 13 Jahre warten musste, ehe er wieder nach Hause gehen konnte. Der leitende Sendetechniker kam aus Holland; sein Name war Bill Danse. Er hatte das Talent, einfach alles reparieren zu können, und er ließ den 25.000-Watt-Röhrensender von Collins brummen. Bill war einer meiner beruflichen Mentoren. Außerdem hatten wir einen britischen DJ namens Tony Allan, der schon viel moderiert hatte. Tony erzählte uns unzählige Storys von Seesendern, Stürmen im Ärmelkanal und die Tage von Radio Caroline und Veronica. Wir saßen dabei und hörten mit großen, staunenden Augen zu. Und dann war da natürlich Abie! Abie Nathan war eine einzigartige Mischung aus lautem Gepolter gepaart mit einem großen Herz. Heute würde man jemanden wie ihn vielleicht als "Rund-um-Manager" bezeichnen. Abie wollte alles tun! Manchmal fragte ich mich, ob er jemals schlief...
An die Reise erinnere ich mich gut. Wir segelten Mitte März aus dem Hafen von New York und rutschten gleich in einen Riesen-Sturm, der das alte Schiff beinahe in alle Einzelteile zerlegt hätte. Niemand hatte die langfristige Wettervorhersage gehört. Der Sturm war so stark, dass sogar große Kreuzfahrtschiffe auf der Route New York - Bermuda einen Tag Verspätung hatten. In den Tanks des Friedensschiffes, die normalerweise mit Wasser gefüllt sind, führten wir 65.000 Gallonen Diesel mit. Wir brauchten diese Unmenge: Wenn wir nämlich erst einmal den Sendebetrieb starteten, verletzten wir internationale Verträge und konnten daher nicht mehr in einen Hafen einlaufen. In dem starken Seegang wurden allerdings die Wasservorräte mit Diesel verschmutzt, der durch die alten Dichtungen sickerte und in die Frischwassertanks geriet.
Ich erinnere mich an den Anblick und den Gestank des Diesels, wie er ins Unterdeck lief. Mit wird heute noch übel, wenn mir ein solcher Geruch in die Nase steigt. Wir hatten zwar eine Ausrüstung zur Wasseraufbereitung an Bord, bei der jedoch ein wichtiger Bestandteil fehlte: der Öl-Abscheider. Der Treibstoff war mit Wasser und Brühe absolut verunreinigt, so dass unsere Deutz-Maschine ständig ausfiel. Die beiden Generatoren von Allis-Chalmers übrigens auch. Ohne Strom konnten wir kein Wasser aufbereiten, so dass wir Fruchtsäfte aus Dosen tranken. Gebadet habe ich auch nicht besonders oft ... Diesel verursacht einen gemeinen Hautausschlag.
Als Landratte war ich zunächst richtig seekrank und kroch kaum aus meiner Koje hervor. Wir waren ein paar Tage unterwegs, als jemand in meine Kabine kam und sagte, der Steuermann mache schon seit 24 Stunden Dienst und müsse abgelöst werden. Ich wankte zur Brücke, von dem hohen Wellengang eingeschüchtert. (Ich musste erst einmal nach draußen, um dorthin zu gelangen.) Im Führerstand angekommen, erfuhr ich, dass wir keine Radareinrichtung hatten und nicht wussten, wo wir waren. Wegen des schlechten Wetters konnten wir den Sextanten nicht verwenden. Naja, das war viele Jahre vor GPS! Bill ging auf die Notruffrequenz (2,182 MHz) und rief die US-Küstenwache. Die Küstenwächter ermittelten durch Triangulierung unsere Position, flogen über uns und gaben uns den genauen Standort durch. Dann beschloss der Kapitän, zwecks Reparaturarbeiten zu den Bermuda-Inseln zu fahren. Er brachte uns bis auf wenige Kilometer zu unserem Ziel - und zwar durch eine grobe Koppelnavigation. Keine schlechte Leistung ... besonders wenn man seine Vorliebe für destillierte Flüssigkeiten bedenkt.
Auf Bermuda wurde kein Öl-Abscheider an Bord gebracht, so dass unsere Probleme gleich nach der Weiterfahrt wieder auftraten. Hinzu kam, dass Abie uns verließ, um nach Europa zu fliegen. Wir segelten in Richtung Gibraltar und erreichten mit letzter Kraft die spanische Stadt Cadiz. Alles, was wir dort vorfanden, war ein Telegramm mit der Aufforderung, nach Malaga weiterzusegeln. Dann überschlugen sich die Ereignisse: Ohne Geld für weitere Ausbesserungen mussten wir los. Derweil wurde Abie von der Polizei in Madrid festgehalten. Wir schipperten ohne es zu wissen hinter General Francos Privatjacht her und folgten ihr bis in den Hafen von Malaga, wo er seinen Osterurlaub verbringen wollte. Er selbst war allerdings nicht an Bord. Super - irgendwelche Langhaarigen mit einem 50-Kilowatt-Sender verfolgen das Boot des Diktators! In Malaga wurden wir von Polizisten mit Maschinengewehren erwartet, die uns erlaubten, in die Stadt zu gehen. Sobald wir unterwegs waren, wurde der Kapitän aufgefordert, den Hafen schnellstens zu verlassen. Mit Hilfe von Father Charlie wurde die Crew innerhalb weniger Stunden zusammengetrommelt - keine einfache Aufgabe. In all der Eile rammten wir beinahe noch ein Kommunikationsschiff der US-Marine. Unsere Ingenieure waren nämlich sturzbesoffen und führten die Befehle des Kapitäns falsch aus.
Kurz nach unserer Abreise traf Abie in Malaga ein. Er bestach einen Fischer, um zu uns aufs Radioschiff zu gelangen. Dann riss eine Ankerkette und wir "hinkten" nach Marseille in Südfrankreich. Wir hatten kein Geld, keinen Rechtsvertreter und keine Vorstellung, was als nächstes zu tun war. Das Schiff benötigte dringend eine umfangreiche Reparatur, doch der Hafenmeister machte uns keine Hoffnungen auf Hilfe. Also ließ der Kapitän die Notflaggen hissen. Mit jeder weiteren Flagge wurde die Situation ernster: Ich habe Probleme beim Manövrieren - ich bin manövrierunfähig - Mann über Bord - ich benötige medizinische Hilfe - ich bin in einer Notlage - gefährliche Fracht - ich muss abgeschleppt werden. All diese Signale machte schließlich den Kapitän eines Bojen-Begleitboots auf uns aufmerksam: François Bonzon.
Unser eigentlicher Kapitän sowie die Ingenieure wurden von ihren Aufgaben entbunden und nach Hause geschickt, während wir zehn Tage auflagen. Wir erhielten mit Bonzon einen neuen Kapitän, neue Ingenieure und einen neuen französischen Schiffskoch. Nach einem weiteren Stopp in Sizilien kamen wir in Tel Aviv an. Neben meinem Job als Steuermann half ich Bill bei der Wartung der Sender. Meine Hauptaufgabe war jedoch, den Hammerlund-600-Kurzwellenempfänger zu betreiben, mit dem wir die Funkfernschreiben von UPS und Reuters abhören konnten. Wir nannten das "Aufreißen & Vorlesen". Abie verwendete diese Agentur-Nachrichten in seinen abendlichen Radio-Talks. Zuerst begann der Sendetag der Voice of Peace am späten Vormittag und dauerte bis um zehn Uhr am Abend. Einmal hatten wir die Idee, rund um die Uhr ein "All Beatles"-Wochenende einzulegen, um Spenden zu sammeln. Keine besonders intelligente Idee - aber es machte viel Spaß, die Station 24 Stunden am Stück zu betreiben. Nur Abie war zu bedauern: Er bekam beinahe einen Nervenzusammenbruch, weil er Angst hatte, dass jemand on air etwas politisch Inkorrektes sagen würde.
Einige Monate nach dem Sendebeginn verließ ich den Sender. Unsere Crew hatte bei der Atlantik-Überfahrt in dem alten Kahn das Leben riskiert. Es war natürlich sehr spannend, rund um die Welt zu fahren. Doch als die reguläre Arbeit begann, wurde es bald langweilig. Und wir machten diese Arbeit für gerade mal 100 Dollar im Monat. Im Juli hatte ich genug und zog in einen englischsprachigen Kibbuz in RoshPina. Nun ja, das ist eine sehr verkürzte Version der Reisebeschreibung. Ich könnte ein ganzes Drehbuch darüber schreiben! Aber vielleicht gefällt der Bericht auch so...
Übersetzung ins Deutsche: Thomas Völkner
Aus RADIOJournal 12/2008