Die Voice of Peace (Teil 07)
Abie Nathan und die Friedensarbeit -
Zweiter Teil
von Hans Knot
Wir machen einen Sprung in den November 1984: Abie Nathan führte ein großes israelisches Team auf dem ersten von insgesamt sieben Trips nach Äthiopien. Die Israelis errichteten drei Zeltstädte und schafften auf diese Weise Unterkünfte für 50.000 Flüchtlinge in den Dörfern von Harbo und Senbetti. Hinzu kam ein Zeltdorf für 5.000 Waisenkinder in Kobo. Abie sammelte hierfür 1,3 Millionen US-Dollar in Israel, unter jüdischen Gemeinden in den USA sowie vom US State Department.
Genau ein Jahr später führte Abie die erste große Anti-Apartheids-Demonstration an. Fast 2.000 Israelis protestierten auf dem zentralen Platz von Tel Aviv gegen die Politik Südafrikas, marschierten zwei Meilen zur Botschaft des Landes und übergaben ein Protestschreiben. Darüber hinaus riefen die Demonstranten die Regierung Israels auf, das Parlament - die Knesset - möge die Apartheidspolitik verurteilen und den israelischen Botschafter aus Südafrika abziehen.
Wiederum ein Jahr später bestiegen Abie und ein großes israelisches Team ein Flugzeug nach Kolumbien, um den Opfern des Vulkanausbruchs von Armero und des darauf folgenden Erdbebens zu helfen. Mit der Unterstützung der örtlichen jüdischen Gemeinde wurde eine Fabrik für Ziegelsteine errichtet. Auf diese Weise erhielten die überlebenden Bewohner Armeros wieder eine Arbeit: Sie stellten über 10.000 Steine pro Tag her, in der Summe rund zwei Millionen Stück, die kostenlos an die Menschen verteilt und zum Wiederaufbau der Stadt verwendet wurden. Die Gelder für diesen Hilfseinsatz stammten von Abie Nathan selbst sowie von den jüdischen Gemeinden in Kolumbien, den USA und Israel.
Und damit sind wir im Jahr 1989 angelangt. Sehr bald nach dem Erdbeben in Armenien organisierte Abie eine Rettungsaktion für die Opfer des Bebens. Zum ersten Mal in 25 Jahren ankerte ein in der Sowjetunion registriertes Schiff, die MV Vitya Novitsky, im israelischen Hafen von Ashdod. Es wurde mit 40 Tonnen Mehl und 40 Tonnen Kleidung beladen, wobei die nötigen Mittel teilweise von den US-Hilfswerken Joint Distribution Committee und World Jewish Service aufgebracht wurden. Zwischendurch rief Abie die Hörer der Voice of Peace auf, sie mögen keine Kleidung mehr spenden, sondern Geld, damit der Schiffstransport sichergestellt werden könne.
Zwischen 1982 und 1991 traf sich Abie Nathan mehrfach mit Jassir Arafat und zwei weiteren hochrangigen Mitgliedern der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO). Das Ziel war, die PLO und Israel zu direkten Gesprächen zu veranlassen. Daneben versuchte Abie die Freilassung von israelischen Piloten zu erreichen, die sich in den Händen der PLO befanden. Allerdings existierte ein Gesetz, das es Bürgern Israels verbot, sich mit Vertretern von Organisationen wie der PLO zu treffen. Folglich wurde Abie mehrfach zu Gefängnisstrafen verurteilt.
Was war im Zusammenhang mit diesen Treffen auf der Voice of Peace zu hören? Am Montag, dem 2. Oktober 1989, meldete sich um 15.53 Uhr Lokalzeit Kenny Page und kündigte eine wichtige Nachricht an. Dieser Hinweis wurde um 17.00 Uhr von Reuven wiederholt. Tatsächlich ging kurze Zeit später Abie Nathan on air und sprach rund zwanzig Minuten lang - wie immer auf Englisch und Hebräisch - über sein Treffen mit Arafat. Am nächsten Tag wurde er vor Gericht zitiert und für sechs Monate ins Gefängnis geschickt. Zuvor war er bereits einmal vier Monate lang in Haft wegen einer Zusammenkunft mit dem Feind.
Am 6. Oktober 1989 verkündete McLelland Hackney, alle Jungs an Bord liebten und respektierten Abie. Gegen 16.00 Uhr begann Kenny Pages Sendung, in der er den Mitschnitt eines Interviews brachte, das kurz nach der Verkündung des Strafmaßes aufgezeichnet wurde und auf dem Armeesender Galei Tzahal gelaufen war. Abie war darüber hinaus mehrfach im israelischen TV zu sehen; er war das Thema der Woche. Vor Antritt der Strafe wurden die Hörer der Voice of Peace aufgerufen, gemeinsam mit ihrem Helden ins Gefängnis zu gehen. Als es soweit war, nahm Abie ein paar Bücher mit, ferner sein Kopfkissen und sein "Pelephone", das israelische Mobiltelefon der ersten Generation, das er normalerweise im Auto dabei hatte und über das er in Kontakt mit dem Büro des Senders bleiben konnte.
Auch die niederländische Presse widmete sich dem Gerichtsbeschluss: "Ein Gericht in Ramieh in der Nähe von Tel Aviv hat beschlossen, dass Abie Nathan, der Gründer der Voice of Peace und ein Friedensaktivist, schuldig sei, verbotene Kontakte zu Angehörigen terroristischer Organisationen unterhalten zu haben. Nathan hatte mehrere Treffen im PLO-Hauptquartier in Tunis, wo er mit PLO-Führer Arafat und weiteren wichtigen Führern zusammen kam. Seit 1986 existiert ein besonderes Gesetz, aufgrund dessen es den Bürgern Israels verboten ist, Kontakte zu Organisationen wie der PLO zu unterhalten. Abie Nathan bestätigte während der Verhandlung, sich mehrfach mit Arafat getroffen zu haben und machte einen leidenschaftlichen Aufruf zur Aufnahme israelisch-palästinensischer Kontakte mit dem Ziel, Frieden zu schaffen. Nathan lehnte eine Absprache zwischen seinem Verteidiger und der Staatsanwaltschaft ab. Letztere hatte die Bereitschaft signalisiert, die Höchststrafe von drei Jahren Gefängnis in sechs Monate gemeinnützige Arbeit umzuwandeln, wenn der Beschuldigte seine Schuld eingesteht. Nathan teilte den Richtern mit, er täte jahrein, jahraus gemeinnützige Arbeit und wolle deshalb lieber ins Gefängnis gehen und auf diese Weise gegen ein illegales, barbarisches, antidemokratisches und schwachsinniges Gesetz protestieren."
Tel Aviv am 8. Dezember 1989: Der Parlamentarier Jossi Sarid besuchte Abie Nathan. Sarid sagte, er könne für eine Amnestie sorgen, wenn Abie vor laufenden Kameras eingestehe, die Gespräche mit der PLO seien ein Fehler gewesen. Natürlich lehnte Abie dieses Ansinnen ab und betonte, er habe alles für den Frieden im Mittleren Osten getan und wolle seine sechsmonatige Haftstrafe fortsetzen. Kurz vor dem Weihnachtsfest wurde er ins Kiar-Saba-Krankenhaus verlegt. Er wusste nicht, warum dies geschah, konnte aber annehmen, die Behörden wollten behaupten, der Häftling sei erkrankt, so dass sie ihn wegen Krankheit aus der Haft entlassen können. Also erklärte Abie, er wolle nur dann die Entlassung akzeptieren, wenn die Behörden seine Unschuld feststellen. Ab dem 8. November erhielt er mehrfach einen 24-stündigen Freigang. Als dies bekannt wurde, stellte das Friedensradio den Betrieb ein und das Schiff fuhr in den Hafen von Ashdod, so dass Abie zu Besuch kommen und sein Team treffen konnte. Am 5. Dezember trat er in der Sendung »Was wollen wir tun?« auf, die einige Monate zuvor gestartet worden war. Es war eine Phone-In-Sendung: Die Hörer riefen im Office an, wo die Gespräche aufgezeichnet wurden, und konnten so mit Abie diskutieren. Am Freitag, dem 9. Februar 1990, verließ Abie schließlich das Gefängnis nach Verbüßung seiner Haftstrafe. Als allererstes gab er Shaul Izenberg ein Interview, das im Laufe des Vormittags über die Voice of Peace ausgestrahlt wurde.
Im Februar 1991 führte Abie Nathan ein israelisches Team in die türkisch-irakische Grenzregion. Dort wurden 50.000 Flaschen Trinkwasser und andere Versorgungsgegenstände an die kurdischen Flüchtlinge verteilt. Und gerade drei Monate, bevor er beschloss, sein "Lieblingsbaby der letzten 20 Jahre", die Voice of Peace, zu schließen, ging der Friedensaktivist mit einer Gruppe Israelis nach Kenia, wo in der Stadt Ruiru nahe Nairobi ein Gebäude für somalische Flüchtlinge gebaut wurde. Gleichzeitig führten Kinder in Israel eine Sammlung für die Hungernden in Somalia durch.
Die israelische Regierung war jedoch immer noch nicht erfreut über Abies Ansichten bezüglich des Friedens im Mittleren Osten. Dies wurde am 5. Oktober 1991 deutlich, als ein Gericht ihn zu einer 18-monatigen Freiheitsstrafe verurteilte - wiederum wegen Kontakten zur PLO. Abie war verhaftet worden, als er nach einem Treffen mit Arafat in sein Heimatland zurückkehrte. Jedermann amüsierte sich köstlich, als er sechs Wochen später wieder entlassen wurde. Bei seiner Entlassung verlautbarte Abie, er habe begonnen Arabisch zu lernen und würde so lange weiter protestieren, bis die Menschen in Israel erkannten, dass dies kein privater Protest sei, sondern einer für das gesamte Heilige Land.
Nachdem der Friedenssender im Oktober 1993 ein für alle Mal geschlossen worden war, setzte Abie seine humanitären Aktivitäten fort. Während am 17. Mai 1994 die Zahl der Toten im Bürgerkrieg von Ruanda weiter anstieg, verurteilte Außenminister Shimon Peres das Massaker: "Das jüdische Volk, welches Leiden und Völkermord am eigenen Leib kennengelernt hat, kann angesichts des schrecklichen Massakers in Ruanda nicht gleichgültig bleiben." Fünf Tage später beschloss die Regierung, die israelischen Hilfsleistungen auszuweiten und den Millionen, die aus Ruanda in die Nachbarländer geflohen waren, humanitäre Hilfe zukommen zu lassen. Peres suchte nach Wegen, auf denen Israel eine verzweifelt gesuchte humanitäre Antwort geben könne. Als Resultat dieser Suche startete die Regierung die Aktion "Samen der Hoffnung", eine massive Kampagne für die Bürgerkriegsflüchtlinge in Goma im östllichen Teil der Demokratischen Republik Kongo (damals Zaire). Ein spezieller Flugzeug-Konvoi, bestehend aus acht Herkules-Maschinen mit lebensnotwendigen Hilfsgütern hob in Tel Aviv ab.
Die israelische Luftwaffe schickte ein zusätzliches Flugzeug mit weiteren 25 Tonnen. In einem in Zaire errichteten Feldkrankenhaus konnten Tausende Verletzte versorgt werden. Das israelische Gesundheitsministerium spendete der UNICEF 80.000 Impfstoffe gegen Masern. Alles in allem kamen für die Ruanda-Hilfe innerhalb weniger Monate Spendengelder in Höhe von 60 Millionen Schekel zusammen. Israel wurde für die schnelle und effiziente Unterstützung in aller Welt gelobt.
Unter anderem arbeitete auch eine zivile Gruppe im zairischen Bukavu: Die Gruppe bestand aus 14 freiwilligen Helfern und wurde angeführt von Abie Nathan. Sie errichteten auf Bitte des UN-Hochkommissariats für Flüchtlingsangelegenheiten ein Lager für Zehntausende der insgesamt 300.000 nach Bukavu gekommenen Ruander.
Im September 1997 wurde Abie mit dem angesehenen Menschenrechtspreis der Stadt Nürnberg ausgezeichnet. Der Preis wurde ihm zugesprochen für seine enorme humanitäre Arbeit für die Menschen in aller Welt.
Übersetzung ins Deutsche: Thomas Völkner
Aus RADIOJournal 7/2008