Produktion:
Deutschlandradio Kultur »Wurfsendung«
Nathalie Singer
Die Idee für die „Wurfsendung“
hatte Wolfgang Hagen, Hauptabteilungsleiter Kultur im Berliner
Funkhaus des Deutschlandradios. „Hagens Idee war es,
unterhaltende und kuriose Stücke so kurz wie Werbung ins
Tagesprogramm zu bringen“, erläutert Nathalie Singer, die für
Projektentwicklung und Realisierung des neuen Formats
verantwortlich war und ist. Kurzhörformen im Radio gab es zwar
auch schon früher, etwa mit dem „Geräusch des Monats“, aber die
Etablierung einer kontinuierlichen Reihe an Kurzhörspielen
stellt eine neue Qualität dar. „Meine Entwicklungsarbeit bestand
darin, den Klangcharakter und den inhaltlichen Stil für die
Wurfsendungen zu finden. Die dramaturgische Entwicklung, das
Rumprobieren mit Trennern,
Jingles und Längen der einzelnen
Stücke führte irgendwann zu dem Gesamtprodukt, das wir heute
hören“, erklärt Nathalie Singer.
Wichtig war ihr, dass es sich um wirklich traditionelles
Hörspiel handelt, denn andere Gattungen, wie kurze Satiren und
Radio-Comedy gibt es bereits im Privatfunk. Produziert wird mit
einer aufwändigen Geräuschpalette, die vielschichtige
Atmosphären
und Klangwelten zulässt. Über 500 einzelne
Wurfsendungen wurden bisher schon von etwa 30 Autoren
geschrieben, 300 lagen bei Sendestart der Erfolgsreihe bereits
fertig vor. Nathalie Singer sichtet zunächst die Skripte mit
Textvorschlägen. „In der Regel kommen die Autoren mit eigenen
Ideen auf mich zu und wir stimmen dann ab, was passt und was
nicht. Die Ideen variieren stark. Es sind sowohl Buch- als auch
Hörspielautoren darunter, es werden aber auch journalistische
Arbeiten eingeschickt.“
Teilweise namhafte Autoren wie Daniil Charms, Oliver Bukowski,
Hermann Bohlen, Christian Berner und Frank Schültge, Elke Naters
oder Sven Lager gaben den einzelnen Wurfsendungen bisher ihre
Kreativität und Ideen. Nathalie Singer ist in der Regel auch bei
der Schauspielaufnahme dabei, bei der Abnahme der einzelnen
Produktionen sowieso. Eine Serie besteht aus etwa zehn einzelnen
Wurfsendungen, die vom selben Autor geschrieben und gemeinsam
produziert werden. Ein „Wurfgenerator“ würfelt die einzelnen
Stücke zusammen, das Wurfsendeteam hört dann nach, ob es so als
Block gefällt und das vom Computer Ausgespuckte somit sendefähig
ist. Die einzelnen Wurfsendungen werden zwischen acht und
sechzehn Mal wiederholt, bei der ersten Staffel war mit den
Autoren und Produzenten auf ein Jahr freies Senderecht
vereinbart.
In den Sommerferien lief »Wurfsendung - Die Klassiker«, seit
September sind wieder neue Produktionen bei Deutschlandradio
Kultur zu hören. „Alle Beteiligten - Autoren, Regisseure,
Sprecher und ich - haben richtig Spaß daran, die Zusammenarbeit
ist gut und die Ergebnisse sind meistens sehr
zufriedenstellend“, sagt Nathalie Singer, die als freie
Mitarbeiterin bei Deutschlandradio Kultur auch für die
Fortsetzungsfolgen verantwortlich zeichnet. Normalerweise werden
die Wurfsendungen in einem Außenstudio produziert, bei Mainland
Media. Einige Autoren machen es aber auch zu Hause im eigenen
Produktionsstudio. Dann müssen die einzelnen Folgen meist noch
von der Lautstärke her angeglichen werden - das Endmastering
geschieht mit ProTools bei Mainland Media.
Für die Besetzung der Schauspieler ist Peter Regenbrecht in der
Hörspielabteilung verantwortlich, der die entsprechende
Disposition durchführt. „In der Regel sucht sich der Regisseur
die passenden Schauspieler aus“, erläutert Nathalie Singer das
Procedere. Die Liste der Schauspieler, die bereits Wurfsendungen
gesprochen haben,
ist lang und reicht von Christine Oesterlein,
Hans-Peter Hallwachs, Udo Kroschwald über Antje von der Ahe,
Helmut Kraus, Martin Engler
bis hin zu Felix von Manteuffel oder
Leslie Malton.
Wenn Nathalie Singer sich nicht mit ihren Wurfsendungen befasst,
komponiert die Halbfranzösin Hörspiel- und Featuremusik,
arbeitet
an Filmen oder im Augenblick an einem Feature über
einen französischen Toningenieur. Bei der Wurfsendung wird sie
von ihren Kollegen Jana Wuttke und Markus Heidmeier unterstützt.
Besonders dankbar ist Nathalie Singer der Hörspielchefin
Stefanie Hoster,
die von Anfang an das Konzept der Wurfsendung
durchboxte und gegenüber manch anfänglichen Skeptikern nach
außen vertrat.
Unter
den sechs Mal am Tag gesendeten Mini-Hörspielen entdeckt
Nathalie Singer immer wieder „unglaublich schöne Produktionen“.
Sie erinnert sich an „Philosophische Fische“, an die „Märchen“
von Sven Lager, an „Marktforschung“ von Hermann Bohlen, an
„Herrn Behrlich“ von Schültge/Berner, an „Lotte auf dem AB“ oder
an die neue Folge „Aus dem Leben eines Herzschrittmachers“ von
Fritz Sauter. Alles rund um die Wurfsendungen sowie viele Folgen
zum Anhören gibt’s auch im Internet.
Die Resonanz auf die Wurfsendungen ist ebenfalls enorm. „Viele
Leute schreiben uns, dass die Mini-Hörspiele neue Gedankenräume
öffnen und gerade die Grenze zum Absurden ihnen gefällt“, freut
sich Nathalie Singer, die Musikwissenschaften (hier mit
Schwerpunkt auf Neue Musik und Klangkunst) und
Kommunikationswissenschaften studierte, ehe sie erste
Radioerfahrungen beim Studentensender „Radio 100 000“ (später
„RX 5“) in Berlin sammelte. Für die Sendung „El Globe“ beim
damaligen Radio Brandenburg lieferte Nathalie Singer
Reiseberichte zu, bedauerte aber die relativ schnelle Arbeit,
bei der Klang und Musik in ihren Augen zu kurz kamen. Ihre
Kollegin Mechthild Zschau meinte, „das Hörspiel wäre doch was
für dich“ und so kam Nathalie über zwei Praktika beim SFB (wo
sie „356 Zeitansagen“ produzierte) und Deutschlandradio Berlin
längerfristig als freie Mitarbeiterin ins Funkhaus am
Hans-Rosenthal-Platz.
Journalistisch berichtete Nathalie Singer auch aus Paris, machte
Musikfeature für den WDR und Schulfunksendungen in französischer
Sprache für den BR. Götz Naleppa brauchte schließlich jemanden,
der inhaltliche Klangkunst macht und so landete Nathalie
gemeinsam mit Friederike Wigger zunächst in der Klangkunst - und
später in der Freispiel-Redaktion, bis sie die Verantwortung für
die Wurfsendung übertragen bekam.
Ein großes Projekt, das Nathalie Singer realisierte und das
Klang, Experiment und Musik vereint ist „Tiefenrausch - Ein
Abstieg in den Berliner Untergrund“, das damals auch im Bunker
am Gesundbrunnen öffentlich aufgeführt wurde. „Ich bin weiterhin
auf der Suche nach frischen, neuen Ideen, die man für das Radio
umsetzen kann“, blickt Nathalie Singer in ihre Zukunft. Im
Augenblick ist sie zufrieden, dass die Wurfsendungen so gut
ankommen. „Wir werden auf viele Podien und Festivals eingeladen,
die BBC und Danmarks Radio wollen die Idee nachahmen. Die viele
Mühe und das große Engagement, das
im Projekt steckt, zahlt sich
aus und das freut mich.“
Stefan Förster
Fotos: © Nathalie Singer
www.dradio.de/wurfsendung