»Nachwirkung«
Radio kann mehr

Feature:
SWR 2 »Eckpunkt Weihnachtsmann« 
Rolf Kemnitzer


Diese kurzweilige Feature beleuchtet die Arbeit der studentischen Weihnachtsmänner in all ihren Facetten. Dabei wird deutlich, dass es neben wunderschönen Erlebnissen auch tieftraurige Begegnungen gibt und jede Familie ganz andere Maßstäbe an „ihren“ Weihnachtsmann anlegt. Aber auch umgekehrt kommt so manch kuriose Begegnung mit besoffenen, frivolen, schlecht vorbereiteten oder der deutschen Sprache nicht mächtigen Weihnachtsmännern zu Tage, die Rolf Kemnitzer ohne zu werten geschickt ineinander greifen lässt. Es entsteht somit ein differenziertes und zugleich humorvolles Portrait über den harten Alltag studentischer Weihnachtsmänner, das auch im Sommer zum Nachdenken anregt. Das unkommentierte Senden der O-Töne ohne vertiefende Erklärungen gibt dem Feature ein besonderes Klangbild.

Zum Radio kam Rolf Kemnitzer über Umwege. Nach einer Theaterregieausbildung und dem Schreiben eigener Theaterstücke erhielt er mehrere literarische Stipendien, unter anderem im Künstlerdorf Schöppingen, wo er seinen Schriftstellerkollegen Peter Kaiser kennen lernte. Der empfahl ihm dann, es auch einmal mit der Produktion von Features für das Radio zu versuchen. „Ähnlich wie beim Theater ist die Radioarbeit auch eine Form von Geschichtenerzählen. Hier steht allerdings weniger Fiktives als vielmehr die wahre Begebenheit im Vordergrund. Ich möchte die Stücke so gestalten, dass ein Hintergrund der Menschen entsteht, die das Feature behandelt“, erzählt Rolf Kemnitzer. 

Gern und oft arbeitet er mit der „Eckpunkt“-Redaktion des Südwestrundfunks zusammen. „Dort wird ein sehr gutes Lektorat gemacht und viel von den Autoren verlangt. Das kommt der Qualität der Sendungen sehr zu Gute“ meint Kemnitzer, der das Feature als eine eigene Kunstform betrachtet. Seit diesem Jahr ist Kemnitzer etwa mit der Hälfte seiner Arbeitszeit bei der Produktion von Features dabei. In der anderen Hälfte widmet er sich neben seinen Theaterproduktionen seinem Unterricht an der Akademie für Darstellende Künste in Ulm, wo er angehende Schauspielschüler in die Grundlagen ihres Metiers einführt. 

Die Bewerbung junger Leute an einer Schauspielschule war auch die Grundlage für das erste Feature Rolf Kemnitzers, das damals in der Sendereihe »Kompass« beim DeutschlandRadio Berlin ausgestrahlt wurde. Auch die jetzt prämierte Weihnachtsmann-Sendung existierte zuvor schon als Zehnminüter, der ebenfalls beim DeutschlandRadio lief. „Dann dachte ich mir, da könnte man auch noch mehr draus machen. Ich habe früher selbst einmal als Weihnachtsmann gearbeitet, habe auch viele Bekannte, denen es ebenso ging. Da war es dann leicht, an entsprechende O-Töne zu kommen“, berichtet Kemnitzer. 

Die Manuskripte für die Features brauchen zunächst einen dramaturgischen Aufbau, ähnlich wie in der Dramatik und da kennt er sich ja aus. Kleinere Engpässe sieht er nur noch auf der technischen Seite. Aktuell hat er ein Feature über Männer, die keine Kinder wollen, gemacht. Zuvor streifte er schon das Thema „Nesthocker“ und philosophierte über sein Lieblingsthema „Nichts tun, aber wie?“. Das Verfassen der Manuskripte läuft dabei wie von selbst. „Ich bin immer auf der Suche nach Themen, wo ich über Menschen erzählen kann. Ist einmal der rote Faden gefunden, geht es auch recht schnell vorwärts“, meint Rolf Kemnitzer, dessen Features neben SWR2 auch schon bei Bayern2Radio oder Deutschlandradio Kultur liefen. Für WDR 5 erstellt er zur Zeit eine einstündige Dokufiktion über die kinderlose Gesellschaft der Zukunft im Jahr 2055. 

Diese Schnittstelle von Fiktion und Dokumentation hat für ihn einen besonderen Reiz. Ähnlich wie im Theater, wo nach Ansicht Kemnitzers oft ein Realitätsmangel herrscht und eine neue Relevanz für Texte gesucht wird, entsteht das Dramatische bei den Radio-Features durch die Montage von Texten, die sich widersprechende Positionen beinhalten. Rolf Kemnitzer macht daher auch immer deutlich mehr Interviews als er braucht, um hinterher aus dem Vollen schöpfen zu können. „Gute Interviewpartner sind dabei das Herz eines guten Features. Wenn man interessante Typen vor das Mikrofon bekommt, die offen berichten, ist das schon viel wert.“ 

Sind die Aussagen so kräftig wie bei den Weihnachtsmännern und bedürfen sie keiner Erläuterung, belässt es Kemnitzer auch gern beim O-Ton-Feature. Oft stellt er sich die Frage, wer bei den Ausstrahlungen zuhört. „Da ich auch schon Theater vor 20 Leuten gemacht habe, weiß ich auf jeden Fall, im Radio sind es mehr“, gibt er seine Einschätzung lächelnd wieder. Außerdem ist jedes Thema noch etwas Besonderes für ihn, da er nicht routiniert ein Feature nach dem anderen produziert, sondern sich eben vielfältigsten Aufgaben widmet. 

Ein großes Lob hat Rolf Kemnitzer für die »Eckpunkte«-Redaktion bei SWR2 und Redakteurin Petra Mallwitz übrig. „Von der Themenabsprache, über die kritische Abnahme der Manuskripte und Produktionen bis hin zur Nachbetreuung bin ich hier in besten Händen.“ Auch seine Neigung zu psychologischen Themen wird hier goutiert. Im Augenblick vollendet Rolf Kemnitzer gerade ein Theaterstück. Neben Radio und Theater schreibt Kemnitzer auch an seinem ersten Drehbuch für’s Fernsehen. „Es geht dabei um eine Gruppe von Leuten um die 20 Jahre, die in die Zukunft geraten und sich dann selbst begegnen, als alte Menschen“, gibt er kurz den Inhalt wieder. Seit 1988 wohnt er in Berlin, nimmt aus der Hauptstadt auch viele Ideen und Anregungen für Features oder Theaterstücke mit. 

Zunehmend beobachtet Rolf Kemnitzer, auch durch Gespräche mit Kollegen bestätigt, die von Redakteuren an die Autoren verstärkt gestellte Forderung nach mehr Radiophonie in den Features.
„Ich sehe durch immer mehr O-Töne die Gefahr der formalen Überfrachtung der Stücke. Das Feature wird mittlerweile zu sehr an quantitativen Aspekten gemessen, die analytische Schärfe findet dabei zu wenig Beachtung. Gefälligkeitsmuster, die keinem wehtun, sind am Ende aber einfach nur nichtssagend“, ist sich Kemnitzer sicher. 

Stefan Förster
Foto: © SWR
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