Musiksendung: ANTENNE
THÜRINGEN
»Yesterhits« mit Dirk Sipp
Wer sonntags von 18.00 bis 22.00 Uhr in Thüringen unterwegs ist
und im Radio die Antenne eingeschaltet hat, traut für einen
Moment seinen Ohren nicht. Thüringens erster Privatsender
überlässt den »Yesterhits« die Frequenz, einer Sendung, die
bewusst die traditionellen Regeln eines rund um die Uhr
durchhörbaren „Hot-AC-Formats“ durchbricht. Hier dürfen Oldies
und sogar DDR-Pophits gespielt werden und Moderator Dirk Sipp
setzt seine eigenen CDs samt eigener Playlist ein.
Angefangen hat alles vor vier Jahren. Aus dem Bauchgefühl heraus
konzipierte Dirk Sipp eine Sendung, mit dem Ziel, anspruchsvolle
Beiträge zu produzieren, die Erinnerungen an die „gute alte
Zeit“ der 70er und 80er Jahre wieder aufleben lassen, ohne dabei
Probleme auszublenden oder gar nostalgisch zu verklären. Zum
kleinen Team der Sendung, die mittlerweile Kultstatus in
Thüringen erlangt hat, gehören auch Mitarbeiter Mario Müller und
Antenne Thüringen-Musikredakteur Norbert Radig. Letzter verweist
darauf, dass die Hits, die jetzt am Sonntagabend laufen, in den
Anfangsjahren von Antenne Thüringen auch noch gespielt wurden
und jene Oldies auch gut bei der Hauptzielgruppe der bis
49-Jährigen ankommen. „Gerade am Abend leisten wir uns ohnehin
den Luxus, auch ein paar Sendungen anzubieten, die sich an ein
spezielleres Publikum wenden. So haben wir seit kurzem eine
explizite Rocksendung im Programm, während am Samstagabend
natürlich mehr Dance dominiert.“
Norbert Radig hat auch miterlebt, als die »Yesterhits« nach der
ersten Staffel für einige Zeit pausierten, um die Reaktionen der
Hörer auf die ausbleibende Sendung abzuwarten. Die einsetzende
Post-, Fax- und eMail-Flut war letztendlich für die
Programmverantwortlichen die Bestätigung, das Format mit der
treuen und durchaus messbaren Fangemeinde fortzusetzen. „Da wir
für Thüringen senden, liegen uns besonders Beiträge am Herzen,
die einen Bezug zum Alltag und zu besonderen Ereignissen in der
DDR haben“, erzählt Moderator Dirk Sipp. „So ließen wir zum
Beispiel einen Augen- und Ohrenzeugen vom legendären
Bruce-Springsteen-Konzert in Ostberlin im Jahre 1988 berichten,
Musiker Andreas Graumnitz aus Weimar (seine Band wurde gerade zu
„Deutschlands bester Showband 2002“ gewählt) erzählte von seinen
Erlebnissen an der Baikal-Amur-Magistrale in Sibirien, wo er die
Bauarbeiter an der Trasse in den 80er Jahren mit Rockmusik
unterhielt und anlässlich des 30. Bühnenjubiläums der Gruppe
CITY hatten wir ein siebenteiliges Interview mit Toni Krahl, dem
Frontmann der Band, im Programm.“
Und Norbert Radig, selbst eingefleischter Musiker, ergänzt:
„Dirk und ich sind mit der Musik groß geworden, die in den
»Yesterhits« läuft. Wir hatten trotzdem ein unterschiedliches
Umfeld Dirk hat Platten aufgelegt, ich war eher ein
musikalisches Mitglied der Langhaar-fraktion – was sich heute
positiv auf die Sendung auswirkt, weil eine größere Bandbreite
an Themen möglich ist. Das Gleiche gilt auch für die
Musikzusammenstellung: Wir haben vier Blätter für vier Stunden,
die ohne irgendwelche Computerkategorien auskommen. Unsere Hörer
mögen 60er Jahre-Balladen ebeno wie Dance-Titel aus den 80ern,
einen Frank Sinatra aus den 50er Jahren oder einen alten Elvis –
und wenn mal ein Titel von 1992 dabei ist, stört das auch
keinen. Schön ist auch, dass wir die Maxi-Versionen spielen
können. Wo sonst läuft zum Beispiel ‚Hotel California’ von den
Eagles in der 7-Minuten-Fassung? Bei uns laufen auch mal
französische Titel aus dieser Zeit, wir sind da ganz flexibel
und richten uns nach den Hörern.“ Die sind ohnehin sehr aktiv,
wie auch Mitarbeiter Mario Müller weiß. „Wir bekommen immer
wieder Post, wo Hörer den Titel und Interpreten eines Songs
nicht kennen, aber eine Zeile daraus aufgeschrieben haben, wie
es von der Phonetik her passt. Wir sitzen dann immer hier und
überlegen, welches Stück gemeint sein könnte. Wir haben auch
schon Tapes mit ‚Halb-Stunden-Unterwasseraufnahmen’ bekommen,
die so natürlich nicht verwendbar waren. Aber die Hörer
beteiligen sich an den »Yesterhits« und das ist das Wichtigste.“
Weitere feste Rubriken in der Sendung sind unter anderem
Rückblicke auf die deutschen Charts vor jeweils 35, 30, 25 und
20 Jahren, das Verlesen von Hörerpost sowie die Vorstellung von
Klassikern aus der Rock- und Popgeschichte der DDR unter dem
Titel „Der AMIGA-Yesterhit“ in Kooperation mit der Plattenfirma
AMIGA. Gerade diese Rubrik ist bei den Hörern gefragt wie keine
andere. Sind hier doch die Kultscheiben von damals, wie „Am
Fenster“ von CITY, „Nie zuvor“ von Elektra, Ute Freudenbergs
„Jugendliebe“ oder „Alt wie ein Baum“ von den Puhdys zu hören.
Auch die junge Generation scheint das anzusprechen. So ist ein
Zehnjähriger unter den Hörern, dem die Mischung gefällt und der
sich auch regelmäßig meldet.
Mit
den gespielten Titeln verbindet Dirk Sipp auch ganz eigene
Geschichten. War es doch in der DDR gar nicht so einfach, an die
Platten heranzukommen. So brachte Dirks Oma die begehrten
Scheiben immer aus dem Westen mit. Jeder Song bekommt so seine
persönliche Note und auch die Art und Weise der Präsentation ist
ein Spiegelbild von Dirks Erfahrungen und Erlebnissen. „Gerade
bei den Wortbeiträgen greifen wir auch Themen auf, die uns
selbst bewegt oder betroffen haben“, erzählt er. „In der Schule
sprachen wir damals darüber, warum es in unserer
Wohngebietsgaststätte ‚Freundschaft’ keine Fleischklößchen gab.
Uns wurde damals erzählt, dass das an der Maul- und Klauenseuche
liegen würde. Das stimmte aber nicht, wie wir bei den Recherchen
zu den »Yesterhits« herausgefunden haben. Das Fleisch wurde
schlicht und einfach gegen harte Währung in die BRD exportiert,
während es in der DDR dann fehlte. Auch die Auswirkungen der
Tschernobyl-Katastrophe auf die Lebensmittelversorgung in der
DDR, speziell in der NVA, haben wir thematisiert, denn niemand
wusste, warum es plötzlich massenweise grüne Gurken gab...“.
Auch alte Musikbarden wie der Erfurter Blues-Musiker Jürgen
Kerth oder der erste Profi-DJ der DDR, Hartmut Kander, der
anlässlich seines 60. Geburtstags in die »Yesterhits« kam, sind
gern bei Dirk Sipp in der Sendung zu Gast. „Hartmut Kander war
ja ein ganz bekannter Mann. Ich hatte all seine Bücher gelesen,
bevor ich Schallplattenunterhalter, wie es damals hieß, wurde.
Neulich berichteten wir über das DT 64-Sonderkonzert mit Depeche
Mode, bei dem lange Zeit überhaupt nicht klar war, ob es
überhaupt stattfinden würde. Um diese Zusammenhänge zu erhellen,
habe ich David Gore, dem Sänger von Depeche Mode, geschrieben.“
Aufgewachsen mit der „Podiumsdiscothek“ von DT 64 besuchte Dirk
nach der Schule die Arbeitsgemeinschaft „Junge Discosprecher“.
„Jeden Musiktitel, der mir im Leben etwas bedeutet hatte, habe
ich auf ORWO-Kassetten mitgeschnitten. Zuerst haben wir im
Sender sogar damit noch gearbeitet. Gemeinsam mit dem riesigen
Musikarchiv von Norbert haben wir eine sehr solide Basis für die
»Yesterhits«.
Und wie kam Dirk Sipp, ein Mann der ersten Stunde beim Sender,
damals, vor fast zehn Jahren, zu Antenne Thüringen? „Bei mir zu
Hause in Waltershausen hörte ich im Radio auf der Inselsberger
Frequenz 102,2 MHz plötzlich wieder Musik. Früher lief hier DT
64, jetzt war eine Hinweisschleife mit Moderatorin Christine
Schuhmann auf den Sendestart von Antenne Thüringen
aufgeschaltet. Danach lief ‚Words’ von F.R. David. Jetzt müsste
im Anschluss eigentlich nur noch ‚Moviestar’ von Harpo kommen,
dann wäre das perfekt, dachte ich mir mit meiner
Diskotheker-Erfahrung. Und tatsächlich, als ob es eine
Vorhersehung gewesen wäre, es kam Harpo. Ich hab’ mich dann bei
Antenne Thüringen beworben, ohne die gleichzeitig geschaltete
Zeitungsanzeige zu kennen, wurde vom Chef eingeladen und durfte
bleiben. Angefangen habe ich dann nachts zu moderieren, mein
erster Ramptalk war bei ‚Yellow River’ von Chris Dee“.
Mittlerweile ist Dirk Sipp neben den sonntäglichen »Yesterhits«
von »Zehn bis Eins« im Antenne Thüringen-Vormittagsprogramm zu
hören. Auch Norbert Radig ist von Anfang an bei Antenne
Thüringen dabei. „Als leidenschaftlicher Musiker hatte ich mich
zum Sendestart bei Antenne Thüringen beworben. Über sechs Jahre
war ich dann dort der Nachtmoderator. Danach habe ich mich auf
meine Aufgaben als Musikredakteur konzentriert und bin als
Mitglied der Antenne Thüringen-Band auch für die dortigen
Abläufe zuständig.“
Jüngster im Team ist Mario Müller, der nach Moderationscasting
und Zivildienst zu einem „ziemlich harten Praktikum“ zu Dirk
Sipp kam. „Wir haben uns gut verstanden und so bin ich dann als
freier Mitarbeiter dabei geblieben, als es mit den »Yesterhits«
in die zweite Runde ging. Heute bin ich für die Koordination der
Beiträge zuständig.“ Ansonsten studiert Mario, der zwei Tage die
Woche bei Antenne Thüringen ist, seit Sommer 2000 in Erfurt
Kommunikationswissenschaft und Geschichte.
Der Name »Yesterhits« wurde übrigens patentiert. Dirk Sipp ist
ohnehin Feuer und Flamme für sein Programm – wer sonst bedruckt
schon sein Auto mit der URL der eigenen Sendung? Begleitend zur
Sendung finden mittlerweile auch „Yesterhits-Partys“ mit der
Oldieband „Yellow Submarine“ statt. Auch hier wieder dabei:
Norbert Radig. „Wenn die richtigen Leute kommen, gehen auch die
alten Kamellen so richtig ab. Wir halten es bei den Partys wie
in der Sendung. Neben den Oldies gibt es auch ein paar
unbekannte Versionen bekannter Lieder.
Die Band gab es schon vorher. Wir haben Strukturen, die älter
sind als die »Yesterhits«, erfolgreich für off-air-Aktivitäten
zur Sendung genutzt.“ Und sonst? „Die Hörer könnten sich noch
etwas aktiver auch über’s Internet beteiligen“ ist Dirk Sipps
abschließender Wunsch. „Mir liegt viel daran, den Kontakt zu den
Hörern zu pflegen. Wir erfüllen online aufgegebene Musikwünsche
und verlosen regelmäßig Konzertkarten oder CDs. Über ein Forum
auf der Homepage kann während der Sendung direkt mit mir Kontakt
aufgenommen werden. Bereits zwei Tage vorher steht die komplette
Playlist zur Ansicht im Netz bereit. Schließlich wird auch heute
noch fleißig mitgeschnitten.“
Stefan
Förster
Fotos: © ANTENNE THÜRINGEN
www.antennethueringen.de