»Vom Knallfunken
zur digitalen Kurzwelle«
Tag des offenen Denkmals in der Rundfunksendestelle Nauen
Wer mit dem Zug von Berlin in Richtung Wittenberge fährt oder mit dem Auto auf dem westlichen Berliner Ring unterwegs ist, kennt die markanten Antennenanlagen, die vor den Toren der Hauptstadt aus der weiten Ebene des Havellandes herausragen. Auch in diesem Jahr bot die Deutsche Telekom als Betreiberin der Rundfunksendestelle Nauen einen Blick hinter die Kulissen des geschichtsträchtigen Ortes. Im Mittelpunkt des Interesses stand das 1920 eingeweihte historische Muthesius-Gebäude, in dem heute die Leitstelle der vier modernen Kurzwellensender untergebracht ist.
Das Eingangstor an der Graf-Arco-Straße steht an diesem Tag weit offen. Bald geben die dichten Bäume entlang der Zufahrtsstraße den Blick frei auf die erste der vier rund 80 Meter hohen und 76 Meter breiten 500 Kilowatt-Drehantennen. Auf den ersten Blick dem Großmast eines Segelschiffes gleichend, lässt sie das benachbarte, 1916 vom deutschen Werkbund-Architekten Hermann Muthesius geschaffene Bauwerk, eher klein erscheinen. Doch kaum steht man im Inneren des alten Gebäudes, spürt man den Atem der inzwischen fast hundertjährigen Nauener Sendergeschichte.
Beeindruckende Industriearchitektur
Muthesius achtete bei der Gestaltung des Baus auch auf die Gesamtwirkung: Er errichtete zwei sich kreuzende, hallenartige und lichtdurchflutete Gebäudeteile, integrierte das frühere Senderhäuschen und reproduzierte es auf der anderen Seite, so dass eine Symmetrie entstand. An der Kreuzung der beiden Gebäudeachsen führte er die Antennen in das Innere des Komplexes.
Die Antennen sind heute aus dem Hauptgebäude ebenso verschwunden wie die früheren Maschinen, Spulen und anderen technischen Betriebsteile. Doch zahlreiche Exponate erinnern am Tag des offenen Denkmals an die frühere Funktion der „Großfunkstelle Nauen“, die 1920 durch Reichspräsident Friedrich Ebert eingeweiht wurde.
Von der Versuchs- zur Betriebsstation
Bereits 1897 stellten der Physiker Professor Adolf Slaby und sein Mitarbeiter Georg Graf von Arco im Beisein von Kaiser Wilhelm II. die erste Funkverbindung auf deutschem Boden her. Sie befestigten einen Draht auf dem 24 Meter hohen Glockenturm der Heilandskirche in Sacrow bei Potsdam. Empfangen wurden die Signale an der 1,6 Kilometer entfernt gelegenenen Matrosenstation an der Schwanenallee. Heute erinnert eine Gedenktafel an dieses Ereignis, das den Auftakt für die weitere Entwicklung der Funktechnik in Deutschland bildete.
Die Gründung der Kurzwellen-Sendestation Nauen war eng verbunden mit der „Gesellschaft für drahtlose Telegraphie“ von Emil Rathenau (AEG) und Werner von Siemens und ihrer im Mai 1903 gemeinsam ins Leben gerufenen Geschäftsmarke Telefunken. Um im international aufkommenden Wettbewerb um drahtlose Reichweiten mithalten zu können, beschloss man den Bau einer Versuchsstation, die zur Erprobung von Großsendern dienen sollte.
1906 entstand im Havelland nördlich von Nauen eine kleine Sendestation und ein 100 Meter hoher Antennenmast mit einer Leistung von zehn Kilowatt, erzeugt von einer Dampfmaschine und einem kohlebetriebenen 35 PS-Stromgenerator. Es wurde berichtet, dass der erzeugte Motorenschall eine größere Reichweite gehabt haben soll als die ausgesendeten Morsezeichen. Doch dies änderte sich rasch: Mit zunehmender Antennenleistung war man bereits drei Jahre später in der Lage, die 5.000 Kilometer entfernt gelegenen deutschen Kolonien in Afrika zu erreichen.
Der vielfältige Nutzen der neuen Technik war offenkundig. Bereits 1910 vollzog sich daher der Wandel zu einer auf Dauer angelegten Betriebsstation: Ein höherer Mast, ein stärkerer Motor, eine Leistung von 150 Kilowatt und Reichweiten bis nach Mittelafrika und Nordamerika führten dazu, dass der Sender in Nauen ab 1914 auch als Ersatz für die während des Ersten Weltkrieges zerstörten Transatlantikkabel und für militärische Zwecke diente. Angesichts der rapide gewachsenen technischen Anforderungen erwiesen sich die bisherigen Anlagen bald als zu klein: Dies war die Stunde des Werkbund-Architekten Hermann Muthesius, der mit den Vorstellungen der damaligen Funkingenieure konfrontiert wurde und eine Lösung fand.
Im Januar 1918 nahm in Nauen die „Drahtlose Übersee-Verkehrs AG“ ihren weltweiten Funknachrichtendienst auf. Spätestens jetzt war der Ort überall auf dem Erdball bekannt. 1932 übernahm dann die Deutsche Reichspost die Station. Sie wurde baulich und technisch erweitert und diente im Zweiten Weltkrieg der Nachrichtenübermittlung und als Störsender. Im April 1945 schließlich wurden die Antennen und Sender von der Roten Armee gesprengt.
Standort des DDR Auslandsrundfunks
Der Dornröschenschlaf währte nicht lange: Im Januar 1956 knüpfte die Deutsche Post der DDR an die Tradition des Standortes an und gründete das Funkamt Nauen. Im Mittelpunkt stand damals der kommerzielle Kurzwellenverkehr für unterschiedliche Institutionen vom Seefunkdienst bis zum Außenministerium. Es entstand eine Vielzahl neuer Sender und unterschiedlicher Antennenanlagen, die drei Jahre später mit begrenzter Reichweite erstmals auch für den bei Radio DDR seit 1955 existierenden Auslandsdienst (seit Mai 1957: Radio Berlin International RBI) genutzt wurden. Im Bild: RBI-Antenne ("Matratze").
Im Februar 1964 wurde zeitgleich mit der Gründung des Kurzwellenzentrums der DDR in Nauen (KWZ) eine von den VEBs Funkwerk Berlin-Köpenick und Industrieprojektierung Berlin entwickelte dreh- und schwenkbare 100 Kilowatt-Kurzwellen-Sendeantenne in Betrieb genommen. Damals galt sie als modernste Anlage in Europa und ist noch heute voll funktionsfähig. Bis Anfang der achtziger Jahre folgte ein intensiver Ausbau des Kurzwellenzentrums, so dass RBI bald in der Lage war, von Nauen aus in alle für die Partei- und Staatsführung wichtigen Zielgebiete der Welt abstrahlen zu können. 1981 wurde das Muthesius-Gebäude unter Denkmalschutz gestellt.
RBI geht, DW RADIO kommt
Mit dem Beitritt der DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland am 3. Oktober 1990 beendete RBI den Betrieb. Von nun an nutzte die Deutsche Welle die vorhandenen Sendeanlagen. Inzwischen existiert auch diese Technik nicht mehr: Sie wurde 1997 ersetzt durch vier hochmoderne 500 Kilowatt-Kurzwellensender und Drehstandantennen mit integriertem Sendegebäude, die im Auftrag der Deutschen Telekom von den Firmen Telefunken Sendertechnik und Thomcast errichtet wurden.
"Die Welt um Nauen" computergesteuert
Was 1906 in Nauen mit der Knallfunkenstrecke und dem Braunschen Sendekreis begann, findet heute in der Leitstelle ihre technische Vollendung: Monitore, Regler und eine Schalttafel zur Überwachung der Betriebskreisläufe sind auf den ersten Blick alles, was den computergesteuerten Ablauf im kleinen Raum des Muthesius-Hauptgebäudes auszeichnet: Die Steuerung der Kurzwellen-„Welt um Nauen“ ist zur Routine geworden. Nach festgelegten Frequenz- und Zeitplänen fährt ein Prozessrechner die Antennen in die vorgeschriebene Richtung aus, die Modulation aus dem Funkhaus der Deutschen Welle wird über den digitalen Satelliten Eutelsat HB5 zugeführt.
Kurzwellenradio weiterhin unverzichtbar
Im Zeitalter von Stereophonie, Satellitenempfang und Internetnutzung wird häufig übersehen, dass der Kurzwellenrundfunk weltweit für viele Menschen noch immer eine bedeutende grenz- und kontinentüberschreitende Informationsquelle darstellt. Die benötigte Empfangstechnik ist für jeden erschwinglich: Es reicht ein kleiner, mobiler Weltempfänger, um sich ein umfassendes Bild verschaffen zu können. Insbesondere in Ländern mit eingeschränkter Informationsfreiheit oder fehlender medientechnischer Infrastruktur hat das Kurzwellen-Radio eine wichtige Bedeutung.
Von Nauen aus werden die Programme in Deutsch und in verschiedenen Fremdsprachen ausgestrahlt rund 90 Stunden pro Tag [2003]. Zweiter Verbreitungsweg der Deutschen Welle ist die Sendestelle in Wertachtal (Bayern) mit dreizehn 500-Kilowatt-Kurzwellensendern. Hinzu kommen Relaisstationen in verschiedenen Ländern und Kooperationen mit Rundfunkanstalten im Ausland zum Tausch von Sendezeiten. Im Juni 2003 begann DWRadio mit der täglichen Ausstrahlung über die digitale Kurzwelle.Im Bild: Drehbare Antenne, die zusammen mit einem 500 Kilowatt-Sender eine Einheit bildet. Die Antennen haben eine Höhe von 80 Metern und eine Breite von 76 Metern.
Zukunft Digital Radio Mondiale (DRM)
Die Digitalisierung der Produktion im Hörfunk und der Einsatz neuer Übertragungsverfahren bietet auch für Kurzwellenhörer neue Chancen. Die Zukunft heißt Digital Radio Mondiale (DRM). Besucherinnen und Besucher erhielten am Tag des offenen Denkmals im Muthesius-Gebäude am Stand der Deutschen Welle eine akustische Kostprobe des neuen digitalen Standards ohne die Tücken der Ionosphäre und ohne lange Frequenzlisten und Sendezeiten. Die hervorragende Empfangsqualität der digitalen Kurzwelle, verbunden mit der Möglichkeit, Zusatzinformationen wie Musiktitel und aktuelle Schlagzeilen zu übertragen, dürfte für viele Hörerinnen und Hörer zu einer Neubelebung der Akzeptanz führen.
Andreas Pawelz
Fotos: © Andreas Pawelz / Harald Duwe /
Hans Werner Lange
www.transradio.de
Aus RADIOJournal 12/2003
QSL-Karte Clubstation Nauen DLØNAU.
• Die Deutsche
Welle (DW) wird am 30. April 2007 ihre Ausstrahlungen über die
Kurzwellensender in Nauen einstellen und sie durch Sendeanlagen des
britischen Dienstleisters VT Communications (VTC) ersetzen, wie es
bereits bei den Programmen der Fall ist, die bis zum 31. Dezember
2006 über das Sendezentrum Wertachtal in Bayern liefen. In
Zusammenhang mit dem Rückzug der DW aus Nauen und Wertachtal wird
T-Systems Media&Broadcast die Sendeaktivitäten aus Jülich zum 31.
Dezember 2007 einstellen und die dann nicht mehr genutzte Station
dem britischen Missionswerk
Christian Vision übergeben.
Christian Vision hat die Kurzwellenstation Jülich von der Deutschen
Telekom erworben.
(Radioeins
Medienmagazin)
• Die Telefunken SenderSystem Berlin AG hat sich 2005 umbenannt in TRANSRADIO SenderSysteme Berlin.