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Aus der Frühzeit des Privaten Hörfunks in Deutschland: Radio Weinstraße

Als am 1. Januar 1984 in Ludwigshafen und der Vorderpfalz das bundesweit erste Kabelpilotprojekt an den Start ging, waren neben den öffentlich-rechtlichen Stationen auch einige privatwirtschaftlich organisierte Programme an der Startlinie. Fernsehsender wie EPF - Erstes Privates Fernsehen oder PKS - Programmgesellschaft für Kabel- und Satellitenrundfunk, das Vorläuferprogramm von SAT.1, konnten sich als Vorreiter des Privatfernsehens bezeichnen. Aber auch im Hörfunkbereich gab es private Unternehmungen, die sich in dem neuen Medium engagierten. Die Anstalt für Kabelkommunikation (AKK), die den Sendebetrieb abwickelte, stellte diesen Sendern drei Hörfunkkanäle zur Verfügung. Während einige kleinere Anbieter stundenweise zwei Kanäle unter sich aufteilten, ging ein Kanal exklusiv an den "Pionier des Privatfunks in Deutschland": Radio Weinstraße aus Neustadt.

Radio Weinstraße war eine Gründung der seit Mitte der 70er Jahre existierenden Neustadter Firma TFE-Studio GmbH, wobei deren gesammelte Erfahrungen in der Produktion von Musikstücken und Werbespots dem neuen Hörfunksender zugute kommen sollte. Dieter Hofherr, der Geschäftsführer von TFE-Studio, plante ein familienorientiertes Unterhaltungsprogramm, das auf die regionale Hörerschaft zugeschnitten sein sollte. Unter der Devise "Hörfunk zum Anfassen" sollte die Hörerresonanz - zum Beispiel über Telefon - unmittelbar in die Sendungen übernommen werden.

Ab dem 1. Januar 1984 sendete Radio Weinstraße auf dem Kabel-Hörfunkkanal 1 (104,35 MHz) täglich fünf Stunden, ab Oktober 1984 sechs Stunden lang in Stereo. Programminhalte waren unter anderem Nachrichtensendungen, die zweistündige »Morgenparade« ab 6.30 Uhr, das »Pfalzmagazin«, Veranstaltungshinweise, ein regionaler »Sportkalender«, Wunschkonzerte und sogar eine Hörspielreihe für Kinder unter dem Namen »Open-Ear« täglich ab 15.00 Uhr. Dass die Musikauswahl keineswegs ein jüngeres Publikum ansprechen sollte, zeigte die Tatsache, dass die Sendung »Pop-Witz« ausdrücklich im Programmschema ausgewiesen wurde. Die gängige Musikfarbe umfasste eher Schlager, Countrymusik, Oldies und ließ auch Platz für regionale Nachwuchskünstler.

Problematisch war für Radio Weinstraße natürlich die geringe und nur langsam steigende Reichweite im Kabelnetz und die damit verbundenen niedrigen Werbeeinnahmen. Nach einem Jahr waren noch keine 20.000 Haushalte angeschlossen - weniger als 9.000 Haushalte innerhalb des Kabelpilotprojektes und zusätzlich rund 11.000 über die "normalen" Breitbandkabelanlagen der damaligen Bundespost. Hingegen kalkulierte man mit einer potentiellen Reichweite von 860.000 Haushalten im Bereich Rhein-Neckar und der Vorderpfalz, wenn man das Kabelghetto verlassen und die Programme über einen terrestrischen Hörfunksender würde ausstrahlen können. Solange diese Möglichkeit nicht bestünde, so die Rechnung der Neustadter Radiomacher, könnten die monatlichen Betriebskosten von 60.000 bis 70.000 Mark nicht gedeckt werden.

"Historischer Besuch" des damaligen rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten Dr. Bernhard Vogel am 30. Januar 1984 im Studio von Radio Weinstraße.

Völlig unerwartet kam man dann auch zu einer terrestrischen Verbreitung, allerdings unter anderen Vorzeichen als den gewünschten: Die Deutsche Bundespost wollte im Frühherbst 1985 den ersten Sender der künftigen landesweiten Privatfunkkette, über deren Lizenzvergabe bald entschieden wurde, und die Zusammenarbeit mit der AKK, aus deren Studios der Betrieb abgewickelt werden sollte, testen. Die AKK benötigte für diese Versuchssendungen kurzfristig einen Produzenten, der die Programme bestreiten wollte, und fand  ihn, nur drei Tage vor dem Start, in Radio Weinstraße. Dieser Betriebsversuch fand während der Verbrauchermesse "Consumenta" in Ludwigshafen vom 28. September bis 6. Oktober 1985 über einen provisorischen UKW-Sender vom nahegelegenen Mannheimer Fernsehturm auf 103,6 MHz statt.

Die Bundespost betrieb den Mannheimer Sender nicht mit der nominellen Leistung von 2,5 Kilowatt, weil diese erst mit dem Inkrafttreten des Genfer Wellenplans zum 1. Juli 1987 zur Verfügung stehen sollte. Die Rundfunkbehörden der DDR wurden zwar um Erlaubnis zu einer vorzeitigen Nutzung gebeten, stimmten diesem Ersuchen aber nicht zu. So betrug die Sendeleistung am ersten Messewochenende nur etwa 800 Watt und wurde danach noch einmal auf 200 Watt heruntergefahren. Dennoch gingen bei Radio Weinstraße Hörerreaktionen und Empfangsberichte aus einem weiten Umkreis, aus Stuttgart, Baden-Baden, Kaiserslautern und dem Rhein-Main-Gebiet ein. Das war Mitte der 80er Jahre auch kein Wunder, nutzte doch außer den Sendern der NATO-Streitkräfte praktisch niemand den UKW-Bereich oberhalb von 100 MHz. Die "Consumenta-Messewelle" von Radio Weinstraße war gleichzeitig die erste terrestrische Ausstrahlung eines Privatsenders in Rheinland-Pfalz - wenige Wochen nachdem auf den drei Münchner UKW-Frequenzen 89,0 - 92,4 - und 96,3 MHz der frei zugängliche private Hörfunk in der Bundesrepublik gestartet wurde.

Zu jener Zeit jedoch hatten die Neustadter ihren Sendebetrieb aus wirtschaftlichen Gründen bereits drastisch reduziert: Auf ihrem Kanal im Kabel waren seit dem 1. Juli 1985, also eineinhalb Jahre nach Betriebsbeginn, nur noch fünf Programmstunden in der Woche zu vernehmen, jeweils am Sonntag von 10.00 bis 15.00 Uhr. Für die "Consumenta-Messewelle" wurden also viele freie und feste Mitarbeiter aus den früheren Monaten sowie Kollegen vom TV-Kabelsender EPF eingespannt. Trotz der nicht optimalen Voraussetzungen konnten die Privatfunkpioniere neun Tage lang ein achtstündiges Programm unter dem Motto "Die flotte Welle von der Consumenta" auf die Beine stellen: Regionalnachrichten, Messeinformationen, Unterhaltungsmusik und Gewinnspiele. Auch schafften es Hofherr und der Sendeleiter Gerhard Kerner, eine ausreichende Anzahl Werbekunden zu erhalten, so dass an den neun Tagen auf UKW erstmalig in der Geschichte von Radio Weinstraße kostendeckend gearbeitet wurde.

Doch trotz der Zustimmung zur Messewelle und des kommerziellen Erfolgs - die Weichen zum rheinland-pfälzischen Privatfunk waren bereits anders gestellt. Das Rundfunkgesetz sah zunächst nur eine landesweit operierende Sendekette mit Regionalstudios in Mainz, Koblenz, Trier und Ludwigshafen vor. Zudem waren schon Dutzende Interessenten, zusammengeschlossen in mehreren Konsortien, mit Lizenzanträgen an die AKK herangetreten. Dieter Hofherr konnte bereits absehen, dass seine Station kein erstes Instrument im künftigen Hörfunkorchester spielen würde und beschrieb mit einiger Resignation im Oktober 1985 die Situation wie folgt: "Wir, als Kabelpioniere, die über 3000 Sendestunden mit viel Finanzaufwand hinter uns gebracht haben, bedauern natürlich, dass uns dies keineswegs honoriert wird und nun andere auf den Zug springen, wenn's interessant wird."

Am 30. April 1986 begann mit den vier Lizenznehmern Rheinland-Pfälzische Rundfunkbetriebsgesellschaft (RPR), Private Rundfunkorganisation Rheinland-Pfalz (PRO), dem sozialdemokratisch-alternativen Linksrheinischen Rundfunk (LR) und Radio 85, die auf einer Senderkette gezwungenermaßen ein Gemeinschaftsprogramm unter der Bezeichnung Radio 4 veranstalteten, endgültig der Privatfunk in dem südwestlichen Bundesland. Radio Weinstraße war nur noch als einer unter vielen Gesellschaftern des mit gut 70 Prozent der Sendezeit größten Anbieters RPR mit von der Partie. Die größeren Partner in diesem Konsortium waren die Tageszeitungen des Landes, viele Verbände und die Kirchen. Einige ehemalige "Weinsträßler" Initiatoren und Moderatoren wechselten nach Ludwigshafen in die Studios der AKK in der Turmstraße 8 und waren fortan bei Radio 4 zu hören.

Für Radio Weinstraße bedeutete diese Entwicklung das Ende der eigenen Sendetätigkeit. Eine Resonanz auf die Ausstrahlungen im AKK-Hörfunkkanal 1 konnte aufgrund der terrestrischen Konkurrenz nicht mehr festgestellt werden, während die finanziellen Verbindlichkeiten der vergangenen Monate weiterhin bestanden und mangels Werbekunden nicht abgetragen werden konnten. Als Folge darauf wurde die Anzahl der Programmstunden weiter heruntergefahren: Im ganzen Monat September 1986 konnten gerade noch vier Programmstunden beobachtet werden - der "Pionier des Privatfunks in Deutschland" verstummte.

Thomas Völkner
Fotos und MP3-Mitschnitt: © Dieter Hofherr

Aus RADIOJournal 4/1996

• Dieter Hofherr in einem Leserbrief an RADIOJournal: ... heute bekomme ich durch Zufall Ihren Bericht über "Radio Weinstraße" in die Hand und möchte nicht versäumen, Ihnen zu sagen, dass dies einer der ehrlichsten und in Details am besten recherchierte Bericht über meine damalige "Radio-Pionierzeit" ist. Noch eine kleine Ergänzung zum Ende des Programms von Radio Weinstraße. Die letzte offizielle Livesendung war am 28. April 1986 (13.00 bis 15.00 Uhr Hörerwunschsendung »Immer gut auf Draht« mit Heinz-Jürgen Zubrod). Am 30. April startete dann in Ludwigshafen, terrestrisch über UKW 103,6 MHz "RADIO 4", was heute RPR Eins ist und in diesen Tagen 10-jähriges Jubiläum feiert. Dass ein Programm, wie von Radio Weinstraße im Endausbau geplant, Erfolg gehabt hätte, beweist seit Dezember 1991 "RPR Zwei - Das Schlagerradio" rheinlandpfalzweit aus Ludwigshafen (jedoch lizenzrechtlich bedingt, ohne Regionalsendungen, da Spartenprogramm). Zirka zehn Mitarbeiter von Radio Weinstraße (Moderatoren, Techniker, Musikredakteure) sind noch heute bei RPR beschäftigt und auch alle die damals frei für Radio Weinstraße gearbeitet haben, blieben in der Rundfunklandschaft keine Unbekannten. Ich selbst bin seit nunmehr zehn Jahren Technischer Leiter von Radio RPR und erinnere mich aber gerne hin und wieder im Gespräch mit "alten Mitkämpfern" von Radio Weinstraße an die Pionierzeiten, wo es selbstverständlich war, dass jeder mitanpackte, egal ob es Außenveranstaltung, aktueller Beitrag, oder Ü-Wagen-Waschen war. An den technischen, personellen und konzeptionellen Voraussetzungen lag es also nicht, sondern man gab leider von Seiten der Politik (das Rundfunkgesetz von 1985 sah nur eine landesweite UKW-Radiokette in Rheinland-Pfalz vor) den Pionieren beim Start des "richtigen Radios" über terrestrische Sender keine Chance, trotz einer Zusage des damaligen Ministerpräsidenten Dr. Bernhard Vogel bei einem Besuch im Studio von Radio Weinstraße am 30. Januar 1984. Glücklicherweise griffen jedoch die Gesellschafter von RPR beim Start auf die personellen und technischen Resourcen von Radio Weinstraße (als einem der kleinen Gesellschafter von RPR) zurück. So lieferte die Radio Weinstraße-Musikredaktion noch ein Jahr lang das komplette Musikprogramm für RPR aus dem gut bestückten Plattenarchiv.
(RADIOJournal 5/1996)

Die am 15. Juni 1982 gegründete AKK war als Anstalt des öffentlichen Rechts zugleich Lizenz- und Überwachungsbehörde, sowie Sendezentrale und Produktionsbetrieb für privat veranstaltetes Fernsehen und Radio. Grundlage bildete ein "Gesetz über den Versuch mit Breitbandkabel" zur Einführung und Erprobung des privaten Rundfunks. Aus den Überbleibseln - nach Einstellung des TV-Sendebetriebs - ist die "AKK TV-Übertragungs GmbH & Co. KG" hervorgegangen. Zu den Kunden der heutigen AKK gehören praktisch alle Fernsehanbieter in Deutschland und im angrenzenden Ausland. www.akk-tv.com