AIDS-Tod mit 50: Briten trauern um Kenny Everett
Dass er ein echtes Naturtalent war, erkannte sein damaliger "Radio London"-Kollege Paul Kaye schon, als er Kenny genau an einem 20. Geburtstag (am 1. Weihnachtstag 1964) zum erstenmal allein ans Mikro ließ. Paul gab ihm mit auf den Weg, er möge doch die Autofahrer immer mal wieder daran erinnern, wie wenig Fahren und Alkohol zusammenpassten. Kenny Everett machte es ihnen auf seine ganz unverkennbare Art und Weise klar: "Hallo, liebe Autofahrer. Falls Ihr gerade irgendwo Weihnachten feiern solltet, trinkt doch am besten gleich so viel, dass Ihr Euer Auto anschließend nicht mehr wiederfindet!"
30 Jahre später starb Kenny Everett, eines der größten Talente, das der britische Rundfunk (und später auch Fernsehen) der Nachkriegszeit je vorzuweisen hatte, an AIDS. Dass er infiziert war, wusste er schon seit April 1993 und meinte: "Jeder von uns hat den Tod immer in seiner Nähe. Es ist einfach nur so, dass ich ihn jetzt vermutlich etwas eher treffen werde als andere".
Keith Skues, sein langjähriger Kollege und Radiofreund, hat Kenny Everett in seinem Buch "Pop Went The Pirates" schon zu dessen Lebzeiten ein Denkmal gesetzt: Insgesamt 39 Seiten beschäftigen sich in der einen oder anderen Weise mit dem in Liverpool gebürtigen Kenny, zu dessen Geburtstag seine Mutter angeblich gesagt haben soll, alles, was sie gewollt habe, seien ein paar neue Strümpfe und Jahresabo der "Radio Times" gewesen, "und dann bekam ich statt dessen ihn!"
Seine erste Schule war die St. Edward's Primer; einer seiner Schulkameraden der spätere "Radio Caroline"-Top-Discjockey Mike Ahern. Mit 16 hatte er die Nase voll von der heimischen "Penne" und ging nach Südafrika, um dort eine Missionarsschule zu besuchen. Seine dortigen Leistungen in Mathematik ließen indes so sehr zu wünschen übrig, dass er sich schon einige Monate später in der Heimat wiederfand. Er jobbte mal hier und mal da. Statt vor der "Glotze" zu sitzen, beschäftigte er sich in der Freizeit lieber mit seinen beiden Secondhand-Tonbandgeräten, mit denen er für den Eigenbedarf die abenteuerlichsten Radioshows aufnahm, die seiner ausgeprägten Fantasie entsprangen. Eines der Bänder gelangte zufällig in eine BBC-Talentshow und wurde dort sogar gespielt. Kurz danach bewarb sich Kenny Everett mit dem gleichen Tonband beim gerade gestarteten Seesender "Radio London" - und bekam prompt einen Job als Discjockey. Doch "Big L" feuerte ihn, weil er eine abfällige Bemerkung über dessen - bezahltes - religiöses Programm "The World Thomorrow" gemacht hatte. Anschließend hörte man ihn im englischsprachigen Service von Radio Luxembourg, bevor er, zusammen mit seinem Freund Keith Skues, von "Radio London" in Gnaden wieder aufgenommen wurde.
Kenny Everett veröffentlichte, wie verschiedene andere Seesender-DJs auch, zwischen 1966 und 1983 eine Reihe von Schallplatten, die achtbare Charpositionen erreichten. Schon im Februar 1967 ging er wieder an Land zurück, um für die BBC zu arbeiten. Im Oktober des gleichen Jahres stieß er zu "Radio 1" - als Ersatz für die mittlerweile verbotenen Seesender ins Leben gerufen - wo er sich in Gesellschaft vieler ehemaliger Schiffskollegen wiederfand. Die erste Ausgabe seiner »Kenny Everett Show« auf "Radio 1" moderierte er im Januar 1968. Zwei Jahre später entließ man ihn auch dort, nachdem er sich erlaubt hatte, einen "Joke" über den Sender abzulassen, der den BBC-Oberen offenbar sauer aufgestoßen war. Längst wieder zu "Auntie BBC" zurückgekehrt, wiederfuhr ihm das gleiche Schicksal 1984 noch einmal. Diesmal hatte er über Margareth Thatcher gewitzelt, und erinnerlich war die "Eiserne Lady" nicht gerade eine Ausgeburt an Humor. Dauerhaft böse konnte man ihm im Londoner Broadcasting House offenbar nicht sein, denn obwohl er zum damals frisch an den Start gegangenen Privatsender "Capital Radio" ging, war er zwischendurch immer wieder in BBC-Sendungen zu hören und mittlerweile auch zu sehen.
1982 veröffentlichte Allround-Show-Talent Kenny Everett ein - "The Custard at Hatfield" betiteltes - Buch, bevor er ein Jahr später die geschockte Öffentlichkeit über seine HIV-Infektion informierte. Dass ihm danach noch exakt zwei Jahre bleiben würden, bis der Tod bei ihm anklopfte, dürfte er kaum gewusst haben.
Jürgen Steinhoff
Fotos: © Archiv Hans Knot
Aus RADIOJournal 6/1995