Die »Stimme der Nächstenliebe«
Ein
christlicher Radiosender im Libanon
Zu Pfingsten 1984, mitten im libanesischen Bürgerkrieg, nahm sie ihren Betrieb auf: die christliche Radiostation „Stimme der Nächstenliebe“ (Voice of Charity, arabisch: Saut al-Mahabba). Ein Signal der Hoffnung sollte sie sein, politisch unabhängig und nur der Verkündigung gewidmet.
Die Station hat ihre Heimat in Jounieh, einem Ort an der Mittelmeerküste etwa 20 Kilometer nördlich von Beirut. Während des Bürgerkrieges war Jounieh zeitweise eine Art provisorische Hauptstadt der christlichen Bürgerkriegspartei. Heute ist sie eine Hochburg des wieder aufstrebenden Tourismus.
Der Sender wird betrieben von der Libanesischen Missionarskongregation. Seit 1997 strahlt er rund um die Uhr auf mehreren UKW-Frequenzen und auch im Internet christliche Programme auf Arabisch (mit 20 Stunden pro Tag der Löwenanteil), Französisch und Englisch aus. Gelegentlich wird auch in anderen Sprachen gesendet, vorzugsweise für die Gastarbeiter im Land: zum Beispiel in Sinhala, Tagalog, Amharisch und weiteren afrikanischen und asiatischen Sprachen.
Unter den Mitarbeitern sind sowohl Priester als auch Laien. „Bei uns kommen nicht nur die Katholiken oder Maroniten zu Wort, sondern auch die übrigen christlichen Gemeinschaften im Land“, so Herr Maroun, der unter anderem für die englischen Programme verantwortlich ist. Und: „Heute sind wir im Libanon die einzige dezidiert christliche Station“ - auch wenn es weitere Sender der politischen Organisationen der Christen gibt.
Im Libanon sind insgesamt 32 Radiostationen lizenziert. Gut ein Dutzend weitere haben keine offizielle Erlaubnis, werden aber geduldet. Die Lizenzen wurden in zwei Kategorien erteilt: zum einen für politische Sender. Hier hat jede halbwegs wichtige Gruppierung ihr eigenes Radio, von den „rechtsgerichteten“ christlichen Falangisten bis zur kommunistischen Partei und zur islamistischen Hizbollah.
Die übrigen Stationen wurden unter dem Begriff „Entertainment“ zusammengefasst. Interessanterweise findet man die Voice of Charity unter diesen Unterhaltungssendern. Ein wichtiger Kooperationspartner ist Radio Vatikan. Die VoC übernimmt unter anderem kirchliche Nachrichten von dort, im Gegenzug wird täglich eine halbe Stunde des eigenen Programms über die Kurzwellensender von Radio Vatikan in alle Welt ausgestrahlt. Nachdem die „Voice of Lebanon“ schon vor mehreren Jahren den Kurzwellenbetrieb eingestellt und entgegen einiger Ankündigungen nicht wieder aufgenommen hat, ist die Voice of Charity zurzeit die einzige libanesische Station, die auf Kurzwelle zu hören ist.
Am 6. Mai 2005 wurde die Voice of Charity Opfer eines Bombenanschlages. Mindestens 20 Kilo Sprengstoff detonierten unmittelbar vor der Station. Dabei wurde der größte Teil des Gebäudes zerstört, eine angrenzende Kirche schwer beschädigt. Der Anschlag forderte ein Todesopfer, sieben Schwer- und mehrere Leichtverletzte. Der Sachschaden wurde mit insgesamt fünf Millionen US-Dollar beziffert.
Wiederaufbau nach der Zerstörung
Wer für den Anschlag verantwortlich ist, wurde offiziell nicht geklärt. Es übernahm auch niemand die Verantwortung. Es wird aber vermutet, dass es sich um dem Nachbarland Syrien nahestehende Geheimdienstkreise handelt, die auch für den Mord am ehemaligen Ministerpräsidenten Hariri verantwortlich gemacht werden. Am Tag zuvor hatte die Station nämlich (als einzige live) über eine Protestaktion berichtet, die von Angehörigen libanesischer Gefangener in Syrien vor dem Beiruter UN-Gebäude abgehalten worden war. Angeblich sitzen noch immer etwa 600 Libanesen in syrischen Gefängnissen, darunter zwei maronitische Priester. In Damaskus wird dies jedoch bestritten.
Vielleicht war die Voice of Charity aber auch gar nicht das eigentliche Ziel. In unmittelbarer Nähe befindet sich nämlich das Hauptquartier des Christengenerals Aoun, der am folgenden Tag nach längerem Exil in die Heimat zurückkehren sollte.
Der Anschlag brachte die „Stimme der Nächstenliebe“ jedoch nicht zum Verstummen. Schon nach wenigen Stunden wurde der Sendebetrieb wieder aufgenommen. Heute arbeiten die Mitarbeiter in behelfsmäßigen Büros und Studios im unzerstörten Teil des Gebäudekomplexes. Der Wiederaufbau hat mittlerweile begonnen. „Es wird mindestens noch zwei Jahre dauern“, so Pater Omar El-Hashem. Ungefähr zwei Millionen Dollar werden dafür noch benötigt. Sie sollen vor allem durch Spenden von im Ausland lebenden christlichen Libanesen erbracht werden.
Hans Weber
Fotos: © Hans Weber
www.radiocharity.org
Aus RADIOJournal 2/2006