BFBS: Weit entfernt vom Vorruhestand
Wenn von medialer Umerziehung der Deutschen nach dem Krieg die Rede ist, fallen meist zwei Stichworte: Glenn Miller und AFN. Der Jazzorchester-Heroe steht als Synonym für die kulturelle Eroberung Deutschlands durch die Aliierten mit einer Musik, die sechzehn Jahre verboten war. Und AFN - das war der Code für das Transportmittel dieser Kulturrevolution. Doch diese Verallgemeinerung hat einen Fehler: Die drei Buchstaben gelten nur für einen Teil Deutschlands, die amerikanischen Besatzungszonen. In den anderen Gebieten müsste zumindest ein Buchstabe geändert und das A durch B ersetzt werden. Denn im Nordwesten des besetzten Landes besorgte der Britische Soldatensender BFN die mediale Eroberung.
Feierte man Anfang des letzten Jahres AFN’s 60., so waren im Dezember die Briten dran, den Eintritt in den Vorruhestand zu feiern. Wenn auch der Sendestart in Deutschland erst im Sommer 1945 ablief, so sehen ihrer Majestät’s Soldaten einen ersten Probelauf im Rahmen des Afrikafeldzuges als den eigentlichen Geburtstag des neuen Radios an.
Trotz sechs Jahrzehnten auf dem Buckel: Von Vorruhestand kann beim BFN oder BFBS, wie er sich seit den Sechziger Jahren nennt nicht die Rede sein. Im Gegensatz zu seinem amerikanischen Pendant ist der Britische Soldatensender „liver“ denn je. Werden beim AFN immer mehr Eigenprogramme durch US-Network-Übernahmen ersetzt, haben die Briten speziell bei den Kriseneinsätzen der letzten Jahre das handgemachte Radio vor Ort wiederentdeckt. BFBS Radio 1, der Top-40-Sender, kommt zu großen Teilen von Moderatoren und Journalisten aus Studios, die nahe bei den Soldaten in der Lüneburger Heide, auf dem Balkan oder dem vorderen Orient untergebracht sind.
Ehemaliges BFBS Headquarters Köln
BFBS Radio 2 mauserte sich vom schlichten Durchlauferhitzer anspruchsvoller BBC-Sendungen zum AC-formatierten Magazinradio, auf dem die alten Recken der glorreichen Zeiten des BFBS in den Siebzigern (damals war er in Köln-Marienburg untergebracht) immer noch weit entfernt vom Ruhestand präsent sind. Richard Astbury, mit seinen legendären, schlüpfrigen Morgen-Phone-Ins - Urvater aller deutschen Talkradio-Moderatoren, ist auf „Radio 2“ ebenso noch zuhause wie Dave Raven oder Oldie-Papst Dave Simmonds mit seiner »Rockola«.
Weitere Kinder der ewig jungen BFBS-Familie sind das neue Ghurka-(Radio) Network und der Fernsehzweig SSVC-TV. Was Ende der Siebziger in einem umgebauten Möbelwagen auf einem Kasernengelände in Werl/Westfalen begann, ist heute ein Vollprogramm aus BBC- und ITV-Übernahmen.
Der Britische Soldatensender und die Deutschen: Erst war es Chris Howland, der vom BFN in der Hamburger Musikhalle zum benachbarten Nordwestdeutschen Rundfunk (NWDR) wechselte, und radebrechend den Wirtschaftswunderkindern zeigte, was ein Rock’n’Roll-DJ ist. In den Sechzigern war es die „Top Twenty“-Show, die samstags spätabends unter der Bettdecke gehört, den Blumenkindern „Swinging London“ mit Beatles und Stones nahebrachte. In den Siebzigern zeigte uns das Soldatenradio - lange vor dem deutschen Privatfernsehen-, wie man nach einer Daily Soap süchtig werden konnte. Die täglichen Herz-und Schmerz-Storys, die aus der fiktiven Nord-Londoner Straße „Waggoner’s Walk“ kolportiert wurden, lehrten uns aber wenigstens die englische Alltagssprache. Und BFBS in den letzten beiden Jahrzehnten? Immer noch ein unverwüstlicher Lehrmeister für alles, was Radio-Handwerkszeug ist.
Ludwig Schieffer
Foto: © RJ
Archiv
www.bfbs.com
Aus RADIOJournal 1/2004
• Keine glückliche Hand bewies die Programmleitung des britischen Soldatensenders BFBS. Als Londoner Nachfolger des seit Jahren allgegenwärtigen Tommy Vance wurde für die Zweistunden-Black-Music-Show wieder auf den BBC-Mann Andy Peebles zurückgegriffen. Die Syndication-Show aus den Londoner Studios heißt jetzt nicht mehr »Soul-Bowl«, sondern »Soul-Train«. Einher ging mit der Umbenennung eine Umformatierung der Show, weg von der breiten Vanc’schen Mischung aller schwarzen Stilrichtungen der Dancefloor-Music hin zum – wie Peebles es nennt – „real Soul“. Das aber bedeutet: weniger aktueller Chart-Soul, dafür viel Black Album Music, Gospel und Blues. (Radio-Skala 1/1990)• Seinen Standort verlegt hat der britische Soldatensender BFBS (British Forces Broadcasting Service). Seit 15. Oktober 1990 wird das Programm in Herford koordiniert. Über 40 Jahre war die Zentrale in Köln stationiert. Nun will man dort sein, wo sich die "Stammhörer" (britische Truppenangehörige und ihre Familien) befinden. So wird in Sennelager (Raum Paderborn) ein zusätzliches Studio eingerichtet. In einem Gespräch mit der Neuen Westfälischen Zeitung sagte Programmchef und Intendant Richard Nankivell: "Nur 65 Programmstunden bezieht BFBS wöchentlich von der BBC aus London". Das übrige Programm wird in der Sendezentrale und den Studios in Ostwestfalen, Niedersachsen und Berlin zusammengestellt. In Bielefeld gibt es einen Regionalstützpunkt. Ausgestrahlt wird das Programm über zehn Sender im nordwestdeutschen Raum, in den Niederlanden und Belgien. Dazu kommt "BFBS Radio 2" für Bielefeld-Stadt (101,5 MHz), Bergen-Hohne, Lippstadt, Münster und Osnabrück. (Radio-Skala 9/1990)
• Mit dem Titel "You took the word right out of my mouth" eröffnete BFBS (British Forces Broadcasting Service) die neue Radiozukunft aus Herford. Entgegen der ursprünglichen Ankündigung hatte sich der Termin vom 15. auf den 22. Oktober verschoben. Die Ausstrahlung erfolgt live aus Block B in der Herforder Wentworth-Kaserne. Den Start macht Glen Mansell mit seiner »Morning Show«. Von 6.00 bis 24.00 Uhr versorgen Alton Andrews, Natalie Haughton, John Jevons und Chris Pratt ihre Hörer mit Nachrichten und Informationen. Nachts gibt es Musik vom Band. Die News kommen von der BBC aus London. Freie Mitarbeiter in Deutschland berichten über landesweite Themen. Vier Jahrzehnte lang residierte der Sender in einer schönen Villa in Kölns bester Stadtlage. Der Umzug fiel nicht leicht. Doch die Mitarbeiter sind an unterschiedliche Arbeitsplätze gewöhnt, ob auf Zypern, in Belice oder den Falklandinseln. Foto: © Karl Michael Gierich vom TV (Radio-Skala 10/1990)
• Radio-Gala: Am 29. Juli 1945 schlug die Geburtsstunde des norddeutschen Nachkriegsrundfunks. Waren es anfangs noch die britischen Besatzungstruppen, die damals unter dem Namen "BFN" (später BFBS) den Grundstein für ein demokratisches Hörfunksystem legten, bleibt gleichwohl unvergessen, dass die Soldaten des Vereinigten Königreichs ihr erstes Domizil in der Hamburger Musikhalle aufschlugen und von dort aus zu senden begannen. Anlass genug für eine festliche Gala dortselbst am 25. Juni 1995 mit Höhepunkten aller Art, zu denen auch verschiedene Moderatoren zählen, die sich zu jener Zeit "Discjockeys" zu nennen begannen; darunter die Altmeister Chris Howland und Richard Astbury, Robin Boyle und Sarah Kennedy. Mit von der Partie beim BFBS-Musikhallen-Event auch die NDR Bigband, die Band Of The Royal Tank Regiment und Popsänger Georgie Fame. (RADIOJournal 6/1995)