»Juanita, komm mit dem Esel zur Tankstelle« Bürgerradios in Ecuador (Teil 1)
»Noticias comunitarias« - Meldungen aus der Gemeinde, die viel Zeit und Konzentration kosten, denn jeder Buchstabe wird sorgfältig gemalt, da die Übung im Schreiben und Lesen fehlt. Während des Workshops merken wir, dass unsere Methode viel zu sehr auf Schreib und Lesekenntnissen basiert. Die Herausforderung heißt also, wie schult man Menschen in der Redaktion von Radionachrichten, ohne diese Techniken?
Sechs
Uhr morgens, eine Stunde weniger in Galápagos: Die schwarze Mähne
von Myriam Carreño weht durch die engen Flure zwischen
Redaktionsraum und Sendestudio, in den Händen der langjährigen
Chefredakteurin ein paar lose Blätter, die der Nadeldrucker gerade
ausgespuckt hat. Es ist Zeit für die erste, halbstündige Ausgabe des
populären Nachrichtenmagazins »Ecuador en contacto«. Populär ist die
Sendung, die per Satellit an 22 Bürgerradios im Land übertragen
wird, vor allem bei den armen, mittellosen und wenig gebildeten
Bewohnern der ländlichen Gegenden im Andenhochtal, dass das ganze
kleine Land durchzieht und im Umkreis der Städte und Dörfer der
Amazonasregion, wo CORAPE acht Mitgliedsradios zählt. CORAPE, das
steht für „Coordinadora de Radios Populares y Educativas del
Ecuador“, also etwa „Koordinierungsbüro für Bürger- und
Bildungsradios in Ecuador“. Im Bild:
Morgenstimmung im Andenhochland, auf
der berühmten "Straße der Vulkane", die Alexander von Humboldt
begeistert so taufte. Von Quito aus sind bei gutem Wetter drei "nevados",
schneebedeckte Vulkangipfel zu sehen, im Land gibt es acht aktive
Vulkane.
Myriams
Themen an diesem Morgen: Ein Resümee der Demonstrationen gegen die
Regierung, Kommentare aus dem Führungskreis der Indígena-Vertretung
CONAIE zu den Verhandlungen über einen Freihandelsvertrag mit den
USA, ein Bericht vom Streik der Angestellten im staatlichen
Gesundheitswesen, die seit Monaten keine Gehälter bekommen haben und
eine Solidaritätsadresse an die Radios in Bolivien, die, ebenso wie
die Koordinierungsstelle für Bürgerradios in Ecuador, Mitglied des
lateinamerikaweiten Radioverbands ALER sind. Die dortigen Kollegen
sitzen im Nachbargebäude eines bürgerlichen Wohnviertels in der
Mitte Quitos und stellen zur gleichen Zeit nicht nur die Qualität
der Übertragung per Satellit sicher, sondern auch eine
Nachrichtensendung zusammen, die sich ähnlichen Themen, aber mit
Beiträgen aus dem ganzen Sprachraum widmet. Im Bild:
Immer mehr Bürgerradios richten sich
mit Programmen in Kichua an einen Bevölkerungsanteil, der
jahrhundertelang keine Stimme in der Öffentlichkeit hatte. Da sich
die Kichua-Dialekte der Amazonia und der Küste stark unterscheiden,
haben eigene Sprachforscher ein "vereinheitlichtes Kichua"
entwickelt, das in den meisten Radios benutzt wird.
Kurz nach Beginn der Sendung, gerade läuft ein Werbespot des Umweltprogramms der Vereinten Nationen, erhält der Techniker Guillermo Mazapanta einen Anruf aus Sucumbios, einem Ort im Norden des ecuatorianischen Amazonasgebietes, nahe an der Grenze zu Kolumbien: Es habe am Vortag wieder Grenzverletzungen der kleinen Flugzeuge gegeben, die über kolumbianischem Gebiet Kokafelder mit dem Planzengift Glifosat besprühen, Dorfbewohner hätten aus Protest die einzige Zugangsstraße nach Sucumbios blockiert und außerdem sei eine Pipeline der staatlichen Erdölfördergesellschaft Petroecuador in Brand geraten, nachdem Benzindiebe versucht hatten sie anzuzapfen, meldet der Reporter, der gerne live in die Sendung will. Kein Problem für Guillermo, der mit viel Routine den Telefonhybriden auf das Mischpult schaltet, im Archiv seiner Studiosoftware nach einem passenden Jungle sucht und Myriam durch die Trennscheibe international verständliche Handzeichen gibt. Die Anchorfrau des Nachrichtenprogramms, dass seit rund 15 Jahren Meldungen dieser Art aus den extrem unterschiedlichen Landesteilen Ecuadors zusammenträgt, moderiert den Beitrag aus dem konfliktreichen Grenzgebiet mit Worten an, die auch eine einfache Quichua-Bäuerin in der Sierra oder einen afroecuatorianischen Krabbenfischer an der Pazifikküste neugierig machen.
David
Granja, Begründer und Chefredakteur des Radios "Estereo Ideal" in
Tena, im nordwestlichen Amazonasgebiet, kann stundenlang Anekdoten
über die Korruption in seiner Gegend erzählen. Doch der Sarkasmus
weicht echter Leidenschaft, wenn er sich mit seinen Mitarbeitern auf
die Seite der Indigena-Gemeinden stellt, die von neu erschlossenen
Fördergebieten bedroht werden.
Die Routine der Radioaktivisten im ganzen Land, die oft mit einfachster Technik dafür sorgen, dass ihre Zuhörergemeinden über die nationalen und lokalen Geschehnisse informiert werden, ist bewundernswert und sicher kommt den Südamerikanern dabei ihr bekanntes Improvisationstalent und die Kultur der mündlichen Tradierung zur Hilfe. So kann der Reporter aus Sucumbios, nachdem er seinen Bericht live und ohne Manuskript ins Telefon gesprochen hat, problemlos überleiten zu einem besonders wichtigen Serviceelement seiner „Morningshow“, in dem er Grüße und Informationen der Hörer verliest: „Juanita, komm bitte heute Nachmittag zur Tankstelle und bring den Esel mit, ich habe die Einkäufe gemacht, es grüßt dein Camilo“ oder: „Die Kooperative San Pedro lädt alle Mitglieder für Freitag zu einer ‚Minga’ ein (traditionelle kollektive Arbeitsbrigade) um den Abflusskanal zu reinigen - Brüder und Schwestern, wir brauchen jeden Arm!“
Mitteilungssendungen
dieser Art ersetzen in vielen ländlichen Gemeinden das Telefon und
sind sehr beliebt, da sie ein bisschen Klatsch und Tratsch mit
wichtigen Informationen verbinden und in den abgelegenen Regionen,
sei es in der Amazonía oder in der Sierra, ohnehin jeder jeden
kennt. Daher hat fast jedes der 55 Mitgliedsradios von CORAPE dieses
Segment zumindest im Programm seiner Mittelwellensender, die sich
mit der regionalen Musik und oft auch Sendungen in den jeweiligen
Sprachen der Indígenas auf ihre bäuerlichen Zielgruppen
spezialisiert haben, während die UKW-Frequenzen das städtische
Publikum und hier besonders die immense Zahl der Jugendlichen
erreichen sollen, die besonders unter der permanenten
Wirtschaftskrise und der massiven Emigration von rund einem Sechstel
der Bevölkerung in die USA, nach Spanien und Italien leiden.
Wer
sich ein wenig im Land auskennt, sieht sofort, dass dieder Hut und
dieser Poncho in die südliche Region Cañar gehören. Die 14
Kichua-Stämme unterscheiden sich nicht nur durch Kleidung, Haarlänge
und Dialekt, sondern auch durch ihren politischen Organisationsgrad
und ihre Wirtschaftsformen.
Neben Nachrichtenmagazinen mit besonderem Blick auf die benachteiligten Bevölkerungsgruppen, Grußsendungen mit viel Informationsgehalt und der jeweiligen regionalen Musik sind es besonders die erzieherischen Programme, die die Bürgerradios in Ecuador und ganz Lateinamerika von ihrer kommerziellen Konkurrenz unterscheiden. Ärzte geben einfache Ratschläge zur Ernährung, Vertreter ländlicher Kooperativen erklären, wie die Bauern Kleinkredite zum Kauf von Saat- und Düngemitteln erhalten und in einem Salsianersender in Macas, einem Ort am Rande des schwer zugänglichen Amazonasbeckens, betreut ein Dutzend staatliche Lehrer rund 2.600 Grundschüler mittels dreier Kurzwellenfrequenzen, die in den Lehmhütten der Shuar-Indianer empfangen werden.
Rund 80 bucklige Landepisten haben die Salesianer für ihre Kleinflugzeuge angelegt, die meist die einzige Verbindung zur Außenwelt bieten und neben Werkzeugen, Medizin oder schwer Kranken auch die Klassenarbeiten der Schüler nach Macas transportieren, wo sie beurteilt werden. Nach einem staatlichen anerkannten Radiolehrplan werden so die jungen Generationen der oft noch sehr traditionell lebenden Stämme der Amazonía mit einer Welt in Berührung gebracht, die sie wohl noch nie besucht haben, deren Entwicklung aber auch ihre Zukunft bestimmt, denn die Bäume und das Frischwasser der Amazonasregion sind genauso in den Blickpunkt ecuatorianischen, aber auch der US-Regierung und der jeweiligen Wirtschaftsunternehmen gelangt, sowie seit den 70er Jahren das Erdöl Ecuadors. Die staatlichen lokalen Pipelines werden am Fuß der Anden zu einer einzigen gebündelt. Sie transportiert das Öl über einen 4.000 Meter hohen Pass, rund 500 Kilometer weit bis an die Küste.
Die
alte Pipeline, sowie der gerade abgeschlossene Bau einer neuen,
diesmal von privaten Investoren und all die politischen,
ökologischen und sozialen Folgen der Erdölförderung sind wahrhaftige
„Dauerbrenner“ in der Berichterstattung der lokalen Bürgerradios,
ebenso wie im Nachrichtenmagazin der CORAPE. In den vergangenen 30
Jahren ist allein die transandine Pipeline 70 Mal gebrochen und hat
Land und Flüsse vergiftet. Das Röhrennetz im Fördergebiet hingegen
befördert auch „weißes“ Benzin, dass von Banden gestohlen wird, wohl
auch weil es zur Produktion von Kokain in der Nachbarprovinz in
Kolumbien benötigt wird, um die sich seit 40 Jahren Guerrillagruppen
mit dem staatlichen Militär und den rechten Paramiltärs streiten.
Obwohl das Erdöl einen Großteil der Einnahmen für den staatlichen
Haushalt liefert, machen die sozialen und ökologischen Folgen der
Förderung und des Transports in den großen Medien Ecuadors selten
die Schlagzeilen. Zu eng sind die Interessensverflechtungen der 14
Familien und Wirtschaftsunternehmen, denen diese Medien und ein
Gutteil der Industrieunternehmen gehören mit diesem Geschäft und
seiner politischen Kontrolle. Kein Wunder in einem Land, in dem nach
Schätzungen rund ein Drittel des ohnehin kleinen Staatshaushaltes
von rund sechs Milliarden Dollar pro Jahr durch Korruption verloren
gehen. Im Bild:
Schuhputzer prägen in allen Orten das Straßenbild, auch auf der
Plaza Grande in Quito. Dass eine Frau den Service in Anspruch nimmt,
deutet auf einen schleichenden Wandel im Geschlechterverhältnis hin.
Journalisten, die sich nicht an die ungeschriebenen Gesetze der Korruption und des Nepotismus halten, riskieren ihr Leben, wie politisch motivierte Morde auch in jüngster Zeit wieder gezeigt haben. Daher kommt einem solidarischen Netzwerk, wie es die alternativen Bürgerradios der CORAPE bilden, auch eine Schutzfunktion für ihre Mitglieder und letztlich die unabhängige Berichterstattung zu. In der Hauptstadt Quito kam dies im März diesen Jahres Radio „La Luna“ zu gute, dem wegen regierungskritischer Berichterstattung kurzerhand mit Lizenzentzug gedroht worden war. Tagelang wurden Solidaritätsanrufe von Radiochefs aus ganz Ecuador und Lateinamerika auf Sendung genommen und „Ecuador en contacto“ berichtete über die Solidaritätsdemonstrationen, so dass ein öffentlicher Druck entstand, der die voreiligen Drohungen mancher Politiker verstummen ließ, zumindest vorrübergehend.
Der
stolze, ausgebrannte Vulkan Imbabura in der gleichnamigen nördlichen
Provinz, davor der Sa-Pablo-See und im Vordergrund zwei Frauen des
Otavalo Volkes in ortsüblicher Kleidung. Die „Otavaleños“ vermarkten
Kunsthandwerk, Onchos und Strickwaren aus Alpaca-Wolle in die ganze
Welt und sind als Musiker in vielen deutschen Fußgängerzonen
präsent.
Denn nicht nur die Mitarbeiter von „La Luna“ werden mitunter von Fahrzeugen mit verdunkelten Scheiben bis nach Hause verfolgt. Auch das soziale Engagement des Senders ERPE in Riobamba, einer stark Kichua-geprägten Stadt in der Mitte des Landes, provoziert Bedrohung, Verfolgungen und Störversuche einer skrupellosen Politik- und Wirtschaftsmafia die die Bevölkerung des agrarischen Ecuadors in einer unnötigen Armut und Unmündigkeit hält. ERPE steht für „Escuelas Radiofónicas Populares del Ecuador“ und wurde als „Radio-Volksschule“ vor über 40 Jahren von engagierten Befreiungstheologen um den Bischof Monseñor Leonidas Proaño gegründet.
Nach
überzeugenden Erfolgen in Bekämpfung des Analphabetismus und der
Steigerung des Selbstwertgefühls der Kichuas rund um den
Vulkan-Giganten Chimborazo, wandelte sich das Radioprojekt im Laufe
der Jahrzehnte zu einer Stiftung mit kommerziellen Zwecken: Seit
einigen Jahren wird in dem gepflegten Hacienda-Anwesen die
Verarbeitung und internationale Vermarktung von ökologisch
angebauter Quinua, einem proteinreichen andinen Getreide
organisiert. Ein paar hundert Bauernfamilien werden auf der
Mittelwellenfrequenz über die besten Anbaumethoden geschult, die
Organisation der zeitversetzten Aussaat und Ernte haben gewählte
Bauernvertreter mittlerweile selbst in die Hand genommen. ERPE zahlt
einen Festpreis und verkauft das Produkt vor allem an einen
Zwischenhändler in den USA, der Bioläden im Raum Chicago beliefert.
Der Festpreis hat das Durchschnittliche Jahreseinkommen dieser
bitterarmen Familien von gerade mal 230 US-Dollar um rund 60 Prozent
gesteigert - eine traumhafte Wachstumsrate, die die Regierung
endlich von einer aktiven Landwirtschaftspolitik überzeugen sollte. Im
Bild: Der CORAPE-Reporter
Ramón Bravo interviewt einen Dorfbürgermeister, der berichtet, dass
der Preis für einen Sack Kartoffeln (25 kg) auf dem nächsten Markt
auf einen Dollar gesunken ist, während die Buskooperative
genausoviel für den Transport des Sacks verlangt.
Doch
der Sprung zurück in die Nachrichtenredaktion von CORAPE, in der
Myriam Carreño gegen Ende ihrer Schicht die Mittagssendung
vorbereitet, scheint eher das Gegenteil zu beweisen: Wieder einmal
rückt die Redaktion mit ihren fünf Hauptstadtreportern den geplanten
Freihandelsvertrag mit den USA in den Mittelpunkt, denn wenige Tage
vor der nächsten wichtigen Verhandlungsrunde ist der führende
Vertreter Ecuadors von seinem Posten zurückgetreten und die
Indígenavertreter haben ihre Fundamentalopposition zu dem Projekt
bekräftigt. Gerüchte gehen um, dass die Versammlung der Organisation
Amerikanischer Staaten (OAS) Anlass zu einem landesweiten Aufstand
bieten sollen, die letztlich den seit 16 Monaten amtierenden
Staatspräsidenten Lucio Gutierrez zur Amtsaufgabe zwingen könnten. Im
Bild: Sie sind stundenlang
gelaufen um zu lernen, wie man eine Nachrichtenmeldung verfasst:
Teilnehmer eines Workshops, die in Zukunft aus ihren entlegenen
Gemeinden Beiträge für das Bürgerradio in Guamote, Provinz
Chimborazo, liefern wollen.
Das alles sind auch Themen für die tägliche Sendung von José Atupaña, der allerdings dazu auch Zugang zu ganz besonderen Informationsquellen hat, denn seine tägliche Sendung ist in Kichwa, der ecuatorianischen Variante der Inka-Sprache, die ähnlich auch in Peru und Bolivien gesprochen wird.
Unter
den verschiedenen Urvölkern der Region sind die Kichwa mit
geschätzten 3,5 Millionen das größte und offenbar auch am besten
organisierte, denn ihre politische Vertretung saß vergangenes Jahr
immerhin für ein paar Monate auf der Regierungsbank und wenn die
Kichwa-Verbände ihre Mitglieder zu Streiks und Demonstrationen
aufrufen, gehen zumindest in der Sierra Hunderttausende auf die
Panamericana. Seit sechs Jahren trägt CORAPE dieser Realität
Rechnung indem Kichwa-sprachige Radios vielerart unterstützt und in
der täglichen Nachrichtensendung zusammengeschaltet werden. Josés
Job ist dabei vielleicht der schwierigste in dem Koordinierungsbüro,
denn die Ansichten vieler Indígena-Vertreter sind radikal und
kompromisslos und ein Live-Interview kann leicht in Aussagen mit
politischer Sprengkraft gipfeln. Im Bild:
In einer Umgebung aus Lehmhütten ohne
Strom und fließendem Wasser wirken Zivilisationsprodukte wie ein
Kassettenrekorder fast absurd, werden aber schnell zum
Alltagsgegenstand, wenn damit endlich die Belange der eigenen
Gemeinde in das lokale Bürgerradio gebracht werden können. Der
wichtigste Ratschlag hier: bewahre deinen Rekorder in einer
Plastiktüte auf, damit er nicht einstaubt!
Ein
sehr typisches Bild für Ecuador: unfertige Zementgebäude, eine
Kirche mit Kolonialfassade und Wellblechdach, jede Menge Kabel,
Eucalyptusbäume und im Hintergrund die Aschewolke des Vulkans
Tungurahua.
In der allgemeinen Redaktionshektik versucht derweil Sandy Chavez Ordnung in ihre Rechercheunterlagen zu bringen. Seit einigen Monaten betreut die CORAPE-Reporterin eine wöchentliche Sendung für hunderttausende Emigranten aus ganz Lateinamerika in Spanien. Allein von den knapp zwei Millionen Ecuatorianern, die im letzten Jahrzehnt das Land verlassen haben und sich in den Industriestaaten als Kellner, Erntehelfer, Tagelöhner und Prostituierte durchschlagen, sollen rund 60 Prozent in Spanien leben, meist ohne Visum und Arbeitserlaubnis. Natürlich hat niemand genaue Zahlen über dieses Massenphänomen, aber der Zuspruch zu Sandys wöchentlichem Magazin ist enorm. Auch hier werden oft unter Tränen Grüße in die Heimat ausgestrahlt, aber es kommen auch Nicht-Regierungsorganisationen zu Wort, die die „Illegalen“ unterstützen und beim Madrider Terroranschlag vom 11. März waren eben auch legal oder illegal in Spanien lebende „Latinos“ unter den Opfern, was eine sensible Berichterstattung forderte.
Neben
den beiden Nachrichtenredaktionen, die in drei spanischsprachigen
Magazinausgaben und einer in Kichwa jeden Tag Meldungen aus der
Hauptstadt mit Korrespondentenbeiträgen aus den Provinzen
kombinieren, teilen sich weitere sechs Kolleginnen und Kollegen bei
CORAPE die beiden Telefonleitungen nach draußen: Die junge Chefin
Gissela Dávila, gewählt vom Gremium der Mitgliedsradios, ihre
Sekretärin, eine Produzentin, eine Buchhalterin und die zwei
Mitarbeiter der Ausbildungsabteilung: Hier ist ein einheimischer
Journalist und eine Fachkraft des Deutschen Entwicklungsdienstes
(DED) aktiv, Autor dieses Berichts. Die Chefin, die Produzentin und
die beiden Ausbilder arbeiten Hand in Hand, denn zusammen sorgen sie
für die Finanzierung des Ganzen, indem gemeinsam große und kleine
Projekte für international tätige Organisationen mit Interesse an
Öffentlichkeitsarbeit durchgeführt werden. Kunden wie UNICEF, die
GTZ, der DED oder auch die Weltbank kaufen oft ganze Kampagnenpakete
bei CORAPE, die die Produktion und Sendung von Werbespots und
Reportagen sowie die Fortbildung der Journalisten in den
Mitgliedsradios umfassen. Im Bild:
In Sichtweite der Landeshauptstadt
Quito erhebt sich der perfekt geformte Kegel des aktiven Vulkans
Cotopaxi (5.897 Meter), der bei einem Ausbruch eine gigantische
Katastrophe anrichten würde: In kürzester Zeit, so die Fachleute,
würden die Eismassen schmelzen, die Schlammlawine könnte bis zu
100.000 Menschen töten ... dabei sieht der Berg an einem sonnigen
Tag einfach wunderschön und friedlich aus.
Beispiel Weltbank: Der Kampf gegen die Korruption sollte mittels Spots und Fortbildungen auch in die Bürgerradios getragen werden. So lud mein Kollege Camilo Escobar für zwei Workskops im Mai und im Juni Fachleute aus Quito, Peru und Mexiko ein, um das neue Gesetz zur Offenlegung der Kommunalen Finanzen zu erläutern und von der Praxis in anderen lateinamerikanischen Ländern zu lernen, wobei ich ihn in der Methodik beraten habe. Die Gesetzesvorlage war von einer Nicht-Regierungsorganisation entwickelt worden, die Camilo dank seiner guten Kontakte zur Präsentation und Erläuterung bewegen konnte, dazu kamen Beiträge der „Zivilen Kommission zur Kontrolle der Korruption“, ein investigativer Journalist, der gerade einen korrupten Richter in die Flucht (nach Miami?) getrieben hatte und der Direktor des peruanischen Bürgerradionetzwerks CNR, der schier unglaubliche Anekdoten aus der Regierungszeit des ebenfalls flüchtigen Ex-Präsidenten Fujimori erzählte, während eine Kollegin aus Mexiko das hochmoderne Publikationssystem der Haushalte im Bundesstaat Sinaloa erläuterte. Derart in der Materie geschult, ging es für die Teilnehmer jeweils an den Nachmittagen in den gestalterischen Teil des Workshops: Mit viel Kreativität wurden kurze Manuskripte verfasst und Spots produziert, in denen etwa ein genervter Beamter von einem kundigen Bürger über seine Pflichten zur offenen Ausschreibung eines Bauprojektes belehrt wird.
Eine
Dorfkapelle - "Banda del Pueblo" - spielt bei eisiger Kälte die
traditionelle Musik der Andengemeinden, die ein wenig an die Musik
des Balkans erinnert: schnell, laut und schräg!
Ende des Monats, wenn es nicht zu viel geregnet hat, fahren Camilo und ich ein paar Stunden über Schlammpisten in den subtropischen Teil einer nördlichen Provinz um dort eine Gruppe Jugendlicher in Grundlagen des Radiojournalismus zu schulen. Die Idee ist, ein wöchentliches Magazin mit verschiedenen Formaten zu produzieren, dass an den Sonntagen, wenn sich die Menschen zum Markttag einfinden, per Lautsprecher auf den Kirchplatz ausgestrahlt werden soll... denn einen Sender haben sie dort noch nicht. Diese Reportage, weiteres zu Ausbildungsprojekten und zum Engagement des DED in der nächsten Ausgabe.
Kai Laufen
Fotos: © Kai Laufen
Aus RADIOJournal 7/2004
• Kai Laufen war 2003/04 als Fachkraft des Deutschen Entwicklungsdienstes (DED) in der Ausbildungsabteilung eines Koordinierungsbüros für Bürgerradios in Quito, Ecuador, tätig. Nach Studium der Literatur- und Politikwissenschaften sowie Rundfunkvolontatriat bei Radio 7 in Ulm, war der Autor rund fünf Jahre für den Südwestrundfunk in Karlsruhe und Baden-Baden tätig, bevor er sich für die Entwicklungszusammenarbeit entschied.