Hörfunk, Menschen und das Leben vor 55 Jahren
1947 - ein heißer Sommer. Jeder hatte damit zu kämpfen, dass der Hunger nicht der Sieger war. Die Kinos, Konzerte und Theater waren wieder geöffnet. Die ersten Nachkriegsautoren meldeten sich zu Wort. Die Printmedien waren wieder lesbar, die Konzerte hörbar und der Rundfunk stets vor Ort.
Die Nahrungsbeschaffung sah im wesentlichen so aus: Versorgung durch Lebensmittelkarten, Diebstahl und Raub, Schwarzmarkt und Care-Pakete. Auf dem Schwarzmarkt kosteten 20 amerikanische Zugaretten 160 RM, ein Kilo Kaffee 1.100 RM, ein Ei 12 RM und eine Schachtel Streichhölzer 5 RM. Heiß begehrt waren die Pakete von Care (Cooperative for American Remittances to Everywhere). Das war eine Vereinigung von 26 amerikanischen Organisationen zum Versand von Liebesgabenpaketen nach Deutschland von 1946 bis 1954. Insgesamt wurden 6,7 Millionen Pakete verschickt.
Damals war der Rundfunk - neben der Tageszeitung - die wichtigste Informationsquelle. So auch Radio Bremen. Der Krieg war am 27. April 1945 in Bremen zu Ende und Norddeutschland von den Briten besetzt worden. Die Amerikaner beanspruchten jedoch einen Nachschubhafen und machten die Stadt und das Land Bremen zur Enklave.
Schon am 23. Dezember 1945 war Radio Bremen wieder zu hören: „This is Radio Bremen on 210 meters, 1429 kilo cycles. Radio Bremen is on the air daily from 19 to 21 hours. Hier ist Radio Bremen auf Welle 210 gleich 1429 Kilohertz. Wir senden täglich von 19 bis 21 Uhr und grüßen alle unsere Hörer“.
Der in Hamburg geborene amerikanische Offizier Edward E. Harriman wurde damit beauftragt, in Bremen eine Rundfunkstation aufzubauen. Die amerikanische Armee stellte einen mobilen Sender zur Verfügung. Im vornehmen Stadtteil Schwachhausen wurde eine große Villa beschlagnahmt und in der Bremer Tageszeitung „Weser-Kurier“ per Kleinanzeige nach Fachkräften gesucht. Von der ersten Stunde mit dabei war der spätere Sendeleiter Hans Günther Oesterreich. Ein Mann, dessen Stimme ein Großteil der europäischen Hörerschaft bereits kannte. Während des Krieges war er Sprecher beim Soldatensender Belgrad und verhalf dem Lied „Lili Marleen“ über die Fronten hinweg zu Weltruhm.
Radio Bremen begann technisch sehr spartanisch. Das Studio wurde mit Wolldecken isoliert, die Schallplatten hatten die Hörer spendiert, das Pausenzeichen bestand aus einem halbgefüllten Glas Wasser und ein Löffel erzeugte den Ton. 1947 war Radio Bremen acht Stunden on air und hatte bereits ein Rundfunkorchester für Tanz und Unterhaltung. Am Klatschbass spielte ein gewisser Hans Last - der später berühmt gewordene James Last.
Die damaligen Radioreporter waren sehr rührig und berichteten von den ersten Schiffen, die die bremischen Häfen wieder anliefen, vom Sport, aus der Politik und Wirtschaft, Kultur, dem Schwarzmarkt usw. Besonders beliebt waren bei den Reportern Berichte aus „nahrhaften“ Reportage-Aufträgen, wie aus der Fischindustrie, aus der Landwirtschaft, Tabakfabriken usw.
1947 wurde von zwei Radio Bremen-Reportern das zweimillionste Care-Paket einer Familie im Bremen überreicht. Im selben Jahr kam es immer wieder vor, dass aufgeregte Hörer beim Sender anriefen und berichteten, dass sie gerade eben mehrere Ufos gesichtet hätten. Anfangs flitzten die Reporter hin, später verließen sie nur noch den Sender und gingen irgendwo gemütlich kaffeesieren. In dem Künsterdorf Worpswede (in der Nähe Bremens) wurden 1947 Außenaufnahmen für das Hörspiel „Schloss Gripsholm“ produziert - in der Hauptrolle der spätere Quizmaster der EWG-Sendungen im Fernsehen, Hans Joachim Kulenkampff.
Schon 1947 war die Finanzierung des Senders problematisch. Das Land Bremen war einfach zu klein, um mit den Rundfunkgebühren auszukommen. Die Amerikaner schlugen vor, dass das Land Niedersachsen helfen möge. Die Engländer lehnten jedoch ab. Letztendlich half der damalige NWDR (Vorläufer des heutigen NDR) über die Runden. Er betonte jedoch bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit, dass der Sender Radio Bremen eigentlich keine Existenzberechtigung hätte. Witzig war, dass die Post bereits seit Juli 1945 wieder Rundfunkgebühren einzog - obwohl es dato weder einen Sender noch ein Programm gab.
Eine rundfunkhistorische Rarität war bei Radio Bremen die »Gesprochene Zeitung«. Immer, wenn beim Weser-Kurier das Papier ausging, konnte keine Zeitung erscheinen. Dann las Radio Bremen seinen Hörern die Artikel aus der Zeitung vor.
Bild Oben: 1947. Das Radio-Bremen-Mikrophon mit Reporter Paul Dieter Küpper bei der Übergabe des zweimillionsten CARE-Paketes an eine Bremer Familie; aus dem Buch „Wir grüßen alle unsere Hörer - Radio Bremens frühe Jahre“ von Michael Augustin und Peter Dahl, herausgegeben von Radio Bremen in der Edition Temmen, 1995.
Hans-Joachim Berger
Fotos: © Radio Bremen
www.radiobremen.de
Aus RADIOJournal 12/2002