Radioarchiv

 Memories aus 20 Jahren RADIOJournal

Funkhaus Aschaffenburg - Ein kleiner Medienriese
am Untermain

Als vor zehn Jahren, am 15. Mai 1987, der Startschuss für das Aschaffenburger Lokalradio fiel, waren - wie auch in anderen Städten - gleich mehrere Anbieter auf einer einzigen Frequenz mit von der Partie. Im vorliegenden Fall gab es vier lizenznehmende Firmen: Welle Untermain, ARA - Anbietergemeinschaft Radio Aktuell, Radio A aus Miltenberg und die Neue Welle. Die beiden zuletzt genannten vereinbarten noch vor dem Sendestart, ein gemeinsames Programm unter einer einheitlichen Senderkennung zu veranstalten - "Radio Primavera" war geboren.

Drei Sender auf einer Welle - die Ergebnisse dieser in den 80er Jahren nicht seltenen Konstellation waren sehr mangelhaft: keine wie auch immer gearteten Programmabsprachen, die mehrfache redaktionelle Bearbeitung ein und derselben Geschehnisse, das Aufeinanderfolgen unterschiedlichster Musikrichtungen ("Da kam Heavy Metal direkt nach einer Volksmusiksendung", so Frank Gora, der stellvertretende Programmleiter von Primavera rückblickend), all dies machte die Aschaffenburger UKW-Frequenz 91,6 MHz für die Zuhörer zu einer wenig bekömmlichen Melange. Dieser Zustand dauerte bis weit in die 90er Jahre an: einer der Programmanbieter, die Welle Untermain, stellte 1991 den Sendebetrieb ein, und erst nach drei weiteren Jahren, in denen sich Primavera und ARA die Frequenz teilen mussten, schlossen sich die verbliebenen Firmen 1994 zu der neuen Gesellschaft "Funkhaus Aschaffenburg" zusammen und führten das nunmehr 24-stündige Programm unter dem Namen "Radio Primavera" fort.

Heute [1997], zehn Jahre nach dem Start, kann sich die Bilanz sehen lassen: Radio Primavera verfügt über mehrere UKW-Frequenzen im gesamten "Primaveraland", das von Miltenberg im Süden über das Kerngebiet um Aschaffenburg bis nach Alzenau im Norden und von dort ein weites Stück ins Rhein-Main-Gebiet hineinreicht. Werner Jerono, im Funkhaus zuständig für Promotion und Event Marketing, erwähnt eine Nielsen-Untersuchung aus dem vergangenen Jahr. Der zufolge hat Radio Primavera die zweitbesten Marktanteile aller populären Stationen im Sendegebiet; man liegt knapp hinter FFH und noch vor ANTENNE BAYERN, Bayern 3 und hr3.

Radio Primavera verfolgt eine strenge Einhaltung des Programmformats. "Soft Adult Contemporary", meint Jerono und muss sich doch gleich verbessern: "Nein, nicht Soft, nur AC". Man spiele heute ein AC-Format mit Schwerpunkt auf anglophoner Musik der 60er und 70er Jahre. Deutschsprachige Titel sind nur vereinzelt im Programm. "Italo" nur in den Sommermonaten. Seit 1996 setzt Primavera aber auch verstärkt Songs der 80er und 90er Jahre ein, weil man die Zielvorgabe, Zuhörer im Alter "40+" zu erreichen, auf "30+" korrigiert hat. Zwar haftet dem Sender aus früheren Jahren noch das Image an, einen hohen Anteil an deutschsprachigen Schlagern und Volksmusik zu spielen, doch soll dem behutsam, aber konsequent entgegengewirkt werden.

Dennoch gibt es ein kurioses Relikt aus den Anfangsjahren des Senders, den »Radio-Primavera-Frühschoppen«, der an jedem Sonntag von 7.00 bis 13.00 Uhr ausschließlich Volksmusik spielt. "Format hin, Format her", dürften sich die Radiomacher denken, der Frühschoppen weist mit die besten Einschaltquoten im Wochenverlauf auf und wird deshalb auch in Zukunft nicht aus dem Programm genommen.

Alle Programmelemente werden in den eigenen Studios in der Aschaffenburger Frohsinnstraße, ganz in der Nähe des Hauptbahnhofs, hergestellt. Dies gilt auch für die Nachrichten, die - mit Ausnahme der Nachtstunden - teils halbstündlich, teils stündlich auf Sendung sind. Auch hier gelten für die fünf Redakteure einige Vorgaben: in der Regel zwei Meldungen aus dem Bereich "Welt- und nationale Nachrichten", danach drei Meldungen aus dem "Primaveraland", und alles zusammen nicht länger als 2:30.

Primavera beließ es nicht beim Radiomachen allein, sondern stellte dem Hörfunk mehrere Printobjekte zur Seite. Mit dem Hörfunksender sowie den Print- und Netzmedien hat man es offensichtlich geschafft, einen erheblichen Teil der lokalen und regionalen Werbetreibenden anzusprechen und deren Budgets zu binden. Für diese Annahme spricht auch die Tatsache, dass bis zu drei Viertel der Radio-Werbezeit auf Spots mit regionaler Ausrichtung entfällt.

In den bisherigen Studio- und Redaktionsräumen in der Frohsinnstraße, wo etwa 100 feste und freie Mitarbeiter arbeiten, herrscht eine gewisse Enge. Zwei Etagen mit einer Fläche von 600 Quadratmetern, auf denen alle Unternehmensbereiche des "kleinen Medienriesen" untergebracht sind, reichen aber nicht mehr aus. Folgerichtig war man seit geraumer Zeit auf der Suche nach einem geeigneten neuen Domizil - und wurde fündig. Vor einigen Tagen, zu Pfingsten 1997, dürfte der Umzug in ein ehemaliges Kasernengebäude der US-Army, welches etwa die doppelte Nutzfläche bietet, durchgeführt worden sein. Die Einweihung des neuen Funkhauses mit vier digitalen Hörfunkstudios und weiteren digitalen Arbeitsplätzen ist dann für Ende Juni geplant.

Thomas Völkner
Fotos: © Thomas Völkner
www.funkhaus-aschaffenburg.de

Aus RADIOJournal 6/1997

• Den legendären »Radio Primavera-Frühschoppen« am Sonntag gibt es heute nicht mehr im Programm. Dafür ist von 8.00 bis 13.00 Uhr das »Primavera Sonntagscafé« geöffnet. Auf den Frequenzen 91,6 und 100,8 MHz sendet das Jugendradio "Galaxy Aschaffenburg". Unglaubliches Radiospiel im Frühjahr 2007: Radio Primavera verlost eine traumhafte, 5.000 Quadratmeter große Ozeaninsel in Kanada. Weltweit kann Radio Primavera auch als Livestream im Internet gehört werden.